Die Spinnen, die Franzosen – Gutmenschen und ihre Vorurteile

Langsam gehen den guten Menschen die Gruppen aus, die man benutzen kann, um sie in paternalistischer Überheblichkeit vor Diskriminierung und vermeintlichen Hassreden in Schutz nehmen zu wollen.

Frauen waren vorvorgestern.

Migranten waren vorgestern.

Homosexuelle waren gestern.

Wer kommt heute?

Na?

Die Armen!

Obelix spinnenDie Times berichtet von einer Gesetzesvorlage, für die Yannick Vaugrenard, ein französischer Sozialist, verantwortlich zeichnet. Die Gesetzesvorlage hat die ersten Hürden zum Gesetz in der französischen Nationalversammlung bereits genommen. Entsprechend droht demjenigen, der in Frankreich Arme beleidigt, der ihnen Arbeit, Unterkunft oder ärztliche Versorgung verweigert, eine Geldbuße bis 45.000 Euro (Was das für die französischen Arbeitsämter bedeutet, ist bislang noch unklar…).

Warum auch nicht?

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Arme an die Reihe kommen.

Bleibt nur zu klären, wer als arm gilt, und dann sind da noch ein paar Nebensächlichkeiten:

Ab wann ist ein Armer als beleidigt anzusehen?

Ist es eine Stereotypisierung, die als Beleidigung zu werten ist, wenn man einen Armen vor Beleidigung als Armer in Schutz nehmen will?

Wie beleidigt man eigentlich einen Armen? Was ist die spezielle Form der Armenbeleidigung? Ist “Du Armer”, eine Beleidigung?

Ab wann wird aus der Beleidigung eine Aussage über die Realität – ab Unterschreitung eines Nettoeinkommens von 1000 Euro?

Ist ein armer Arbeiter eher beleidigungsfähig als ein armer Bauer oder ein armer Sozialist? Was ist, wenn der Arme ein Migrant oder schlimmer noch: eine Frau ist? Zählt die Beleidigung dann doppelt?

Was wird aus Francois Hollande, der Arme nach Zeitungsberichten als “Zahnlose” bezeichnet? Wie hoch ist sein Bußgeld?

Fragen über Fragen.

Und dann interessiert uns noch in Bezug auf die Armen, ob sie demnächst auch im Louvre ausgestellt werden, unter einer gemalten Brücke und in Zeitungspapier gewickelt.

Unsere Einschätzung zu all dem: Die spinnen, die Franzosen – und in bestem Asterix-Latein: Beati Pauperes Spiritu.

Reiche darf man in Frankreich übrigens gefahrlos beleidigen – Sozialisten haben ihre eigene Un-Moral.

Interessant ist aus wissenschaftlicher Sicht, wie Gutmenschen hier wieder einmal ihre eigenen Vorurteile erstens anderen unterschieben wollen und zweitens zur essentialistischen Wahrheit erklären.

Dazu ein kurzer Ausflug in die Sozialpsychologie.

Dort hat sich die Unterscheidung zwischen nützlichen Stereotypen und unnützen Vorurteilen eingebürgert:

Social psych“One way to conceptualize prejudice is as a stereotype gone awry. A stereotype can be thought of as the cognitive component of an attitude or the knowledge you have stored in memory about some group of people. Stereotypes become problematic when we generally apply them to all members of a group without regard to those individuals’ unique characteristics. Furthermore, when a stereotype contains biased and negative information about a particular group of people, the stereotype begins to look like a prejudice. Finally, when a biased negative stereotype becomes coupled with a negative affect or emotional reaction towards all (or most) people belonging to that group, a prejudice results” (Pastorino & Doyle-Portillo, 2010, S.375).

Stereotype sind demnach nützliche Shortcuts, um sich in der Realität zurechzufinden. Der Witz an einem Stereotyp ist, dass derjenige, der es an z.B. eine andere Person heranträgt, bereit ist sich zu korrigieren, wenn er bemerkt, dass seine stereotypisierte Erwartung nicht mit der Realität vereinbar ist.

Bei Vorurteilen ist dies anderes. Vorurteile sind denen, die sie haben, so wichtig, dass sie keiner Veränderung offen stehen: Sie bestehen, obwohl es in der Realität falsifizierende Beobachtungen gibt. Sie werden entgegen der Realität aufrecht erhalten.

„Prejudice cannot be explained – as stereotype can – on a cognitive basis alone; it is charged with collective emotions together with norms that are hidden behind values and taboos. It is not a tool for understanding the world, but a weapon in power and identity politics. This explains one characteristic of the prejudice: It is incorrigible. It can, on the contrary, be defined as a mental strategy to block the process of learning, which involves constant readjustment and reconstruction of preconceived ideas in the light of new experience and information. Instead of reconstructing the stereotype to accommodate the new evidence, the prejudice is constructed to block and destroy evidence. While the stereotype is adapted to the world, prejudice adapts the world to itself” (Assmann, 2009, S.9).

Das Vorurteil der Gutmenschen aus Frankreich – wie aller Gutmenschen besteht darin, dass sie das Subjekt, das sie sich für ihren Paternalismus auserkoren haben, zunächst zum unveränderlichen Objekt degradieren, dem sie dann einen Essentialismus unterstellen der Art: Einmal arm, immer arm. Arm wird also vom momentanen Zustand zur unveränderlichen Persönlichkeitseigenschaft, und da die Gutmenschen Armut negativ bewerten, übertragen sie nunmehr diese negative Bewertung auf die Armen, denn deren Persönlichkeitseigenschaft ist ja die Armut.

Die entsprechende Abneigung gegenüber Armen, die Verachtung für Arme oder für all die anderen von ihnen als schützenswert ausgewählten gesellschaftlichen Gruppen, steht hinter Vorschlägen wie dem aus Paris. Denn man muss nur Personen schützen, die man einerseits als grundsätzlich unfähig ansieht, sich selbst zu schützen und von denen man andererseits überzeugt ist, dass sie unveränderlich und für alle Zukunft in der grundlegenden Eigenschaft, die ihre Minderwertigkeit gegenüber anderen ausmacht, schutzbedürftig sind.

Schließlich hat Dr. habil. Heike Diefenbach auf einen Aspekt hingewiesen, den wir bislang noch gar nicht thematisiert haben, nämlich die Schaffung einer amtlichen Form von Neusprech, deren Worte und Begriffe nach Gusto einer sich zur sprachlichen Elite erklärenden Vorurteils-Gemeinschaft gestaltet sind. Erlaubt ist die Sprache, die vom amtlichen Sprachkanon umfasst ist, verboten ist und verfolgt wird die Sprache, die nicht vom amtlichen Sprachkanon umfasst ist.

problems with lordsAuf diese Weise entsteht nicht nur ein Neusprech, sondern eine Form der Sprachwelt, die die Realität ersetzen soll und von der gehofft wird, dass sie die Denkfähigkeit derer, die diesem Sprachkorsett unterworfen werden, beeinträchtigt und sie innerhalb der Welt hält, die Gutmenschen für sie vorgesehen haben. Dies ist wichtig, damit sie nicht merken, wenn sie benutzt und beleidigt werden, wie dies z.B. mit Bildungsfernen der Fall ist. Bildungsfern ist eine weitere der oben genannten essentialistischen Persönlichkeitseigenschaften, die ein Individuum nach Ansicht der Gutmenschen so definiert, dass ihm ein für alleMal die Teilhabe in der Welt der Bildungsnahen verwehrt bleibt.

Bildungsfern ist für die Gutmenschen, die diesen Begriff benutzen, einerseits eine sprudelnde Einnahmequelle, denn man muss den Bildungsfernen intensiv helfen, sie entsprechende stigmatisieren und dafür sorgen, dass sie bildungsfern bleiben. Andererseits erfüllt der Begriff “bildungsfern” die Funktion, die die meisten Beleidigungen erfüllen, er grenzt ab. Und so kann noch der letzte Gutmensch, der das Kreuzworträtsel in seiner Tageszeitung nicht zu lösen im Stande ist, von sich denken, er sei besser als der Bildungsferne, was zeigt, dass bildungsfern nur die neue Variante im amtlichen Sprachkanon einer alten Form der Beleidigung ist: dumm.

Auch im Zuge der französischen Revolution wurde versucht, eine Neusprech für Insider zu etablieren, um diejenigen, die nicht dazugehören und entsprechend auf die Guillotine verfrachtet wurden, ausdeuten zu können. Geholfen hat es denen, die sich an die Sprachekonvention gehalten haben, wenig. Auch ihr Kopf ist früher oder später gerollt – in einer der blutigsten Politik-Orgien, die die französische Welt je gefeiert hat – bis heute. Insofern ist der Vorschlag von Yannick Vaugrenard gar nicht so verwunderlich.

Und nach so viel gutem Menschentum von links, brauchen wir erst einmal Erholung.

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