Menschen sind weder sozial noch altruistisch – Beides muss gelernt werden

Menschen sind weder Herdentiere noch verhinderte Mütter Theresa, die anderen ihren Altruismus aufzwingen.

Die Forschungsergebnisse, die diese Aussage belegen, sie werden immer zahlreicher.

Egal, was Politiker sich wünschen, egal, wie versucht wird Menschen zu manipulieren, sie sind zweierlei nicht: altruistisch von Haus aus und sozial per Geburt.

Altruismus muss man sich leisten können. Denn um selbstlos zu geben, muss man etwas haben, das man z.B. aus Mitleid geben kann: Ohne Mantel kein St. Martin sozusagen.

Und sozial sind Menschen nicht von Geburt an. Das Soziale, es verlangt von Menschen, dass sie zusammenleben, dass sie sich miteinander arrangieren und vor allem: dass sie miteinander kooperieren.

self helpGerade Kooperation ist schwierig und wie eine Untersuchung von Valerio Capraro und Giorgia Cococcini zeigt, Kooperation ist erlernt und nicht angeboren. Und weil Kooperation gelernt werden muss, ist das Ausmaß an Kooperationsbereitschaft das Ergebnis individueller Erfahrungen. Individuelle Erfahrungen wiederum macht man in einem Kontext.

Das moderne Herdenzeitalter hat dazu geführt, dass man anderen und dem, was sie sich als Regeln, Normen und Übergriffen überlegt haben, kaum mehr aus dem Weg gehen kann, entsprechend reden Soziologen und Psychologen davon, dass individuelle Erfahrung in einen gesellschaftlichen Kontext eingebettet ist.

Kurz: Die Kooperationsbereitschaft eines Individuums hängt von der Erfahrung ab, die dieses Individuum in der Vergangenheit gemacht hat, und sie hängt vom gesellschaftlichen Kontext ab: Herrscht Vertrauen in einer Gesellschaft, weil z.B. gesellschaftliche Institutionen Vertrauen befördern, etwa dadurch, dass Transparenz herrscht, Korruption kaum bis gar nicht vorhanden ist und dem Einzelnen mit Wertschätzung begegnet wird, dann ist Kooperation eine Voreinstellung, denn der gute Wille, den man anderen entgegenbringen muss, um mit ihnen zu kooperieren, dieser gute Wille wird durch die gesellschaftliche Umgebung befördert.

Anders in Gesellschaften, in denen Nepotismus und Korruption herrschen, in denen Individuen relativ sicher sein können, dass versucht wird, sie in Kooperationen zu lullen und dann übers Ohr zu hauen. Dort lernen Individuen, dass es besser ist, nicht zu kooperieren.

Dies ist in Kurz die Idee, die hinter der Social Heuristics Hypothesis (SHH) steht, und es ist die  Idee, die in einer Reihe von Untersuchungen bestätigt wurde (z.B. Rand, Green & Nowak, 2012 bzw. Rand et al., 2014). Und es ist die Idee, die Capraro und Cococcioni (2015) abermals bestätigt haben.

449 Inder wurden von Capraro und Cococcioni vor einen Computer gesetzt und mit einer Situation konfrontiert, die in der Spieltheorie als Gefangenen-Dilemma bekannt ist. Hier die Anweisung für die Teilnehmer an der Untersuchung:

“You and the other participant are both given $0:20 US dollars. You and the other participant can transfer, independently, money to the each other. Every cent you transfer, will be multiplied by 2 and earned by the other participant. Every cent you do not transfer, will be earned by you. How much do you want to transfer?” [Sie und der andere Teilnehmer haben beide 0,20 US Dollar. Sie und der andere Teilnehmer können unabhängig voneinander Geld zueinander transferieren. Jeder Cent, den Sie transferieren, wird mit 2 multipliziert und dem anderen Teilnehmer gutgeschrieben. Jeder Cent, den Sie nicht transferieren, wird ihnen gut geschrieben. Wieviel wollen Sie transferieren?”]

Diese Versuchsanordnung wurde unter Zeitdruck (Entscheidung innerhalb von 10 Sekunden) und unter relativer Entscheidungsruhe (Entscheidung innerhalb von 30 Sekunden) gespielt. Im Ergebnis haben sich die Teilnehmer in beiden Versuchsanordnungen entschieden, im Durchschnitt 28% ihres Guthabens zu transferieren.

Damit liegt der Anteil des transferierten Einkommens weit unter dem Anteil, der bei den gleichen Experimenten z.B. in den USA transferiert wird und der dort bei durchschnittlich rund 50% liegt. Capraro und Cococcioni führen den Unterschied auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexte zurück: Einerseits sei Indien ein Land, in dem Nepotismus und Korruption für jeden sichtbar endemisch sind, andererseits gelten die USA als “hight-trust culture”, d.h. als Land, in dem kleinräumige Communities, in denen sich die Individuuen bewegen, Kooperation befördern.

Ob Menschen kooperieren, ob sie altruistisch sind, hängt demnach vom gesellschaftlichen Kontext ab. Menschen ist Sozialität und Altruismus nicht angeboren.

Wenn man sich etwas zurücklehnt und dieses Ergebnis, das in einer Reihe entsprechender Ergebnisse steht, wirken lässt, kommt man schnell zu dem Punkt, an dem man sagt: Wie anders sollte es sein?

Throng of peopleWie kann man annehmen, Menschen würden sich im Rudel wohlfühlen und gerne von dem, was sie haben, andere durchfüttern? Entsprechende Annahmen sind nur denen möglich, die davon profitieren, dass sie anderen einreden, es wäre so.

Menschliches Leben ist in erster Linie darauf gerichtet, sich selbst zu erhalten. Selbsterhalt kann man durch Tausch und Kooperation befördern. Voraussetzung dafür: Es gibt etwas zu tauschen, und es gibt die Sicherheit, dass man im Rahmen einer Kooperation nicht ausgenutzt wird.

Erst dann, wenn etwas zu tauschen da ist und wenn Sicherheit besteht, dass der Versuch, mit X zu tauschen, nicht dazu führt, dass man von X bestohlen wird, gibt es Kooperation und als Folge institutionalisierter Tauschbeziehungen Sozialität.

Nun kann man sich fragen, warum es eine recht stattliche Anzahl von Leuten gibt, die das Gegenteil erzählen, die behaupten, Menschen wollten anderen mehr geben als sich selbst, seien sozial Tiere, die nur in der Herde ihr Glück finden, seien von Geburt an kooperativ? Und man kann sich selbst zur Antwort geben, dass diese Erzählung denen, die sie erzählen, einen Vorteil verschaffen muss, da man Menschen, die meinen, sie seien altruistisch, prima ausnutzen kann und Menschen, die meinen, die ständigen Übergriffe anderer seien das Soziale, sich nicht wehren.

Capraro, Valerio & Cococcioni, Giorgia (2015). Social Setting, Intuition, and Experience in Lab Experiments Interact to Shape Cooperative Decision-Making.

Rand, David G., Greene, Joshua D. & Nowak, Martin A. (2012). Spontaneous Giving and Calculated Greed. Nature 489: 427-430.

Rand, David G., Peysakhovich, Alexander, Kraft-Todd, Gordon T., Newman, George E., Wurzbacher, Owen, Nowak, Martin A. & Greene, Joshua D. (2014). Social Heuristics Shape Intuitive Cooperation. Nature Communications April 2014.

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