Ist Pegida an Fremdenfeindlichkeit und brennenden Unterkünften schuld? Zwei Politikwissenschaftler – zwei Meinungen

Zwei Interviews mit Politikwissenschaftlern sind uns auf den Tisch gekommen. Eines hat Werner Patzelt, seines Zeichens Professor für politische Systeme und Systemvergleich an der Technischen Universität Dresden der dpa gegeben. Eines hat Hajo Funke, emeritierter Professor der FU Berlin mit Arbeitsschwerpunkt Politik und Kultur der ARD gegeben.

Beide Interviews haben weitgehend denselben Gegenstand. Beide Professoren, der aktive, wie der emeritierte, äußern sich zum Zusammenhang von Pegida und Fremdenfeindlichkeit, zu Sachsen, zur NPD und zu den Ursachen von Fremdenfeindlichkeit.

Wir stellen hier Teile der Interviews einander gegenüber, quasi in einem Professorencontest und fragen unsere Leser im Anschluss: Wer macht dem kompetenteren Eindruck: Patzelt oder Funke?

Los geht’s mit Werner Patzelt:

Werner patzelt“Frage: Trägt die Politik eine Mitschuld? [daran, dass die NPD mit Flüchtlingspolitik Punkte macht]

Antwort: Ja. Einesteils waren viele Reaktionen auf Pegida als Symptom unserer Einwanderungsprobleme zwar gut gemeint, doch schlecht getan. Andernteils bemüht sich die für die rechte politische Spielfeldhälfte zuständige CDU seit langem zu wenig darum, die Gewinnbaren vom rechten Rand an eine vernünftige Partei zu binden. Zunächst hat sie der NPD freien Raum gelassen, später der AfD. Und so kam es, dass viele den Rechtsradikalen überlassen wurden, die zwischen der CDU und dem rechten Rand auf der Kippe standen. Aber auch diese Fehlleistung der CDU, ihrerseits als „Abgrenzung nach rechts“ nachgerade eingefordert von den linken Parteien, reicht nicht aus, um das Gesamtphänomen zu erklären.

Frage: Liefern die Islamkritiker von Pegida den Humus für rechtsradikale Einstellungen und solche Taten wie jetzt in Heidenau?

Antwort: Das ist eine beliebte Erklärung, weil man dann einen wegzujagenden Sündenbock in den Blick bekommt. Doch soeben wurde auch im weitgehend Pegida-freien Baden-Württemberg eine Flüchtlingsunterkunft abgefackelt. Die Dinge liegen also komplizierter. Mir scheint: An Pegida wurde bloß offensichtlich, was da um die Einwanderungsthematik herum an Sorgen und Empörungsbereitschaft in der Gesellschaft schlummert. Es war billig, sich über jene, die da als „Frühwarnsystem“ wirkten, einfach lustig zu machen: Die törichten Sachsen faselten über Probleme mit der Einwanderung, obwohl es bei ihnen doch kaum Ausländer gäbe. Doch der Kern war: Die meisten Sachsen identifizieren sich stark mit ihrem Land und wollen es wieder so schön haben wie vor der DDR- und Nazizeit. Dem kommt aber, wie es ihnen scheint, die Zuwanderung in die Quere, wobei sehr viele ganz besonders muslimische Migranten fürchten. Derlei Behinderung des sächsischen Wiederaufstiegs zu einem prosperierenden Land wollen viele einfach nicht akzeptieren und versuchen, bereits den Anfängen zu wehren.”

Patzelt in der Zusammenfassung:

Menschen mit berechtigten Sorgen wurden in die rechte Radikalität abgedrängt, wo die NPD und andere Rechte sie gerne aufgenommen haben. Dadurch, dass man die Pegida-Beteiligten nicht ernst genommen hat, sie ausgegrenzt hat, hat man zur Radikalisierung beigetragen.

Die Behauptung, die Pegida sei der Boden, auf dem Fremdenhass wächst, ist naiv und billig, wird von denen aufgestellt, die einfache Pseudo-Lösungen einer Bearbeitung der tatsächlichen Probleme vorziehen.

Nun zu Hajo Funke:

Hajo Funke“Die Politik muss sich ohne Wenn und Aber dazu bekennen, Flüchtlingen helfen zu wollen, an deren Seite zu stehen. Alles andere hieße, die Dramatik der Lage in Syrien, Afghanistan, Libyen und auch im Irak zu verkennen.

Eine ganze Region ist nach dem Einmarsch der Amerikaner in den Irak ins Rutschen gekommen. Deswegen geht es jetzt auch in Deutschland weniger um Zeichen als um operatives Krisenmanagement, das Chefsache oder Chefinnensache sein muss.

[…]

Der Fehler lag in der falschen Reaktion auf die Pegida-Bewegung. Auch hier war die Abgrenzung nicht eindeutig genug. Den Vorwurf muss sich auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gefallen lassen, der sich Anfang des Jahres zum Teil recht verständnisvoll über Pegida-Anhänger geäußert hat.

Dabei ist es immer Gegenstand von Politik, mit den Ängsten der Menschen umzugehen. Aber es muss Politik darum gehen, Ängste abzubauen, und nicht darum, Parolen aufzunehmen und diese dann noch zu verstärken. Politik, die Ängste vielleicht auch nur indirekt schürt, ist immer gegen die Demokratie gerichtet.

Fakt ist: Nach den rassistisch gefärbten Demonstrationen verzeichneten wir in nur vier Monaten doppelt so viele Übergriffe gegen Flüchtlingsheime wie vorher. Das ermutigte Nachahmertäter. Im Schatten von Pegida konnten sich die Rechtsextremen reorganisieren.”

Fazit Hajo Funke:

Schuld ist die Pegida. Sie ist der Anfang allen Übels. Sie hat den Startschuss dafür gegeben, dass Flüchtlingsunterkünfte brennen. Die Politik, wer auch immer das sein mag, muss die Ängste der Bürger abbauen und darf sich nicht verständig über Pegida-Anhänger äußern. Von Letzteren muss man sich konsequent distanzieren.

Jeder unserer Leser kann nun selbst entscheiden, welcher Deutung der Situation er zustimmt, der von Werner Patzelt oder der von Hajo Funke.

Was also darf es sein: Der Patzeltsche Versuch, die Pegida-Teilnehmer und ihre Motivation zu verstehen oder das Funksche Verdikt, dass man mit denen nicht spricht, sich vielmehr von ihnen abgrenzt.

Und wie ist es mit der Schuldzuschreibung? Ist Pegida der Anfang von Fremdenhass und somit aller derzeitiger deutscher Übel, wie Funke dies behauptet, oder ist die entsprechende Erklärung zu einfach, wie Patzelt meint?

Und schließlich: Was machen wir mit den Ängsten vor Fremden, die beide sehen, ernstnehmen, wie Patzelt empfiehlt oder “abbauen”, wie Funke vorschlägt?

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