Absturz von Germanwings: Was ist ein Toter wert?

Zwar weiß noch niemand, welche Ursache zum Absturz von Germanwings Flug 4U9525 geführt hat; Zwar ist das Internet voller Betroffenheitskundgebungen und Solidaritätsadressen, voller Trauender, die ihr Mitgefühl für Menschen entdeckt haben, die sie gar nicht kennen und auch nicht mehr kennen lernen werden. Zwar gibt es immer noch ein Shuttlesystem, das wichtige Politiker über der Absturzstelle im Hubschrauber kreisen sieht, damit sie auch vor Ort ihre Betroffenheitsmiene verbreiten können. Zwar ist, um es zusammenzufassen, noch alles unklar und nichts klar, doch ist dies kein Hinderungsgrund, um sich schon einmal darüber Gedanken zu machen, was denn so ein Toter für die Hinterbliebenen wert ist.

GermanwingsAnne Kunz macht sich diese Gedanken in der Welt und trotz aller Unklarheit weiß sie schon, dass es mehr Geld gibt, wenn der Fluggesellschaft ein Mitverschulden oder gar ein Verschulden nachgewiesen werden kann, aber vor allem weiß sie eines ganz genau:

Die Hinterbliebenen werden “ungerecht” entschädigt. “Bei einem Absturz”, so reimt sie zusammen, “kommen auf die Versicherer Hunderte Millionen Euro an Kosten zu – für das Flugzeug, vor allem aber für die Angehörigen der Opfer. Doch nicht jeder Hinterbliebene erhält gleich viel”.

Man kann es pietätlos oder auch ehrlich finden, dass die alte Weisheit, wonach des einen Leid des anderen Freud’ ist, in der WELT vordemonstriert wird, und vermutlich wird es schon den ein oder anderen Angehörigen geben, der dem Geldsegen, der ihm bevorsteht, etwas abgewinnen kann. Aber man kann es nicht mehr tolerieren, dass in öffentlichen Medien, von Journalisten, die angeblich ihr Fach gelernt haben, Begriffe wie Gleichheit und Gerechtigkeit synonym verwendet werden.

Dass Anne Kunz es offensichtlich ungerecht findet, wenn nicht jeder Tote für die Angehörigen gleichviel wert ist, ist das eine, mit Gerechtigkeit hat diese affektive Idiosynkrasie aber überhaupt nichts zu tun.

Gerechtigkeit wird weiter unten im Artikel beschrieben:

“‘Die Höhe der Schadenersatzansprüche lässt sich nicht pauschal beziffern’, heißt es dazu beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Ausschlaggebend sind die Lebensumstände, der Beruf und das Alter des Verunglückten. Wie hoch war der bisherige Arbeitsverdienst und das erwartete zukünftige Erwerbseinkommen, hatte er Kinder, oder bestehen gegenüber anderen Personen Unterhaltspflichten? Generell gilt, dass die Schadenersatzansprüche für Hinterbliebene von Kindern geringer ausfallen als für die von Erwachsenen.”

Anders formuliert: Hier kommt ein Lebensleistungsprinzip zum Einsatz, das allein Gerechtigkeit zu begründen in der Lage ist. Denn die finanzielle Lücke, die der vollerwerbstätige Handelsreisende für die Hinterbliebenen hinterlässt, ist größer als die finanzielle Lücke, die die halttagstäge Lehrerin hinterlassen hat. Will man beider Tod für die Hinterbliebenen kompensieren, dann muss man das in Rechnung stellen, ob es Anne Kunz nun passt oder nicht.

Gerechtigkeit ergibt sich gerade daraus, dass man die unterschiedlichen Leistungen, die die Toten zu Lebzeiten erbracht haben, in Rechnung stellt. Entsprechend ist es zwangsläufig, dass es für einen toten Jugendlichen oder ein totes Kind, die noch keinen finanziellen Beitrag erbracht haben, Schadensersatz in geringerer Höhe gibt als für den Sportreporter aus dem Iran, der voll im Erwerbsleben steht.

Wer das ungerecht findet, zeigt zum einen, dass er keine Ahnung davon hat, was Gerechtigkeit eigenlich ist. Wir empfehlen ihm daher die Lektüre unseres Idiotentests für Verteilungsfragen. Und wer das ungerecht findet, der outet sich in herausragender Weise als Leistungsfeind, was die Frage aufwirft, warum er ein Gehalt entgegen nimmt, das über der Grundsicherung liegt, wo er doch offensichtlich der Ansicht ist, er würde nicht mehr leisten und deshalb auch nicht mehr verdienen als ein Hartz-IV-Empfänger.

Will man Schadensersatz für den Tod von Menschen leisten, dann wird man sich zwangsläufig auf Kriterien verständigen müssen, entland derer man die Höhe des Schadensersatzes berechnet. Die berufliche Situation und das Alter eines Toten ist dabei sicher das beste Kriterium, denn es bildet seine Lebensleistung ab. Und weil dem so ist, wird es zwangsläufig ein Gender-Death-Value-Gap geben, denn männliche Tote haben für ihre weiblichen Hinterbliebenen in der Regel einen höheren finanziellen Wert als weibliche Tote für ihre männlichen Hinterbliebenen.

Man könnte natürlich auch fragen, ob es überhaupt einen Anspruch auf Schadensersatz gibt, insbesondere wenn ein Unfall, der ja Teil eines menschlichen Lebens ist, die Ursache für den Verlust z.B. des Ernährers ist. Warum sollen z.B. Fluglinien Schadensersatz leisten, wenn ein Fluggast bei einem Absturz ums Leben kommt, ein Autobauer, dessen Autos für weit mehr Tote auf Straßen sorgen, aber nicht? Wieso soll überhaupt das Risiko, das jemand mit einem Flug auf sicht nimmt, dann, wenn es mit seinem Tod endet, von der Gemeinschaft der Versicherer getragen werden?

Die Frage stellt sich umso dringlicher als derzeit unisono über den menschlichen Verlust der 150 Insassen von Flug 4U9525 gejammert wird und nicht über den finanziellen Verlust, weshalb es bigott wäre, die nicht ausfüllbare emotionale Lücke, dann mit schnödem Mammon und ökonomischer Kälte ausgleichen zu wollen.

Übrigens zeigt sich hier auch die Verlogenheit von pathetischen Aussagen wie: “Tut weh, dass so viele Kinder unter den Toten sind”, wie sie Frank-Walter Steinmeier gemacht hat, der damit wohl insinuieren will, dass er, hätte er zu wählen, wer unter den Toten ist, ältere, am besten Senioren vorgezogen hätte, was letztlich bedeutet, dass er eine klare Werthierarchie von Menschen aufstellt, die Kindern einen höheren Wert als Erwachsenen zuweist. Ob sich Frank-Walter Steinmeier aufgrund seines Alters mit Selbstmordgedanken trägt, ist nicht bekannt.

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