Goodbye Luther: Evangelische Kirche sucht neuen Reformator

Es war eine Frage der Zeit. Aber jetzt hat die politische Korrektheit auch Martin Luther eingeholt. Der Reformator und Gründungsvater der Evangelischen Kirche, der gut 470 Jahre mit seinen judenfeindlichen Schriften und seinen zum Teil rustikalen Methoden, mit denen er Juden begegnen wollte, durchgekommen ist, nun hat es ihn erwischt.

Martin_LutherBis 2015 und nicht weiter, will die Evangelische Kirche gemeinsam mit dem judenfeindlichen Reformator gehen. Zur Erinnerung, Luther hatte sich in etlichen seiner Schriften gegen Juden gewendet und im Januar 1543 mit der Schrift “Von den Juden und ihre Lügen” drastische Schritte gegen die Juden gefordert, “barmherzige Schritte”, wie er das genannt hat und wie sie damals “in” waren:

„Was sollen wir Christen nun tun mit diesem verdammten, verworfenen Volk der Juden?”, so fragt er und gibt gleich selbst die Antworten:

  • ihre Synagogen niederbrennen,
  • ihre Häuser zerstören, sie wie Zigeuner in Ställen und Scheunen wohnen lassen,
  • ihnen ihre Gebetbücher und Talmudim wegnehmen,
  • ihren Rabbinern das Lehren bei Androhung der Todesstrafe verbieten,
    ihren Händlern das freie Geleit und Wegerecht entziehen,
  • ihnen das „Wuchern“ (Geldgeschäft) verbieten, ihnen all ihr Bargeld und ihren Schmuck einziehen und verwahren,
  • den jungen kräftigen Juden Werkzeuge für körperliche Arbeit geben und sie ihr Brot verdienen lassen.

Man wird den Verdacht nicht los, dass Luther hier die katholischen Kollegen mit ihrer Inquisitions-Erfahrung plagiiert hat. In jedem Fall, war er ärgerlich.

Diese Schrift Luthers, sie kursiert seit 1543 und bislang hat sich niemand daran gestört, jedenfalls nicht massiv. Doch jetzt stört sich die Synode der Evangelischen Kirche am Antisemitismus von Bruder Martin, dem Evangelikalen, so sehr, dass sich die EKD-Synode von Luthers und seiner Judenfeindschaft distanziert hat.

Dazu schreiben die Synodalen in einer Pressemeldung:

Luther On_the_Jews_and_Their_Lies“Das weitreichende Versagen der evangelischen Kirche gegenüber dem jüdischen Volk erfülle mit Trauer und Scham, heißt es. Aus dem Erschrecken über theologische Irrwege und dem Wissen um Schuld am Leid der Juden erwachse eine besondere Verantwortung, jeder Form von Judenfeindschaft entgegenzutreten. Das Reformationsjubiläum biete Anlass zur Umkehr und Erneuerung. ‘Luthers Sicht des Judentums und seine Schmähungen gegen Juden stehen nach unserem heutigen Verständnis im Widerspruch zum Glauben an den einen Gott, der sich in dem Juden Jesus offenbart hat’, bekennt die Stellungnahme.”

Erstaunlich, dass die EKD-Synode wieder ins Dritte Reich zurückfällt und die Juden zum eigenständigen Volk mit entsprechend eigener jüdischer Nationalität erklärt. Wir waren z.B. der Ansicht, Judentum sei eine Religion, keine Nationalität, aber da liegen wir offensichtlich falsch, wie die EKD gerade erklärt hat. Juden sind ein von Deutschen und anderen Nationen getrenntes Volk, das man klar differenzieren kann und aus dessen Reihen, “nach unserem heutigen Verständnis” der Jude Jesus kommt, jener Religionsstifter, der sich nach manchen Überlieferungen ziemlich fremdenfeindlich gegenüber zuziehenden Römern verhalten haben soll …

Wie dem auch sei, Luther ist out. Der alte Antisemitit hat für die EKD ausgedient. Was das im Einzelnen bedeutet, ob der politischen Korrektheit nun insofern Rechnung getragen werden muss, als Martin Luther von Straßennamen verschwindet, ist eine bislang ungeklärte Frage. Ob die Stadt Wittenberg, die sich Martin Luther Stadt nennt, nunmehr mit einer Anklage wegen Beihilfe zur Volksverhetzung rechnen muss, wenn auch ein paar Jahrhunderte zu spät, ist ebenfalls unklar.

Wie es die Evangelische Kirche schaffen will, den von ihr als Antisemiten abgelehnten Martin Luther von dem Martin Luther zu trennen, auf den sich die Evangelische Kirche ansonsten bezieht, wenn es nicht um Juden geht, ist eine weitere Frage, die wir dem “einen Gott, der sich in dem Juden Jesus offenbart hat” sei Dank, nicht beantworten müssen. Das ist zum Glück die Aufgabe derer, die ihrer politischen Korrektheit frönen und die Jahrhunderte durchforsten, immer auf der Suche nach Personen und Inhalten, von denen man sich zum Ausweiß der eigenen Gutheit distanzieren kann.

In der Geschichtswissenschaft ist es übrigens üblich, Autoren und ihre Werke im Kontext ihrer Zeit und im Rahmen einer Gesamtschau ihrer persönlichen Entwicklung zu sehen. Eine solche Sichtweise dämpft manches rasche Urteil und verhindert, dass bestimmte Passagen, wie die oben zitierte, überbewertet werden. Ein deratiger empatischer und fairer Umgang mit ihrem Gründungsvater ist der Evangelischen Synode jedoch fremd. Einen solchen Umgang findet man dagegen im englischsprachigen Ausland:

Tomlin_Luther“In earlier days, Luther had seemed more favourable than most of the Jews, in what was a largely anti-semitic society. He had favoured the use of Jewish scholars in establishing Hebrew grammar, a controversial position at the time, and his That Jesus was Born a Jew of 1523 had reaffirmed Jesus’ Jewishness when others were embarrassed by it. At that point, he was clearly hoping for a wholesale conversion of Jews, now that the gospel had been rediscovered. Now he was getting older: It is a feature of his later years that he became less hopeful of change, less willing to discuss and more prone to angry polemic. … On the Jews and their Lies is a long wordy piece … There are few mitigating factors in all this. It can be said that he was only repeating what many before him had suggested, that this was an old irritable man writing in frustration at his opponents … (Tomlin, 2012: 138-139)”

Wo politische Korrektheit einschlägt, so kann man feststellen, wächst keine Empathie mehr und kein Verständnis dafür, dass Menschen ihre guten und ihre schlechten Tage haben, nicht einmal in der Evangelischen Kirche.

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