Zeit der Kindsköpfe

Es war 1977 als Ronald Inglehart die stille Revolution ausgerufen hat. Die stille Revolution beschreibt einen Wertwandel, einen Wandel vom Materialismus zum Post-Materialismus.

InglehartRonald-1977In Anlehnung an Maslow und seine Bedürfnishierarchie, die bei der Befriedigung biologischer Bedürfnisse beginnt und über Sicherheitsbedürfnisse und kognitive Bedürfnisse zur Transzendenz fortschreitet, also spirituellen Bedürfnissen, “sich mit dem Kosmos in Einklang zu bringen”, wie Zimbardo (1994: 415) das formuliert, hat Inglehart eine Entwicklung beschrieben, deren Zeitzeuge er zu sein glaubte.

Die Entwicklung sieht einen Übergang von materialistischen Werte, wie (1) Preisstabilität und (2) Sicherheit, gemessen als Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung, zu den post-materialistischen Werten von (3) Mitbestimmung und (4) Meinungsfreiheit. Die Messung des Wertewandels über diese vier Werte hat Inglehart viel Kritik eingebracht, an seiner grundlegenden Beobachtung, dass ein Wertewandel stattfindet, hat jedoch kaum jemand gerüttelt.

Denn: Zu offensichtlich ist der Wandel, der der zunehmenden Sicherheit der Lebensweisen geschuldet ist. Da wo frühere Generationen um ein Dach über dem Kopf und geregeltes Essen kämpfen mussten, wo darauffolgende Generationen für Wohlstand durch das so genannte Wirtschaftswunder gesorgt haben, haben heutige Generationen ein bereits gemachtes Bett vorgefunden und konnten sich, weitgehend bar jeglicher Sorge um ihre materielle Existenz, für die zunehmend der Staat sorgt, auf andere Dinge konzentrieren, ihre Selbstverwirklichung, Mitbestimmung im politischen Prozess, Meinungsfreiheit.

Ingleharts Wertewandel, seine stille Revolution, sie ist damit jedoch nicht am Ende. Wir sind der Ansicht, der Wertewandel ist weiterhin im Gange, er vollzieht sich derzeit vom Postmaterialismus zum Infantilismus.

Infantilismus ist eine Degenerationserscheinung, die wir darauf zurückführen, dass die realen materiellen Knappheiten und die tatsächliche materielle Lage für die meisten Menschen u.a. durch Umverteilung und Transferleistungen so verdeckt werden, dass sie sich keine Sekunde mit Fragen der existentiellen Sicherung befassen. Gleichzeitig sind die postmaterialistischen Werte zur Normalität geworden: Meinungsfreiheit wird als gegeben behauptet und Mitbestimmung als Selbstverständlichkeit angesehen.

Diese scheinbaren Normalitäten und Selbstverständlichkeiten machen den Weg frei für den Infantilismus, der sich vor allem durch zwei Kriterien beschreiben lässt:

  • Bedürfnis-Atomismus und
  • Verlust des Urteilsvermögen.

Bedürfnis-Atomismus äußert sich darin, dass immer mehr Menschen der Ansicht sind, sie hätten Rechte auf irgendetwas, meist auf etwas, das sie gerne hätten. Diese Ansicht geht mit einem fast vollständigen Fehlen von Bewusstsein dafür einher, dass das, was sie gerne hätten, von anderen bereitgestellt werden muss, dass andere dafür arbeiten müssen, dass andere überhaupt für das eigene Leben relevant sind. Entsprechend geht Bedürfnis-Atomismus mit einer Aufkündigung reziproker Beziehungen einher.

Der Bedürfnis-Atomist reklamiert Rechte für sich, lehnt aber gleichzeitig jede Pflicht, die ihm aus seinem Recht erwachsen könnte, ab. Der Bedürfnis-Atomist fordert und will nicht geben. Er sieht seine Existenz als höchstes Gut, das erreicht werden kann und verlangt eine entsprechende Huldigung seiner Existenz. Wie ein kleines Kind, das mit rotem Kopf brüllt, wenn es nicht bekommt, was es will, sitzt der Bedürfnis-Atomist auf seinem Küchenstuhl und brütet Maßnahmen aus, um einzuklagen, was ihm nach seiner Ansicht vorenthalten wird.

Verlust des Urteilsvermögens

Nanny state 3Mit dem Bedürfnis-Atomismus geht die Überzeugung einher, dass man nicht nur das Recht habe, zu fordern, was man gerne hätte, sondern auch das Recht, wann immer es das eigene Bedürfnis erfordert, herauszuplatzen und seinen Senf zu allem und jedem zu geben. Der Verlust des Urteilsvermögens, er setzt bei der eigenen Beschränktheit an und führt im ersten Schritt zu der Überzeugung, man habe zu allem und jedem eine Meinung.

Diesem Irrtum folgt der nächste auf dem Fuss, der darin besteht, dass jeder diese Meinung hören will. Das Bild wird durch den dritten Irrtum abgerundet, der in der Überzeugung besteht, dass Aussagen wie, “Das finde ich nicht”, “Das sehe ich anders”, die für sich stehen bleiben, eine Meinung darstellen. Hier greift abermals der Bedürfnis-Atomismus, der die entsprechend Infantilen glauben macht, die Statisten der Umwelt, sie würden nur darauf warten, eine Bewertung zu hören, würden sie gierig aufsaugen und in die Welt tragen. Es ist dies eine Form der Selbstüberschätzung, wie sie nur Kleinkinder haben.

Und wie Kleinkinder, so sind die Infantilen nicht in der Lage, ihre angebliche Meinung zu begründen. Wie bei Kindern basiert ihre Meinung auf Affekten. Sie mögen etwas nicht und missverstehen ihr unbegründetes Gefühl als Meinung. Sie wollen etwas haben und missverstehen ihr Bedürfnis als Meinung, die ein Recht konstituiert.

Kurz: Die Infantilen, die durch den Wertwandel zur Infantilisierung hervorgebracht werden bzw. durch das Konzept der Infantilisierung beschrieben werden, sie sind nicht lebensfähig und qualifizieren sich, nimmt man alte Philosophen wie Kant zum Ausgangspunkt, nicht einmal zum Menschen, denn um als Mensch zu gelten, braucht man ein Urteilsvermögen, wer dies nicht hat, bleibt infantil.

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