Ein Herz für Werbung – ausgerechnet die ARD

Bei der ARD hat man ein Herz für Werbung: “Milliardenverluste durch Werbeblocker“, so wird getitelt und anschließend werden die Ergebnisse einer “aktuellen Studie” berichtet. “The Cost of Blocking”, heißt die Studie, von der man nicht mehr erfährt als ihren Titel und den Inhalt, den die Verfasser der Studie unter “Key Insights” zusammengestellt haben:

198 Millionen Nutzer weltweit blocken Werbung.

In Deutschland sind 18 Millionen Internetnutzer aktive Werbe-Blocker.

Das Wachstum der Werbeblocker ist immens und beträgt 41% weltweit und im Verlauf von nur einem Jahr (in Deutschland ist die Anzahl der Werbeblocker um 17% gewachsen).

AdblockSchlechte Nachrichten sind das – für die Werbeindustrie. “Allein in diesem Jahr”, so jammert man bei der ARD mit Bezug auf die “Studie”, gehen durch Werbeblocker weltweit “21,8 Milliarden Dollar an Werbeeinnahmen verloren. Für 2016 wird sogar mit Verlusten in Höhe von 41,4 Milliarden Dollar gerechnet”.

Und weil das noch nicht reicht, nun der Herz-Schmerz-Teil: “Es stehe ‘die Zukunft der frei verfügbaren Inhalte im Internet” auf dem Spiel.

Alle Leser, die sich jetzt Sorgen machen: Nein, ScienceFiles steht nicht auf dem Spiel, und ScienceFiles wird auch weiterhin werbefrei sein. Wir bezahlen sogar dafür, dass WordPress seine idiotischen Werbeinhalte unseren Lesern nicht zumutet.

Da fragt man sich doch: Woher kommt dieses Herz für Werbung bei der ARD?

Und welche Studie ist das überhaupt, die bei der ARD besprochen wird?

Und wie kommen die Autoren der Studie (wer sind überhuapt die Autoren) zu ihrer Schätzung der Verluste?

Also haben wir uns auf die Suche gemacht und sind fündig geworden:

“The Cost of Blocking” heißt im Untertitel: PageFair and Adobe 2015 Ad Blocking Report.

PageFair ist ein Unternehmen mit Sitz in Irland, das sich wie folgt beschreibt:

“PageFair is an international startup based in Dublin, Ireland. Founded in 2012, the company was initially funded by its founders with additional seed capital from Tribal Ventures, Frontline Ventures, and Enterprise Ireland. Hundreds of publishers now use PageFair to measure the cost of adblocking and to display alternative non-intrusive advertising to adblockers.

Mit anderen Worten, PageFair bietet den Unglücklichen, deren Werbung geblockt wird, eine Möglichkeit, die Blocker zu umgehen und verdient an dieser Möglichkeit, verdient umso mehr, je verbreiteter Werbeblocker wie AdBlock unter Google Chrome sind. Und die ARD macht ja dankenswerter Weise Werbung für diese Werbeblocker, auf dass sie weite Verbreitung finden und die Nachfrage nach den Leistungen von PageFair steigt (um keine Missvertändnisse aufkommen zu lassen, wir haben auch AdBlock installiert und dadurch ergänzt, dass Adobe-Programme nur nach Erlaubnis Inhalte laden).

Öffentlich-rechtliches Mentoring, wenn man so will, gepaart mit scaremongering, wie man in der englischsprachigen Welt sagt, Angstmacherei ist wohl die beste Übersetzung für den aktiven Versuch, das freie und kostenlose Internet totzureden – für die ARD ein Leichtes, werden die Inhalte der ARD doch zwangsfinanziert und müssen sich an keinem Markt behaupten.

Dort hätten sie auch keinen leichten Stand, denn das Abschreiben von Key Insights aus Berichten, die noch ein paar mehr Seiten umfassen als die Zusammenfassung reicht nicht aus, um eine Neuigkeit zu generieren. Gewöhnlich wird von Bloggern oder anderen Anbietern von Informationen, die nicht zwangsfinanziert sind, eine begründete Wertung dessen vorgenommen, was den Lesern da vorgesetzt wird.

Und bei Studien ist es immer sinnvoll, die neuralgischen Stellen zu identifizieren und die Methoden zu betrachten, die genutzt wurden, um die damit verbundenen Probleme zu beseitigen.

rat_student cartoonDie neuralgische Stelle im vorliegenden Fall ist die Schätzung der Umsatzeinbußen in Höhe von 21,8 Milliarden Dollar für das Jahr 2015. Wie haben Campbell Foster von Adobe und Sean Blanchfield von PageFair, die für den Beitrag verantwortlich zeichnen, diese Verluste prognostiziert?

So:

“Potential digital advertising revenue was calculated by dividing the reported revenue for 2014 (source eMarketer) by (1-the ad blocking rate in a particular country). Blocked advertising revenue was estimated as the difference between potential and reported revenue. (15)

In Deutschland nutzen 25,3% der Internetnutzer einen Werbeblocker, jedenfalls haben 25,3% der Internetnutzer einen Werbeblocker installiert bzw. einen aktiven Block-Account bei Google oder Firefox.

Sagen wir, die Werbeeinnahmen für das Jahr 2014 haben in Deutschland 200 Millionen Euro betragen. Die Projektion für 2015 besteht nun einfach darin, die 200 Millionen Euro um 25,3%, also die Zahl der aktiven Werbe-Blocker im Jahr 2014 zu reduzieren. 25,3% entsprechen einer Reduktion um 50,6 Millionen Euro.

Eh voilá.

Diese Vorgehensweise basiert auf einer Reihe von problematischen Annahmen, am problematischsten, weil nachweislich falsch, ist natürlich die Annahme, dass 2013 keinerlei Blocker vorhanden gewesen sind. Nun zeigen die Daten des Berichts, dass die Anzahl der Blocker im Jahr 2014 um 17% in Deutschland gewachsen ist (6), so dass man zu rund 21% aktiven Werbe-Blockern im Jahre 2013 kommt. Entsprechend reduziert sich der prognostizierte Verlust von 50,6 Millionen Euro auf 8,6 Millionen Euro und somit um 83%.

Ein einfacher Trick führt also dazu, dass nicht nur die Verluste durch Werbeblocker ins Astronomische steigen (was die Nachfrage nach den Leistungen von PageFair befördert), er führt auch dazu, dass die ARD ihr Herz für Werbung entdeckt und den deutschen Internetnutzern, die doch so gerne in kostenlosen Inhalten surfen, ins Gewissen redet.

Was man der ARD wohl dafür bezahlt hat, dass sie diese seltsame Ausnahme aus der ansonsten doch so negativen Einschätzung dessen, was Unternehmen tun und berichten, gemacht hat?

Was auch immer: Journalismus sieht anders aus.

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