Konflikt um Ressourcen: Die Gründe hinter der Ablehnung von Muslimen

Manche Themen sind aufgeladen, und entsprechend ist es selten, dass sich institutionalisierte Wissenschaftler damit beschäftigen. Marc Helbling und Richard Traunmüller vom Wissenschaftszentrum in Berlin bzw. der Goethe-Universität in Frankfurt machen hier eine Ausnahme.

Sie haben sich mit einem aufgeladenen Thema befasst: Mit Muslimen.

Nicht nur das, sie haben sich aus einer neuen Perspektive mit diesem Thema befasst, jedenfalls sind sie selbst dieser Ansicht.

Helbling und Traunmüller fragen: “Why do so many citizens in European democracies fear Muslim immigration, dislike Muslims’ religious practices and oppose their religious rights?” [Warum fürchten so viele Bürger in europäischen Demokratien die Zuwanderung von Muslimen, warum lehnen sie religiöse Praktiken der Muslime ab, warum sind sie gegen die Gewährung von religiösen Rechten an Muslime?]

Und sie geben eine Antwort, die in der Tat zunächst einmal neu ist:

“Muslime werden als kulturell-religiöse Bedrohung für Gesellschaften wahrgenommen, deren kollektive Identitäten und öffentliche Institutionen weit weniger säkular sind, als sie selbst es zugeben” (16).

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Mit anderen Worten: Wenn Staat und Kirche nicht getrennt sind, wenn beide insofern miteinander verbandelt sind, dass Ressourcen zwischen beiden ausgetauscht werden, wenn der Zugang zu Ressourcen von staatlicher Seite für bestimmte religiöse Vereinigungen privilegiert wird, z.B. dadurch, dass Kirchensteuern von staatlichen Behörden eingezogen werden, z.B. dadurch, dass religiöse Feiertage durch die Institutionen des Staates garantiert werden, z.B. dadurch, dass religiöse Gemeinschaften bestimmte Schutzräume besetzen, in denen sie steuerliche Vergünstigungen genießen oder Nehmer staatlicher, finanzieller Alimentierung sind, dann haben diese religiösen Gemeinschaften etwas zu verlieren, wenn neue Aspiranten für die vom Staat zu verteilenden Gefallen auftauchen, Muslime zum Beispiel.

Es sind also handfeste Ressourcenkonflikte, die Aversionen zwischen Religionsgemeinschaften auslösen.

Diese Interpretation ist indes unsere. Die Ausführungen von Helbling und Traunmüller legen sie nahe, aber die beiden trauen sich nicht so richtig, die Konsequenzen aus ihrer eigenen Argumentation zu ziehen. Sie ziehen sich lieber auf die folgende defensive, amorphe Hypothese zurück:

“Wir glauben, dass die Art und Weise wie ein Staat Religion reguliert, einen Einfluss auf die Einstellungen der … Bürger gegenüber muslimischer Einwanderung hat. Die enge Verbindung zwischen Staat und Kirche stärkt eine christliche Kulturidentität und führt zu negativen Einstellungen gegenüber neuen religiösen Gruppen”.(14)

Coser soziale KonflikteWarum man annehmen sollte, dass staatliche Regulierung die Einstellungen von Bürgern beeinflusst (und nicht etwa umgekehrt) und damit, dass die entsprechenden Bürger ohne die staatliche Regulierung wohl nicht in der Lage sind, eine entsprechende Einstellung zu bilden, ist uns nicht nachvollziehbar. Es ist uns schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil es eine Vielzahl von Theorien, gut bewährten Theorien gibt, die zeigen, dass der Konflikt um den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen Grundlage der meisten Gruppenkonflikte ist.

Randall Collins hat dies im Rahmen der soziologischen Konflikttheorie für Klassen, also für Arbeiter, Bürger und Unternehmer dargestellt. Jim Sidanius und Felicia Pratto haben dies im Rahmen ihrer (sozialpsychologischen) Social Dominance Theory dargelegt und belegt und nicht zuletzt basieren die meisten sozialstrukturellen Theorien zu Macht und Herrschaft von Robert K. Merton bis Lewis A. Coser auf der Annahme von Konflikten über den Zugang zu Ressourcen.

Wann immer eine Gruppe einen privilegierten Zugang zu Ressourcen erlangt hat, wird sie diesen Zugang gegen andere Gruppen verteidigen.

Wie Helbling und Traunmüller am Beispiel der 26 Kantone der Schweiz zeigen, haben christliche Religionsgemeinschaften die entsprechenden privilegierten Zugänge zu Ressourcen, u.a.:

  • An Sonntagen und religiösen Feiertagen müssen Geschäfte geschlossen bleiben.
  • Religiöse Angelegenheiten werden durch spezifisch dafür geschaffene Verwaltungsstellen geregelt.
  • Die staatliche Verwaltung zieht für Religionsgemeinschaften, die Kirchensteuer erheben, die Kirchensteuer ein.
  • Religiöse Gebäude, Kirchen, Kirchentage, Orte mit religiöser Bedeutung werden mit Steuermitteln Instand gehalten.
  • Aus Steuergeldern werden religiöse Seminare und Bildungseinrichtungen bezuschusst oder gar finanziert.
  • An staatlichen Hochschulen wird der religiöse Nachwuchs ausgebildet.
  • Die religiösen Organisationen werden direkt von der staatlichen Verwaltung unterstützt oder alimentiert.
  • Es gibt direkte Zuweisungen von Steuermitteln für bestimmte Tätigkeiten religiöser Organisationen.

Dies sind nur einige der Aussagen, die den Religious Support Index ausmachen. Helbling und Traunmüller haben die 17 Aussagen, aus denen sich der Index zusammensetzt für die 26 Kantone der Schweiz erhoben und dabei die Tatsache ausgenutzt, dass sich die schweizer Kantone im Hinblick auf die Verbandelung von Kirche und Staat zum Teil erheblich unterscheiden.

Dann haben sie aus der Schweizerischen Wahlumfrage die Einstellungen der Befragten zu Muslimen, zum Bau von Minaretten und zum Tragen eines Kopftuches entnommen und die Befragten auf die 26 Kantone verteilt und u.a. mit dem Religious Support Index in Verbindung gebracht.

Das Ergebnis ist erhellend:

Je intensiver staatliche Institutionen und religiöse Organisationen mit einander verbandelt sind, desto stärker ist die Ablehnung von Muslimen, dem Bau von Minaretten oder dem Tragen von Kopftüchern in der Bevölkerung, ein Ergebnis, das Helbling und Traunmüller als Beleg für ihre Hypothese werten, nach der die Verbandelung zwischen Kirche und Staat Bürgern eine christliche Kulturidentität vorgaukelt, die von den Bürgern dann in eine ablehnende Einstellung gegenüber Muslimen umgemünzt wird.

roter FadenWarum man derart mystische Wege annehmen sollte, auf denen die Verbandelung von Staat und Kirche und damit die nicht vorhandene Säkularisierung auf die Einstellungen von Bürgern wirkt, ist uns, wie gesagt, nicht nachvollziehbar, denn: mit einer zunehmenden Intensität der beschriebenen Verbandelung steigt die Anzahl derjenigen, die direkt oder indirekt vom privilegierten Zugang ihrer religiösen Organisation zu staatlichen Mitteln profitieren. Entsprechend steigt die Zahl derer, die durch den Anspruch von Muslimen, nunmehr auch an den (finanziellen) Ressourcen zu partizipieren, an deren Herstellung sie nun in vierter Generation beteiligt sind, insofern gefährdet sind, als sie damit rechnen müssen, dass ihr privilegierter Zugang zu staatlicher Finanzierung entfällt oder doch zumindest im Ausmaß reduziert wird, dass sie – mit anderen Worten – einen (finanziellen) Verlust erleiden werden.

Die Ablehnug von Muslimen wäre demnach nicht das Ergebnis einer wahrgenommenen amorphen kulturell-religiösen Bedrohung, sondern einer konkreten Bedrohung des eigenen privilegierten Zugangs zu staatlichen Ressourcen.

Helbling, Marc & Traunmüller, Richard (2015). Regeln – und was sie bewirken. Das Verhältnis von Staat und Religion prägt die Einstellung zu Muslimen. WZB Mitteilungen 147: 14-16.

Helbling, Marc & Traunmüller, Richard (2015a). How State Support of Religion Shapes Attitudes Toward Muslim Immigrants. New Evidence from a Subnational Comparison.

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