Unglaublich: Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments, gibt Briten Wahlempfehlung

Wer in den 1980er Jahren Politikwissenschaft studiert hat, hatte eine gute Chance, über Dolf Sternberger und seine Schriften zum Politischen zu stolpern. In diesen Schriften hat Sternberger, den man vermutlich besser als politischen Philosophen, denn als Politikwissenschaftler klassifiziert, eine höchst moralische Sicht auf die Politik eingenommen, nicht nur dadurch, dass er die Bewahrung des Friedens als oberstes Politikziel ausgegeben hat, sondern auch dadurch, dass er Werte wie Amtsneutralität, Fairness im Umgang miteinander und Legitimität politischer Entscheidungen in den Mittelpunkt seiner Argumentation gestellt hat, einer Argumentation, wie sie sich z.B. in Büchern, wie dem 1962 erschienen: Grund und Abgrund der Macht. Kritik der Rechtmäßigkeit heutiger Regierungen” findet.

Sternberger MachtNun ist Dolf Sternberger lange tot. Nur noch der Dolf-Sternberger-Preis, den die gleichnamige Gesellschaft wohl al gusto vergibt, denn Kriterien, nach denen der Preis vergeben wird, sind nicht bekannt, erinnert an den ehemaligen Verfassungspatrioten Sternberger.

Die von Dolf Sternberger vertretenen Werte von Fairness im Umgang miteinander, Amtsneutralität oder Legitimität politischer Entscheidung, sie scheinen, wie Sternberger selbst, in Vergessenheit geraten zu sein, wie man täglich aufs Neue am Umgang von Politikern mit ihrer Bevölkerung sehen kann.

Ein besonderes Exemplar, an dem sich der Verlust von politischer Moral und Fairnessvorstellungen aufzeigen lässt, ist Martin Schulz, der seit Jahren das Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments besetzt. Präsidenten von Parlamenten, so will es nicht nur die Tradition, sondern auch der Anstand, sie sind zur Neutralität verpflichtet, zur Zurückhaltung und insbesondere dazu, die Würde des Amtes zu bewahren.

Letzteres ist natürlich ein Problem, setzt die Würde eines Amtes doch die Würde des Amtsinhabers voraus.

Nehmen wir daher die Amtsneutralität, mit der sich geringere Probleme verbinden. Die Amtsneutralität, die z.B. in der Behauptung des Bundeskanzlers, Schaden vom deutschen Volk und nicht nur von den Wählern der CDU/CSU abwenden zu wollen, zum Ausdruck kommt, sie hat zur Folge, dass man als Amtsinhaber zuweilen seinen Mund halten muss, insbesondere hat sie zur Folge, dass man sich nicht in politische Streits oder Wahlen zu Gunsten einer (Streit-)Partei einmischen darf. Im Gegenzug wird z.B. der Präsident des Europäischen Parlaments besser bezahlt als der herkömmliche Europaabgeordnete. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass das zusätzliche Entgelt wie eine moralische Verpflichtung, die Würde des Amtes zu bewahren, wirkt – also zumindest die Symbolik, mit der man sich umgibt, soll stimmen.

Nun, wir haben die Rechnung ohne Martin Schulz gemacht. Martin Schulz spielt gerne den Staatsmann, lässt sich gerne in seiner Funktion als Präsident des Europäischen Parlaments ablichten und ansprechen, aber er kann dennoch seinen Mund nicht halten, und vor allem kommt er nicht über seine mangelnde Erziehung zu Fairness hinweg. Weshalb er der Ansicht ist, er müsse sich in den Britischen Wahlkampf einmischen, und zwar mit einer Form der Dachlattensuggestion, die geeignet ist, Briten in Rage zu versetzen (uns mit Sicherheit).

Gegenüber dem WDR/NDR hat der Schulz nach Angaben der Tagesschau Folgendes in Worte gefasst:

Martin Schulz“Wenn David Cameron gewinnen sollte, wird er sein Versprechen eines Referendums halten müssen. Das bringt möglicherweise Großbritannien und die EU in eine sehr schwierige Situation”, warnt EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. […] Schulz fürchtet, dass das Konsequenzen haben könnte: “Er wird davon möglicherweise nicht mehr herunterkommen. Er selbst ist jemand, der in der EU bleiben möchte unter allen Umständen. Und hat sich damit eine Kampfzone eingehandelt, in der er nicht immer Herr des Verfahrens ist. Und das ist für den Premierminister eines so bedeutenden Landes wie Großbritannien schwierig”, sagt der EU-Parlamentspräsident im Interview mit dem WDR/NDR-Hörfunk.”

Also Ihr Briten, wählt Miliband, auch als #EdStone bekannt, denn wenn ihr Cameron wählt, dann wird David Cameron etwas tun, was Martin Schultz unvorstellbar ist: Er wird ein Versprechen, das er Wählern gegeben hat, einhalten und ein Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU abhalten.

Dass ein Politiker ehrlich sein könnte, dass er sich an sein Versprechen halten könnte, das ist Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, offensichtlich vollkommen unvorstellbar und so sinniert er darüber, welche Möglichkeiten es für Cameron dennoch geben könnte, sein Versprechen zu brechen, davon, wie Schulz sagt, herunterzukommen.

Als wäre die Schulzsche Prämisse, dass Politiker nicht zu ihren Versprechen stehen sollen, nicht ehrlich sein sollen, versuchen müssen, von Versprechen “herunterzukommen”, nicht schon ausreichend, wird es noch schlimmer, wenn man die davon bedingte Prämisse betrachtet, die da lautet: Es darf auf keinen Fall ein Referendum über den Verbleib in der Europäischen Union stattfinden, oder eingeschränkter: Es darf im Vereinigten Königreich auf keinen Fall ein Referendum über den Verbleib in der Europäischen Union geben.

Heftig.

Da stellt sich doch der Präsident des Europäischen Parlaments hin und verkündt in aller Öffentlichkeit deutscher Medien, dass man Bürger auf keinen Fall an Entscheidungen beteiligen darf. Dass es vielmehr notwendig sei, alles zu tun, um die Beteiligung von Bürgern an Entscheidungen zu verhinden. Und war man so unvorsichtig, die Beteiligung von Bürgern an Entscheidungen zu versprechen, dann, so empfiehlt Martin Schulz, muss man versuchen, von diesem Versprechen “herunterzukommen”.

Es ist gut, dass Philosophen wie Dolf Sternberger tot sind und nicht miterleben müssen, wie ihr Traum einer moralischen Politik platzt wie eine Seifenblase und wie sich die realistische Sicht, die Anthony Downs vor gut 60 Jahren entwickelt hat, als die richtige Sicht erweist: Die meisten Politiker sind Opportunisten, die in Wahlkämpfen alles versprechen, um gewählt zu werden und dann, wenn sie gewählt sind, keinerlei Erinnerung mehr haben, was sie versprochen haben oder versuchen, von den Versprechen “herunterzukommen”, wie Martin Schultz es nennt, den man nach allem, was wir hier an Kriterien zusammengetragen haben, wohl als Präsidenten der Opportunisten ansehen muss.

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