Vorsicht: Heute ist Tag der Organspende

Heute ist Tag der Organspende.

Das klingt wie: Heute ist Zahltag – also besser Sie sind vorsichtig.

“Organspenden retten Leben”, so schreibt die Bundesregierung anlässlich des Tages der Organspende. “Organspende ist gelebte Solidarität”, so steht einige Zeilen weiter zu lesen, obwohl es sich wohl eher um posthume Solidarität, denn gelebte Solidarität handelt. Das ist etwas sarkastisch von der Bundesregierung und dem Ernst der Lage nicht ganz angemessen, denn die Spende eines Organs, das Ausschlachten toter Körper zum Zwecke der Zweitverwertung, es ist eine Sache von Altruismus, eine Sache zum Wohlfühlen, eine Sache, die den guten Menschen erhebt und adelt: Wer würde nicht Leben retten, wenn er es könnte und im Tod kann man Leben retten, durch die Spende seiner Organe.Bundesregierung

In einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sagen dann auch 90% der 28%, die sich bereit erklärt haben, ein Organ zu spenden, sie “möchten anderen helfen” und “wären selbst auch froh, ein Organ zu erhalten, wenn sie eins brauchen würden”, um ihre Spende-Bereitschaft zu erklären. 78% der Befragten stehen einer Organspende “eher positiv” gegenüber, 68% wären grundsätzlich einverstanden, wenn man Ihnen nach ihrem Tod Organe und Gewebe entnimmt, und dennoch sagen 47%, dass sie kein Organ oder Gewebe spenden wollen.

mind the gapZwischen dem “eher positiv” Gegenüberstehen , dem grundsätzlich Einverstanden-Sein und der Verhaltensabsicht, ganz zu schweigen vom Verhalten besteht eine erhebliche Lücke, eine Lücke, die Einstellungsforscher täglich vor Augen haben. Es ist, trotz aller Modelle des geplanten Handelns bislang nicht gelungen, Einstellungen und Verhalten miteinander in Einklang zu bringen.

Das heißt: Wenn man Personen nach ihren Einstellungen fragt, z.B. danach, ob sie grundsätzlich bereit wären, ein Organ zu spenden, oder danach, ob sie der Organspende generell eher positiv gegenüberstehen, dann fallen die Zustimmungserwerte immer höher aus als die Zahlen derjenigen, die sich auch entsprechend verhalten, die ein Organ spenden.

So zeigen die Daten der Deutschen Stiftung Organtransplantation, dass die posthumen Organspenden seit Jahren rückläufig sind. 2014 wurden deutschlandweit 2.989 Organe gespendet, im Jahr davor waren es noch 3.035 – ein Rückgang von 0,5%, der fortführt was 2012 mit einem Rückgang von 13,8% und 2013 mit einem Rückgang von 27,2% begonnen hat und als erheblich nachlassende Spendebereitschaft bezeichnet werden muss.

… jedenfalls dann, wenn man sich in der realen Welt bewegt.

Dort scheint die Bundesregierung sich jedoch nicht zu bewegen.

“Die Bereitschaft zur Organspende hat zugenommen”, so verkündet der Schreiber der Bundesregierung direkt nach der emphatischen Überschrift: “Organspenden retten Leben”. Weiter unten wird als Beleg für die Zunahme der Spendenbereitschaft, die sich in einer Abnahme der gespendeten Organe dokumentiert, eine neue “repräsentative Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung” zitiert. Im Vergleich zur entsprechenden Umfrage im Vorjahr sind nunmehr nicht mehr 68%, sondern 71% der Befragten grundsätzlich bereit, ein Organ zu spenden.

Damit wären wir wieder bei dem Problem angekommen, dass eine Spendenbereitschaft keine Spende darstellt, dem Problem, dass aus einer positiven Einstellung nur in wenigen Fällen auch ein entsprechendes Verhalten wird. Deshalb sind Umfragen wie die repräsentative der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung so wertlos. Sie messen Einstellungen und interessieren sich überhaupt nicht dafür, ob die Einstellung in irgendeiner Weise ein entsprechendes Verhalten nach sich zieht.

Um sich dafür zu interessieren, müsste man nicht nur die entsprechenden wissenschaftlichen Kenntnisse, Kenntnisse z.B. der theoretischen Modelle, die Icek Ajzen und Martin Fishbein entwickelt haben, besitzen, man müsste sich auch für das Thema, das man bearbeitet, interessieren.

human organ tradeWie die Dinge liegen, geht es aber nicht darum, die Einstellung der Deutschen zur Organspende zu untersuchen und zu analyisieren, warum sich positive Einstellungen nicht in tatsächliche Spenden umsetzen, es geht einzig darum, eine Datengrundlage zu schaffen, die in einem Pressebericht bejubelt werden kann: “Die Bereitschaft zur Organspende hat zugenommen” und “Hauptmotiv für die Bereitschaft zur Organspende ist der Wille anderen Menschen zu helfen. Denn Organspende ist gelebte Solidarität”, so liest sich das dann bei der Bundesregierung.

Und wer wollte da nein sagen und darauf bestehen, komplett eingeäschert zu werden oder komplett im Boden zu versinken? Ziemlich viele, wenn man die rückläufigen Zahlen der tatsächlichen Organspenden betrachtet. Offensichtlich wirkt affektiver Druck auf die Bevölkerung nicht im gewünschten Sinne. Offensichtlich ist die Ablehnung der Organspende größer als der Bundesregierung lieb ist, für die man sich fragen muss, wo die Versessenheit auf Organspende herkommt?

Sicher nicht von Menschenliebe, auch wenn die Tränendrüse bei Organspende heftig bemüht wird: “Alle acht Stunden stirbt ein Mensch, weil kein passendes Organ zur Verfügung steht”. Schon eher aus Sorge um die Klientel derer, die mit Organspende ihr Geld verdienen, denn die Menschenliebe führt nicht soweit, dass der Handel mit Organen, die Transplantation derselben gratis wäre, vielmehr ist er ein großes Geschäft mit gezinkten Karten:

“Organspenden retten Leben”, wird großgedruckt verkündet. Das Kleingedruckte fehlt: In vielen Fällen kann es zu einer Abstoßung des Organs kommen. In den Fällen, in denen ein Organ nicht sofort abgestoßen wird, ist die Einnahme von Medikamenten zur Unterdrückung des Immunsystems dauerhaft notwendig. Die Unterdrückung des Immunsystems kann zu Krankheit führen. Eine Abstoßung des transplantierten Organs kann auch nach Jahren noch erfolgen.

Die Bereitschaft, ein bestimmtes, gewünschtes Verhalten zu zeigen, ist bei vielen Menschen Ergebnis des Glaubens, fair und umfassend informiert worden zu sein. Organhandel wird umgeben von einer Wolke der Undurchsichtigkeit, sowohl was die Summen angeht, die mit der Transplantation verdient werden können als auch was die Probleme angeht, die sich mit einer Transplantation verbinden, davon, dass mehr Menschen sterben, weil sie nicht auf eine Warteliste aufgenommen werden (weil sie zu krank, zu dick oder zu verraucht sind) als auf der Warteliste sterben, ganz zu schweigen.

Zeit für eine Ehrlichkeits-Offensive? Immerhin ist Tag der Organspende.

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