Gesucht: Studenten aus der Arbeiterschicht

An manchen Universitäten ist es zur Regel geworden, Professoren, die auf Lehrstühle berufen wurden oder Lehrstühle seit Jahren innehaben, einer breiteren Fachöffentlichkeit vorzustellen, indem die entsprechenden Professoren mit ihren Forschungsschwerpunkten und -ergebnissen protraitiert werden.

Das ist zu begrüßen, weil es einerseits Transparenz darüber schafft, was an deutschen Hochschulen geforscht und mit Steuergeldern getan wird, andererseits ist es aufgrund der Lücken zu begrüßen, denn: Um die Forschungsarbeit und sonstigen wissenschaftlichen Tätigkeiten vorstellen zu können, muss es diese Forschungsarbeiten und wissenschaftlichen Tätigkeiten geben. Folglich gibt die Lücke, die entsteht, wenn man die Professoren, die vorgestellt wurden, mit denen, die es nicht wurden, vergleicht erste Hinweise darauf, bei wem es nichts vorzustellen gibt.

SchindlerSteffen Schindler ist Juniorprofessor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Bildung an der Universität Bamberg und ist einer der Professoren, die etwas forschen und tun, was man vorzeigen kann. Schindler beschäftigt sich u.a. mit der Frage, warum Kinder aus Arbeiterhaushalten unter den Studenten nach wie vor unterrepräsentiert sind, und zwar sowohl, wenn man den Bevölkerungsanteil zur Grundlage nimmt als auch, wenn man die Anzahl der Studienberechtigten zur Grundlage nimmt.

Denn: so erzählt Schindler: “Viele Arbeiterkinder entscheiden sich trotz Hochschulreife gegen ein Studium”. Warum also erwerben sie eine Hochschulreife? “Die Hochschulreife”, so fährt Schindler fort, “hat sich zur faktischen Zugangsvoraussetzung für viele Ausbildungsberufe entwickelt”. Aha, so denkt man, Arbeiterkinder machen Abitur, um hinterher eine Lehre machen zu können, während Kinder aus der Mittelschicht ein Abitur als Voraussetzung für ein Studium erwerben.

Aber lesen wir weiter: Arbeiterkinder studieren auch deshalb nicht, weil es ihnen darum geht, “den Status ihrer Eltern zu reproduzieren … Wenn der Statuserhalt das Ziel ist, reicht für Arbeiterkinder die Berufsausbildung”, so erklärt Schindler und gibt damit eine Erklärung, die eine Frage provoziert, schon weil sie ein alter Hut aus dem Jahre 1974 ist (Raymond Boudon): Wenn Statuserhalt das Ziel ist, wie kommt es dann überhaupt zu vertikaler sozialer Mobilität? Oder: Wo kommt die Bildungsexpansion her, die über die letzten Jahrzehnte immer mehr Abiturienten produziert hat und immer mehr Abiturienten hat studieren sehen, was notwendig voraussetzt, dass die Anzahl dêr Studenten aus nicht-Akademikerhaushalten über die letzten Jahrzehnte gestiegen ist. Für diese Studenten kann entsprechend der Statuserhalt nicht das Ziel gewesen sein, sondern der soziale Aufstieg.

Ist die Theorie vom Statuserhalt also eine Theorie begrenzter Reichweite, wie Robert K. Merton wohl sagen würde, eine Theorie, die nur auf Arbeiterkinder zutrifft? Wäre dem so, man wäre nichts gebessert, denn nun stellt sich die Frage: Warum trifft die Theorie vom Statuserhalt nur auf Arbeiterkinder zu?

Das scheint auch Schindler Kopfzerbrechen zu bereiten, weshalb er nachschiebt, dass die meisten Kinder aus Arbeiterfamilien, die ein Abitur erreichen, dies sowieso über den zweiten Bildungsweg, also über Abendschulen und sonstige Möglichkeiten, ein Abitur, in den meisten Fällen ein Fachabitur nachzumachen, erreichen.

Wie sich diese Erkenntnis, die Schindler gegen Ende seines Textes preisgibt, zu der eingangs von ihm geäußerten Überzeugung verhält, dass Arbeiterkinder das Abitur machen, um Zugang zu einem Ausbildungsberuf zu erhalten und um in der Lage zu sein, den Status ihrer Eltern zu erhalten, das ist eine Frage, die man nur mit: “Es ist ein Widerspruch!”, beantworten kann.

Was uns zurück auf Los schickt. Abermals bewaffnet mit den Ergebnissen z.B. der Sozialerhebung des deutschen Studentenwerks und abermals mit der Frage: Warum studieren weniger Arbeiterkinder als Kinder aus Akademikerhaushalten?

Zwei Abbildungen aus der Sozialerhebung sind hier von Interesse:

Soziale Herkunft studenten

Die beiden Abbildungen zeigen den Schulabschluss des Elternteils mit dem höchsten Schulabschluss und den Berufsabschluss des Elternteils mit dem höchsten Berufsabschluss. Dabei kann man drei Ding sehen:

  • Studenten, deren Eltern einen Hauptschulabschluss haben (also mindestens eines ihrer Elternteile) verschwinden seit 1994 systematisch von Hochschulen.
  • Studenten, von deren Eltern mindestens einer eine Lehre oder einen Facharbeiteraschluss hat, machen seit 1997 kein Drittel der Studentenschaft mehr aus.
  • Der Anteil der Studenten aus einem Akademiker-Haushalt oder von Eltern, die (einer davon) ein Abitur erreicht haben, ist seit 1985 kontinuierlich gestiegen.

Diese Entwicklung kann man nicht anders als als soziale Schließung bezeichnen. Hochschulen werden mehr und mehr zur inklusiven Veranstaltung von Akademikern, zu einer Form der Akademiker-Inzucht, die für frisches Blut von außerhalb der akademischen Gemeinde immer stärker geschlossen wird.

Der einzige Mechanismus, der eine solche Entwicklung erklären kann, ist ein institutioneller Mechanismus, eine Art institutionelle Gatekeeper-Funktion, die Akademiker-Kinder durchlässt und insbesondere Kinder aus Arbeiterhaushalten ausschließt. Da Bildung einen Prozess darstellt, den man im vorliegenden Fall mit dem Besuch eines Gymnasiums beginnen lassen kann, liegt der Schluss nahe, dass die Mechanismen, die für die soziale Selektion verantwortlich sind, die in den beiden Abbildungen dargestellt ist, bereits beim Zugang zum Gymnasium greifen.

Entsprechend sollte Herr Schindler, wenn er nun forscht, was dazu führt, dass bestimmte Schüler aus der Arbeiterschicht trotz aller Widrigkeiten immer noch an eine Hochschule gelangen, bei den institutionellen Selektionsprozessen anfangen, die den Zugang zu Gymnasien begleiten.

Aber natürlich ist das politisch nicht korrekte Forschung – wie alle Forschung, die relevante Ergebnisse verspricht.

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