Gealterte Jugendbande: Wer oder was ist die Antifa?

Die Zeiten ändern sich.

Ein guter Indikator dafür, dass der politische Wind langsam aber stetig eine andere Richtung nimmt, ist das Deutsche Jugendinstitut (DJI).

Als wir 2002 “Bringing Boys Back In” veröffentlicht und darauf aufmerksam gemacht haben, dass Jungen im deutschen Bildungssystem erhebliche Nachteile haben, da war die Aufregung groß im DJI. Nicht nur deshalb war die Aufregung groß, weil im DJI bis 2002 diejenigen, deren Beitrag darin bestanden hat, die schlimmen Nachteile von Mädchen im deutschen Schulalltag zu beklagen, stark vertreten waren, sondern auch deshalb, weil aus dem Familienministerium erheblicher Druck auf die weitgehend durch das BMFSFJ finanzierten Münchner Jugendforscher ausgeübt wurde, die sich so gänzlich unfähig gezeigt hatten, öffentlich zugängliche Daten des Statistischen Bundesamts zusammenzustellen und zu interpretieren. Als Konsequenz ergab sich hektische Betriebsamkeit und heftige Publikationsaktivität (selbst ein Buch über Methoden der empirischen Sozialforschung soll angeschafft worden sein…).

Das DJI ist entsprechend ein guter Lackmustest dafür, ob sich etwas ändert.

DJI Impulse 12015Deshalb ist es interessant, dass in den DJI Impulsen 1/2015, die dem Thema “Jung und radikal – Politische Gewalt im Jugendalter” nicht nur die üblichen Lamento von Islamismus und Rechtsextremismus zu lesen sind, nein, es findet sich ein Beitrag über die Antifa, ein Beitrag, der die Antifa offen als gewaltbereit und gewalttätig einordnet (mit einem Rückzieher, zu dem wir noch kommen).

Erstaunlich!

Gewalt wird also auch dann als Gewalt bezeichnet, wenn sie von links kommt.

Das war bislang nicht (immer) so.

Verantwortlich für den Beitrag “Gewalt der Antifa: Mythos und Realität” ist Dr. Nils Schumacher, der an der Hochschule Esslingen wissenschaftlicher Mitarbeiter ausgerechnet im Projekt “Rückgrat! Eine Wissenschafts-Praxis-Kooperation gegen Rechtsextremismus” ist.

In einer Fleißarbeit hat Schumacher zusammengestellt, was die Forschung bislang über die Antifa gesammelt hat:

Hier im Schnelldurchlauf:

  • Die Antifa hat mit rechten Gegnern einen eindeutigen ideologischen Bezugspunkt, d.h. ohne Rechte keine Antifa.
  • Es gibt bundesweit zwischen 150 und 200 Gruppen der Antifa.
  • Die Antifanten sind in ihrer Mehrheit zwischen 25 und 30 Jahre alt, was die Rede von der Jugendkultur etwas müde ausschauen lässt, es sei denn, man ist der Ansicht, dass der Reifungsprozess bei Mitgliedern der Antifa langsamer verläuft und entsprechend länger benötigt, die Jugendphase entsprechend bis ins vorgeschrittene Alter von 30 Jahren reicht.
  • Die Antifa wird dem undogmatischen Linksextremismus zugeordnet, bezieht sich auf kommunistische Faschismusanalysen, was den Kurzschluss zwischen Faschismus und Kapitalismus, die für Antifanten beide Feinde sind, erklärt. Geistig ist die Antifa somit in der Weimarer Republik stehen geblieben.
  • Ziel der Antifa ist eine “grundsätzliche gesellschaftliche Umwälzung” in den beschriebenen Kommunismus, was mit einer Ablehnung des Leistungsprinzips einhergeht.
  • Besonders wichtig für die Antifa ist die Selbstinszenierung als gewaltbereite, gewalttätige, militante Gruppe. Diese Selbstinszenierung ist der Kern, der die Antifanten zusammenhält. Die eigene Gewaltbereitschaft und Ausübung von Gewalt soll die Antifa von der Mehrheitsgesellschaft absetzen. Die Antifa schmückt sich einerseits mit Militanz, andererseits wird der Antifa Militanz zugeschrieben, was nur deshalb möglich ist, weil Mitglieder der Antifa gewalttätig sind, oder wer wäre je auf die Idee gekommen, Mahatma Gandhi Militanz und Gewaltbereitschaft zuzuschreiben.
  • Insgesamt erinnert die Darstellung der Daten, die über die Mitglieder der Antifa vorhanden sind, an die Monographien “Street Corner Society” von William F. Whyte und “The Gang”, von Frederic Trasher, in denen die Autoren Jugendbanden darstellen und vor allem die wichtige Rolle, die Gewalt für den Zusammenhalt von Jugendbanden spielt, beschreiben. Die Antifa wäre entsprechend eine gealterte Jugendbande.

All das, was wir bislang zusammengetragen haben, berichtet Nils Schumacher mit Bezug auf die Forschung Dritter. Und dann interpretiert er selbst. Das hätte er lieber lassen sollen, denn es wird lächerlich:

Antifa Gewalt“Das Bild einer gewalttätigen Antifa muss deshalb aufgrund seiner Eindimensionalität infrage gestellt werden. Zum Ersten entsteht die militante Selbstdarstellung nicht allein im Rahmen des politischen Konflikts, sondern auch im Rahmen der Jugendkultur, sie hat hier aber eine gänzlich andere Funktion. Zum Zweiten werden Gewalt und Gewaltinszenierung innerhalb der Antifa ausführlich diskutiert. Diese Debatte trägt oft selbstkritische Züge, dient jedoch auch der Legitimation des eigenen Vorgehens (Schuhmacher 2014). Zum Dritten ist der größere Teil der Aktivitäten gar nicht gewalttätig, sondern beschränkt sich auf die Organisation von Solidarität, auf Demonstrationen, aufklärerische Aktionen oder Diskussionen (BRAVO/Weber 2015), profitiert aber gleichzeitig von dem produzierten Image.”

Hier zeigt sich, dass Schumacher wohl lieber gegen Rechtsextreme schreibt als gegen die Antifa. Man stelle sich vor, er hätte dasselbe über eine beliebige rechte Gruppe geschrieben, deren Mitglieder dafür bekannt sind, bei Demonstrationen gegen Linke fremdes Eigentum zu zerstören und sich mit der Polizei oder Gegendemonstranten zu prügeln. Was würde wohl passieren, wenn Schumacher versuchen würde, die tatsächliche Gewalt, die von dieser rechten Gruppe ausgeht, damit zu rechtfertigen und zu verniedlichen, dass er auf Diskussionen innerhalb der rechten Gruppe hingewiesen hätte und darauf, dass die meisten Mitglieder sowieso nur Mitglied sind, weil sie in Gesellschaft Bier trinken und Rechtsrock hören wollen.

Nicht auszudenken…

… und ein gutes Beispiel dafür, wie Intellektuelle dieselbe Gewalt unterschiedlich bewerten, je nachdem, wer sie verübt hat. Wenn also das nächste Mal die Scheibe ihres Ladens in der Leipziger Innenstadt zu Bruch geht und es wieder einmal linke Gewalttäter waren: Trösten Sie sich damit, dass die Gewalttäter im Vorfeld oder im Nachhinein darüber diskutiert haben, ob es sinnvoll ist, Fensterscheiben von Läden einzuschlagen. Das macht es doch besser – oder?

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