Totaler Durchgriff: Frühsexualisierung als Grenze der Privatheit und Homophobie

Wissenschaftliche Vorrede:

Die Degeneration der institutionellen Soziologie

[diejenigen, die gleich wissen wollen, ob Sie homophob sind, können die Vorrede überspringen]

“Soziologie (im hier verstandenen Sinne dieses sehr vieldeutig gebrauchten Wortes) soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und in seinen Wirkungen ursächlich erklären will”

Esser_SoziologieMax Weber hat dies geschrieben. Man kann die Definition den heutigen Soziologen nicht oft genug vorbeten: Soziologie dreht sich darum, soziales Handeln, also das sinnhafte Handeln, das sich auf andere richtet, zum einen zu verstehen und zum anderen zu erklären. Es geht nicht darum, soziales Handeln zu bewerten oder sich zum Vorreiter dessen zu machen, was man als vermeintliche Emanzipation ansieht. Und schon gar nicht geht es darum, Heilsbotschaften zu verkünden.

Emile Durkheim, der vor Weber mit der Soziologie befasst war, hat den Gegenstand der soziologischen Erklärung als sozialen Tatbestand, als gesellschaftliche Manifestation sozialen Handelns gefasst.

James Coleman hat die Sozialtheorie dazu geliefert: Menschen handeln rational, auf ein Handlungsziel gerichtet, sie handeln miteinander und innerhalb eines Möglichkeitsraums. Die Interaktionen zwischen Menschen haben Folgen, beabsichtigte und unbeabsichtigte, und alle Folgen zusammen haben gesellschaftliche Konsequenzen.

Will man z.B. erklären, warum viele angebliche Inhaber soziologischer Lehrstühle so erbärmlich wenig von dem wissen, was Soziologie sein soll, dann stellt sich die Frage, wie man die gesellschaftliche Konsequenz, die daraus folgt, die Degeneration der Soziologie über das Handeln und den Handlungsspielraum von Akteuren erklären kann.

Entsprechend beginnt die Erklärung bei den Randbedingungen, z.B. damit dass Universitäten für immer weniger Wissenschaftler attraktiv sind, weil die Arbeitsbedingungen erschreckend schlecht sind, damit, dass an soziologischen Instituten nur noch eine bestimmte Art von Absolvent mit Ambition auf einen Lehrstuhl zu finden ist. Die Erklärung geht weiter mit der Handlungstheorie: Für immer mehr Inhaber soziologischer Lehrstühle ist der Opportunismus zum rationalen und automatisierten Handeln geworden. In der Gesamtschau opportunistischer Lehrstuhlbesetzer, die durch bestimmte unattraktive Randbedingungen, die als Selektionsprinzip wirken, erst möglich geworden sind und die durch ihre Anwesenheit und ihr Handeln dazu führen, dass die entsprechenden Randbedingungen noch verstärkt werden, dass die Soziologie als Fach noch uninteressanter wird, ergibt sich auf der Ebene der Gesellschaft eine Soziologie, die als Fach degeneriert ist.

Besonders deutlich wird die Degeneration am Verschwinden zentraler soziologischer Begriffe aus dem soziologischen Wortschatz, den zudem immer weniger beherrschen. Begriffe wie Macht und Herrschaft oder Interesse – wer kennt sie noch? Wo gibt es noch Soziologen, die Gesellschaft als Spiel der Interessen ansehen, wie dies Robert K. Merton getan hat? Was ist aus der Erkenntnis geworden, dass gesellschaftliche Gruppen versuchen, im Spiel der Interessen für sich das bessere Ende zu haben, denn der Preis des Spiels, die Belohnung, das ist der Zugang zu Ressourcen.

ColemannUnd hier wird es politisch: Zugang zu Ressourcen findet in Demokratien über die Regierung und ihre Verwaltung statt. Zugang zu Ressourcen finden die Interessen und ihre Vertreter, die es schaffen, die eigenen Interessen als legitim darzustellen. Legitimität ist wichtig, denn wird Interessenvertretern Zugang zu Ressourcen gewährt, die von einer Mehrheit derjenigen, die den Zugang nicht oder auch haben, als illegitim angesehen werden, dann gibt es Wider- und zuweilen Aufstand.

Und weil der Kampf in Demokratien darum geht, die eigenen Interessen als legitim darzustellen, um Zugang zu Ressourcen zu gewinnen, deshalb wird mit harten Bandagen um die Legitimität gestritten, d.h. es wird versucht, die Vertreter konkurrierender Interessen zu delegitimieren, sie aus dem Rennen zu boxen, um ungehindert z.B. am von Steuerzahlern gefüllten Trog grasen zu können.

Allein die Tatsache, dass die Konkurrenz um Ressourcen in vermeintlich demokratischen Systemen die Delegitimierung und oftmals die Diffamierung konkurrirerender Interessenvertreter zum Gegenstand hat, sollte bei Soziologen auf irgend eine Art von Ressonanz stoßen (und natürlich auch bei Politikwissenschaftlern, aber mit wenigen Ausnahmen waren Politikwissenschaftler immer die besseren Verschläfer gesellschaftlicher Entwicklungen).

Warum ist soziales Handeln unter Interessenvertretern nicht darauf gerichtet, für die eigenen Interessen zu werben, sondern darauf, konkurrierende Interessen abzuwerten, zu stigmatisieren, sie zu delegitimieren und aus dem Feld der legitimen Interessen auszuschließen? Woraus sonst, wenn nicht aus dem Interessenkonflikt besteht das soziale Leben, und warum wird gerade diese Normalität so erbittert bestritten?

Warum ist keine andere soziale Interaktion zwischen sozialen Akteuren, zwischen Interessenvertretern möglich als Anfeindung und Konflikt?, so sollten sich Soziologen fragen, denn die Konsequenzen aus dem Versuch, Ressourcenzugänge zu monopolisieren und ganze gesellschaftliche Gruppen auszuschließen, waren selten friedlich.

Die Grenze der Privatheit

1984Viele Soziologen sehen die beschriebene Entwicklung nicht. Schlimmer noch: Viele sind Teil der entsprechenden Entwicklung, machen sich gemein mit bestimmten Interessenvertretern und beteiligen sich an der Diffamierung widerstreitender Interessenvertreter. Sie stereotypisieren, verbreiten Vorurteile und bewerten, kurz, sie tun all das, was Max Weber als Afterwissenschaft bezeichnet hat. Sie besetzen Lehrstühle für Soziologie und haben doch keine Ahnung davon, was Soziologie eigentlich meint. Entsprechend geht die institutionalisierte Soziologie als Wissenschaft unter, wird sie zur Witzveranstaltung, die kein Wissenschaftler mehr Ernst nehmen kann.

Das war eine lange und notwendige Vorrede, um zu erklären, warum die institutionalisierte Soziologie stirbt: Es sind Lehrstuhlbesetzer wie Sarah Speck aus Tübingen, die die Sargnägel einschlagen und dafür sorgen, dass Soziologie zu blasiertem Geschwätz und von Sachkenntnis ungetrübter Kinderei verkommt.

Speck hat es zum Deutschlandradio geschafft und hat dort ein Interview zur “Debatte um sexuelle Vielfalt” gegeben. Warum ausgerechnet Speck zu diesem Thema ein Interview gibt, was Speck qualifiziert, außer der Tatsache, dass sie einen Lehrstuhl in Tübingen vertritt, ist eine Frage, die ohne Antwort bleiben muss.

Speck verkündet. Sie verkündet Weisheiten, die man langsam nicht mehr hören kann.

Es geht um den Widerstand gegen Frühsexualisierung, gegen u.a. die Pläne der Baden-Württembergischen Landesregierung, durch alle Schulklassen und Altersstufen, die gesellschaftliche Diversität, worunter keine Diversität nach Intelligenz, nach sozialer Klasse oder nach Arbeitsbelastung gemeint ist, sondern eine Diversität nach sexueller Orientierung, [was läge näher?] zum grundlegenden Tenor der Abfassung von Lehrmaterialien zu machen.

Dagegen gehen Eltern auf die Straße. Mehrere Tausend Eltern. Dagegen gibt es eine Petition. Mehr als 150.000 Menschen haben sie unterzeichnet. Diese Menschen, ihre Motivation, ihre Ziele, die Ursache ihres Ärgers und die Erklärung dafür, warum sie so aufgebracht sind, dass sie sogar auf der Straße demonstrieren, diese sozialen Tatbestände, dieses soziale Handeln, es wäre eigentlich der Gegenstand der Soziologie. Gegenstand der Politikwissenschaft, aber das nur nebenbei bemerkt, wäre es, die Delegitimierung des Politischen, wie sie in derartigen Demonstrationen zum Ausdruck kommt, zum Anlass zu nehmen, um die Responsivität der Baden-Württembergischen Landesregierung zu untersuchen, denn Politikwissenschaftler gehen immer noch mehrheitlich davon aus, dass Regierungen und Parteien auf Wähler reagieren, deren Ideen, Interessen und Wünsche aufnehmen und nicht etwa umgekehrt, dass Parteien und Regierungen Wählern ihre partikularen Interessen aufzwingen.

Forschung, wie die beschriebene, findet in Deutschland jedoch kaum mehr statt. Warum nicht? Weil Ideologen die Universitäten bevölkern, und Ideologen müssen nicht forschen, sie wissen schon. So wie Sarah Speck weiß, dass die Kritiker des Baden-Württembergischen Bildungsplans verunsichert sind, denn so weiß sie auch, wir leben in “Zeiten rapiden gesellschaftlichen Wandels. Das heißt in Zeiten einer gesellschaftlichen Verunsicherung, die vielfach unter dem Stichwort Prekarisierung geführt wird, … gibt es dann ein Bedürfnis nach klaren Identitäten … ”

RokeachWer das zirkuläre Gerede nicht gleich durchblickt: Es gibt für Speck die Richtigen, die den rapiden gesellschaftlichen Wandel wegstecken. Und es gibt die Schwachen, die Dummen oder Falschen, die den gesellschaftlichen Wandel nicht wegstecken. Der gesellschaftliche Wandel besteht zum Beispiel darin, dass Kindern in der Kindertagesstätte sexuelle Orientierungen nahe gebracht werden müssen, woran man sieht, wie klein die geistigen Brötchen sind, die vermeintliche Soziologen heute backen. Vorbei sind die Zeiten großer Gesellschaftsenwürfe. Heute findet gesellschaftlicher Wandel im Kindergarten statt, per Sexualkunde. Wäre es nicht so traurig, man müsste wirklich lachen, ob der spießbürgerlichen Beschränktheit neuronaler Prozesse, die sich darin offenbart. Doch zurück: Wer nicht will, dass seinem Fünfjährigen oder seinem Achtjährigen reiner Wein über die Techniken sexueller Stimulation zwischen homosexuell Interagierenden vermittelt wird, der ist also für Speck verunsichert, der ist falsch und hält nicht Schritt mit dem gesellschaftlichen Wandel.

Und wenn er dann protestiert, ob auf der Straße oder per Petition, dann ist er “sicherlich als homophob [zu] bezeichnen”. Die kleine Welt der Sarah Speck, sie ist rigide geordnet, so rigide, dass man fast schon von einem closed mind sprechen kann, denn dass jemand schlicht nicht will, dass seinen Kindern sexuelle Orientierungen in der Schule eingetrichtert werden oder keinen Sinn damit verbindet, das kommt der Speck gar nicht in den Sinn.

Erschreckend.

An die Stelle der soziologischen Analyse tritt bei der Lehrstuhlvertreterin aus Tübingen die Zuweisung und Bewertung. Was soll man auch sonst tun, außer zuweisen und bewerten, wenn man von Soziologie keine Ahnung hat, aber eines ganz genau weiß: Das man selbst zu den Guten, Richtigen und nicht Verunsicherten gehört, jedenfalls so lange man sich im Schutzraum der eigenen “imaginierten” Realität bewegt?

Und weil Speck so voller Zuversicht ist, dass Sie richtig, gut und intelligent ist, fallen alle rationalen Schutzwälle, die im Gehirn normalerweise gegen das Äußern von intellektuell minderwertigen Inhalten errichtet werden. Und heraus, aus dem Speckschen Mund, kommt das:

“Ich glaube, dass das Private, also die Frage von Lebensführung selbstverständlich eine politische Frage ist. Inwiefern sich da der Staat einzumischen hat oder nicht, ist natürlich eine Frage, die stets aufs Neue wieder diskutiert wird. Aber ich denke, dass die Einschätzung, dass der Bildungsplan im Wesentlichen als Teil eines gesellschaftlichen Transformationsprozesses zu verstehen ist und sich insofern an eine Realität anpasst, die vorhanden ist.”

Hier schreit der Politikwissenschaftler in der Redaktion, und zwar vor Schmerz.

Es gibt viele Definitionen des Politischen und damit dessen, worauf sich politische Fragen richten können. Das Private ist jedoch in keiner Definition enthalten. Es ist gerade das Gegenteil des Politischen, denn was Menschen in ihren Wohnungen oder abends vorm Fernseher machen, das ist keine politische Frage, es geht die Politik schlicht und ergreifend nichts an, kann sie nichts angehen, wie ein Blick darauf zeigt, was Politik ist und was entsprechend politische Fragen sein können.
Aleman Powi

Politik ist zunächst einmal “die Lehre von den Staatszwecken”, das stand schon 1903 im Brockhaus und zu den Staatszwecken gehört das Chipsessen auf dem Sofa ganz offensichtlich nicht. Bergsträsser hat 1961 die Politik als “Kunst, die Führung menschlicher Gruppen zu vollziehen” definiert. Auch diese Definition des Politischen zieht eine Grenze zur Privatheit, denn die Privatheit ist gerade nicht der Ort, der politischen Führung. Sie ist es nur in totalitären Entwürfen wie z.B. in Orwells 1984. Aber vielleicht ist es ja das, was Speck vorschwebt? Damit begäbe sich Speck in krassen Gegensatz zu Franz L. Neumann, der die Politikwissenschaft, als Wissenschaft des Politischen als die Wissenschaft, die politische Fragen stellt, als “Wissenschaft von der Freiheit” definiert hat und Freiheit verlangt es, das Private zu respektieren.

Darüber gibt es auch nichts zu diskutieren, wie Speck im Hinblick darauf, “[i]nwiefern sich da der Staat einzumischen hat oder nicht” meint. Der Staat hat sich überhaupt nicht in das Private einzumischen, auch dann nicht, wenn es einer Sarah Speck, die so offensichtlich über keinerlei politische Grundbildung verfügt, so dass man sich fragt, wo sie den Mut zu solchen Interviews hernimmt, gefallen würde. Vielleicht beherbergt Speck ja einen kleinen Voyeur, der die Grenzen der Privatheit gerne überschreiten würde.

Wir fassen zusammen:

Speck vertritt einen Lehrstuhl für Soziologie.

Speck ist offensichtlich nicht an soziologischer Analyse, sondern an Bewertung und De-Legitimierung interessiert.

Speck ist bemüht, Interessen von Menschen, die sich Interessen einer grün-roten Landesregierung gegenübersehen, die sie als Übergriff in einen Bereich ihrer Privatheit ansehen, zu delegitimieren, nicht sie zu erklären oder gar zu verstehen, wie das ein Soziologen tun würde.

Speck macht sich gemein mit denen, deren Handlungen und vor allem deren Handlungsfolgen es ihre Aufgabe wäre zu untersuchen. Das ist eine Schande für die Wissenschaft!

Es sind Lehrstuhlbesetzer wie Speck, die die Soziologie und andere Sozialwissenschaften in Deutschland in Misskredit bringen und dafür sorgen, dass all die Errungenschaften, die als Folge der Popperschen und empirischen Revolution der 1960er und 1970er Jahre Einzug in die Soziologie gehalten haben, wieder verschwinden, und mit ihnen verschwindet ein Fach, das auf dem Sprung von der vor- in die normalwissenschaftliche Phase der Kuhnschen Typologie war.

Prof. Dr. Günter Buchholz hat sich Frau Speck unter der Überschrift “Der feministisch-homophile heterophobe Diskurs” angenommen.

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