Pseudo-Diskussionen: Geheuchelte Bürgerbeteiligung und opportunistische Schubser

Das Markenzeichen einer Diskussion über ein Thema besteht darin, dass zu Beginn der Diskussion nicht feststeht, was das Ergebnis der Diskussion sein wird. Deshalb ist eine Diskussion ein Austausch von Argumenten mit dem Ziel, das beste Argument, das am besten belegte Argument, das am besten mit Fakten belegte Argument zu finden und sich auf dieses Argument zu einigen.

discussionPseudo-Diskussionen sind Diskussionen, deren Ergebnis bereits im Vorfeld feststeht. Pseudo-Diskussionen sind inszenierte Diskussionen, mit denen den Adressaten das Gefühl gegeben werden soll, sie hätten etwas mit zu entscheiden. Pseudo-Diskussionen sind Formen der Persuasion, die eingesetzt werden, um durchzusetzen, was man sowieso beabsichtigt hat, dabei aber so zu tun, als wären Dritte an der Entscheidungsfindung beteiligt worden. Pseudo-Diskussionen werden immer häufiger Bestandteil der öffentlichen Inszenierung von Demokratie, wenn es z.B. darum geht, Anwohnern das Gefühlt zu geben, sie wären an der längst getroffenen Entscheidung, Windräder an die Stelle von Wald zu setzen, in irgend einer Weise beteiligt worden.

“Nudging: Die Kunst der Entscheidungshilfe, so lautet der Titel einer Veranstaltung, die das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz gerade durchgeführt hat. Dabei ging es um:

[d]ie Idee des „Nudgings“ und die Frage, ob das Konzept des kleinen „Schubsers“ in die vermeintlich richtige Richtung auch in der deutschen Verbraucherpolitik Erfolg haben kann…”.

Spannend ist hier das “vermeintlich”, das dem Autor der Pressemeldung in den Text gerutscht ist. Bei dieser Pseudo-Diskussion sollten die folgenden Fragen beantwortet werden, und zwar von dem Pseudo-Wissenschaftler und Handelsreisenden in Sachen Nudging Cass Sunstein und Heiko Maas, der scheinbar seine Märchenwoche noch nicht abgeschlossen hat:

“Ist Nudging nicht undemokratisch? Warum tut sich Deutschland so schwer mit Nudging? Wann eignen sich Nudges besonders gut? Wie unterscheidet man gute von schlechten Nudges?”

no discussionAngeblich wird also darüber diskutiert, ob die “Kunst der Entscheidungshilfe”, ein unglaublicher Euphemismus, undemokratisch ist, was eigentlich keine Frage ist, denn Deutschland tut sich “schwer mit Nudging”, wobei sich “Nudges” doch besonder gut eignen und man sogar “gute von schlechten Nudges” unterscheiden kann.

Glaubt wirklich jemand, hier würde grundsätzlich über die Frage, ob ge-nudged werden soll/darf oder nicht, diskutiert?

Zunächst zum Nudging:

Nudging fusst auf einem grundsätzlichen Missverständnis. In den 1970er Jahren haben Amos Tversky und Daniel Kahneman gezeigt, dass das tatsächliche Verhalten von Menschen von den Modellannahmen eines rationalen Akteurs abweicht. Im Modell das rationalen Akteurs wird angenommen, dass immer die Handlungsalternative gewählt wird, die unter gegebenen Bedingungen mit dem größten Nutzen verbunden ist – wobei die Alternative erreichbar sein muss und gegen anderen Alternativen abgewogen worden sein muss.

Die meisten Menschen machen das nicht. Das ist nichts Neues, war auch nichts Neues, als Tversky und Kahneman ihre Studie veröffentlicht haben. Max Weber hat schon Anfang des 20. Jahrhunderts darauf verwiesen, dass nur die wenigsten Handlungen zweckrational sind. Tversky und Kahneman haben nun zum ersten Mal gezeigt, dass die Handlungen, die Menschen wie Sie oder wir in bestimmten Situationen ausführen, sehr stark vom Modell des objektiv rationalen Akteurs abweichen.

Das “objektiv” ist hier der entscheidende Punkt: Es bezieht sich auf die rationale Entscheidung, die ein informierter und der rationalen Entscheidung kundiger Beobachter getroffen hätte, einer wie Cass Sunstein versteht sich. Wenn Sie also die Wahl haben, zwischen Gammelfleisch und vegetarischer Kost, dann erwartet ein objektiver Beobachter, dass Sie vegetarische Kost zu sich nehmen. Wenn Sie die Wahl haben zwischen einem überteuerten Designerhemd und einem identischen, aber deutlich billigeren Noname-Hemd, dann erwartet ein objektiver Beobachter, dass Sie das billige Noname-Hemd kaufen.

Und genau das tun viele nicht – weil sie, aus Sicht des objektiven Beobachters falsche Heuristiken benutzen, um sich im täglichen Leben zurecht zu finden. Und das will Cass Sunstein ändern. Durch: Nudgen, Schubsen in Deutsch. Und damit hat er die Herzen der Politiker, die ihre Aufgabe darin sehen, die dummen Wähler, denen sie ihr Amt verdanken, zu erziehen, im Sturm erobert.

Nudgen für den guten Zweck wird bereits als “Kunst der Entscheidungshilfe” verkauft, die Sie oder uns in die richtige, die wie es im Text so verräterisch heißt “gute” Richtung schubsen soll. Dumm an Begriffen wie “gut” ist, dass das, was gut sein soll, bestimmt werden muss, was voraussetzt, dass ein gutes Endziel bestimmt wird, auf das hin Gutes getan werden soll.

In einer Demokratie würde man eigentlich erwarten, dass eine Diskussion darüber stattfindet, was als “gut” gelten soll. Im Zeitalter des Schubsens tritt an die Stelle der Diskussion das Dekret der Politiker, die vorgeben, was als gut zu gelten hat.

Nehmen wir z.B. Organspende. Organspende ist gut. Warum? Weil Organspende gelebte Solidarität ist, wie ein deutscher Minister einmal festgestellt hat, obwohl Organspende in der Regel post-hume Solidarität ist. Es ist eine Solidarität, die einen altruistischen Spender vorsieht, einen dankbaren Empfänger und dazwischen eine große Zahl von Personen, die mit dem Organhandel, dem Ausweiden von Spendern und dem Einsetzen von Recycling-Ware in Aufnehmer, viel, sehr viel Geld verdienen – natürlich im Dienste der Nächsten und auf Grundlagen eigener Solidarität – nicht, um die eigene Villa zu finanzieren.

Nehmen wir weiter an, Manche Deutsche wollen einfach nicht einsehen, dass Organspende “gut” ist, dass es gut ist, seine Niere zu geben, seine Leber, seine Augen, was immer verwendbar ist….

Wenn manche Deutsche also widerspenstig sind und einfach nichts Gutes tun wollen mit ihren Organen, dann muss man sie schubsen, in dem man die Organspende obligatorisch macht und nur denen erlaubt, keine Organe zu spenden, die dies explizit und im Beisein eines Vasallen des Staates erklären. Und schon hat man viele Menschen glücklich gemacht und viele in die richtige, die gute Richtung geschubst.

Die Möglichkeiten, die sich für Politiker durch das Schubsen zum Guten auftun, sind immens: Fehlverhalten, also solche, die von Politikern als nicht gut befunden werden (dazu gehören nachweislich keine Kinderpornos auf Dienstcomputern), werden durch Schubsen in die richtige Richtung korrigiert, was in der Regel eine Verteuerung bedeuten wird: (noch höhere) Steuern auf Zucker, Steuern auf Alkohol, Steuern auf Tabak, Steuern auf Nichtbewegung, obligatorische Bewegungskurse, morgens um 8 auf dem Dorfplatz, weil Bewegung gesund ist und viele sich einfach nicht genug bewegen wollen, obligatorische Teilnahme an “Feminismus ist gut”-Veranstaltungen, weil Feminismus gut ist und es immer noch welche gibt, die das nicht einsehen wollen und und und.

Schubsen in den Totalitarismus, so lange, bis die Herumgeschubsten gar nicht mehr wissen, was eine unabhängige, eine autonome Existenz ist.

Doch zurück zur angeblichen Diskussion im Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Warum handelt es sich dabei um eine Pseudo-Diskussion? Die Frage ist einfach zu beantworten, und zwar durch Verweis auf eine der Fragen, die durch Heiko Maas und Cass Sunstein vom Tisch gewischt werden sollen: “Ist Nudging nicht undemokratisch?” Schon die Art, die Frage zu stellen, ist verräterisch: Da gibt es tatsächlich welche, die nicht auf der Höhe der Zeit sind, ewiggestrige Rechte, die denken, Nudging sei undemokratisch. Kann man so blöd sein?

Die erste Frage die sich aufdrängt ist: Wer schubst wen?

Offensichtlich sind Politiker der Meinung, sie schubsen ihre Bevölkerung. War es in Demokratien nicht umgekehrt, waren nicht die Wähler die Souveräne und die Politiker die Repräsentanten? Wie können Politiker dann Wähler schubsen wollen?

Stellen wir uns vor, Karl T. raucht und ist überzeugter Misanthrop, Organspende kommt für ihn nicht in Frage und nichtrauchen auch nicht. Haben Politiker das Recht, ihn nun in Richtung Organspende zu schubsen und zum Nichtraucher zu konvertieren? Oder ist seine Wahl zu respektieren? Offensichtlich sieht eine Demokratie vor, die Wahl von Individuen zu akzeptieren. Die Selbstbestimmung ist ein zentraler Wert in Demokratien, Schubsen ist nicht mit Selbstbestimmung zu vereinbaren.

Schließlich: Was ist der Endzustand, der mit dem “guten Schubsen” erreicht werden soll? Offensichtlich kann der Endzustand nur ein kollektives Gutes sein, was notwendig zur Folge hat, dass individuelle Interessen zu Gunsten des kollektiven Guten geopfert werden. Das zeigt deutlich, dass Schubsen nichts anderes als ein totalitäres Instrument zur Beseitigung individueller Freiheit ist.

Die Pseudo-Diskussion um das Schubsen dient also einzig dazu, das Geschubse, das folgen wird, zu legitimieren und dazu, behaupten zu können, man habe darüber, ob geschubst werden soll, ja schließlich diskutiert, so wie man es derzeit praktiziert, wenn Bürgern in entsprechenden Veranstaltungen erklärt wird, warum sie Windenergie oder sonstige Spleens, die Politiker auf die Kosten der Bürger umsetzen wollen, zu schlucken haben.

Wie kann man Politikern ihrer Freude an der Volkserziehung, die heute Volksschubsen heißt, vergällen?

Wie wäre es, wir schubsen zurück:

true powerViele ökonomische Untersuchungen (und Schubsen kommt zumindest aus einem Randbereich der Ökonomie) haben gezeigt, dass Menschen dazu tendieren, opportunistisch zu handeln, also ihren Vorteil über z.B. einen vereinbarten Vertrag zu stellen. Politiker sind Menschen und schließen mit ihren Wählern einen Vertrag, den man gemeinhin als Parteiprogramm bezeichnet. Um auszuschließen, dass Politiker ihren eigenen Vorteil über den Vertrag mit ihren Wählern stellen, schlagen wir folgendes Schubsen vor: Die Honorierung von Politikern erfolgt auf Darlehensbasis. Zum Ende eines Jahres legt jeder Politiker einen Rechenschaftsbericht vor, und im Internet findet unter den Wählern, die sich in seinem Wahlkreis befinden, eine Abstimmung darüber statt, ob seine Leistung die Gewährung des gesamten Honorars, eines Teil oder gar kein Honorar rechtfertigt. Je nach Ergebnis der Abstimmung, muss der Politiker sein Honorar zurückzahlen oder kann es (zum Teil) behalten.

Oder wie wäre es damit:

Damit Politiker keine unverantwortlichen Entscheidungen im Bundestag treffen, werden per Zufallsauswahl fünf Gesetze einer Legislaturperiode ausgewählt und es wird geprüft, wer von dem Gesetz profitiert, welche positiven und negativen Folgen davon ausgehen. Ergeben sich mehr negative als positive Folgen, so haften die Abgeordneten gemeinsam für die entstandenen Kosten. Sie haben ein Jahr Zeit, um aus den Kosten einen Nutzen zu machen. Gelingt ihnen das nicht, werden die Zuwendungen an die Parteien um den entstandenen Schaden reduziert.

Wer eigene Vorschläge machen will, um Politikern das Schubsen zu vergällen, die Kommentarfunktion ist wie immer offen.

 

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