Bertelsmann kann auch Junk-Science: Wählen ab 16

Vor Jahren hat Dr. habil. Heike Diefenbach den Begriff “Fleischwolf-Methode” geprägt, um damit Forschung zu charakterisieren, bei der Forscher oder solche, die es gerne wären, vorne etwas hineinstecken (z.B. als Prämissen) und sich dann freuen, wenn es hinten in derselben oder in ähnlicher Weise herauskommt.

Die Fleischwolfmethode, sie eignet sich insbesondere dazu, vermeintlich wissenschaftliche Studien als Legitimation für das zu missbrauchen, was man gerne als Ergebnis, nunmehr wissenschaftlich legitimiert, an den Mann bringen will.

Waehlen ab 16“Wählen ab 16” ist ein solches Unterfangen, eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die zeigen soll, dass eine Absenkung des Wahlalters sich dazu eignet, die Wahlbeteiligung dauerhaft zu erhöhen.

Warum sollte man Jugendliche, die noch nicht als mündig gelten, wählen lassen? Das ist die erste Frage, die wir hier stellen und Maria Droop von der Pressestelle der Bertelsmann-Stiftung beantworten lassen wollen:

“Die Absenkung des Wahlalters ist zur langfristigen Steigerung der Wahlbeteiligung entscheidend, da 16-Jährige noch stark in schulischen und familiären Strukturen verankert sind, in denen sich durch Bildungsmaßnahmen politisches Interesse aktivieren lässt.”

So unbeabsichtigt offene Worte findet man selten: Es geht also darum, 16jährige in Schule und Familie so zu beeinflussen, dass sie wählen gehen (aus freien Stücken versteht sich). Die noch nicht vorhandene Mündigkeit von 16jährigen soll also dazu ausgenutzt werden, um über PR-Kampagnen in Schulen Stimmung für das Wahlspektakel zu machen.

Man beachte das völlige Fehlen eines demokratietheoretischen Arguments, das z.B. darin bestanden hätte, die politische Mündigkeit von 16jährigen ins Feld zu führen, um damit eine Absenkung des Wahlalters zu begründen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Unmündigkeit von 16jährigen, ihre Beeinflussbarkeit in Schule und Familie wird zum Argument, das Wahlalter abzusenken. Das Ziel ist gerade nicht der mündige Wähler, sondern die Erhöhung der Wahlbeteiligung, um die politische Klasse besser legitimieren zu können. Die Mittel zu diesem Zweck sind egal.

Eigentlich müssten Demokratietheoretiker, sofern es sie auf den Lehrstühlen der Politikwissenschaft noch gibt, heulend durch die Republik laufen, ob der offenen Art und Weise, mit der hier gesagt wird: Es geht bei Wahlen nicht darum, mündige Bürger über die Wahlvorschläge und -programme der Parteien abstimmen zu lassen, sondern darum, so viel wie nur möglich Wahlhammel an die Urne zu treiben, damit das politische System legitimiert wird.

Der Zweck heiligt die Mittel.

Und als wäre dies nicht schon schlimm genug, findet sich in der Studie der Bertelsmann-Stiftung noch ein Kapitel, das mit: “Kohortenanalyse der Wahlbeteiligung in Deutschland – Ergebnisse einer Simulationsrechnung 2017–2049” überschrieben ist.

Simuliert werden soll der Effekt einer Wahlbeteiligung von 16jährigen auf zukünftige Wahlbeteiligungen:  Ein Unterfangen mit Unbekannten auf beiden Seiten der Gleichung, sowohl bei den unabhängigen als auch bei den abhängigen Variablen, denn: 16jährige dürfen bislang nur in Hamburg, Brandenburg und Bremen bei Kommunalwahlen wählen und entsprechend fehlen die Informationen, die man zur Berechnung der Effekte einer Wahlbeteiligung von 16jährigen auf die Gesamtwahlbeteiligung benötigt.

Was macht man, wenn man simulieren will, wie sich etwas, was man nicht kennt, auf etwas auswirkt, was man auch nicht kennt?

Man macht Annahmen. Solche zum Beispiel:

    1. Basisszenario: Ab 1990 Geborene haben die gleiche Wahlbeteiligung wie die 1980er Kohorte.
    2. Demobilisierungsszenario 1: Ab 1990 Geborene haben eine um zehn Prozentpunkte niedrigere Wahlbeteiligung als die 1980er Kohorte.
    3. Demobilisierungsszenario 2: Ab 1990 Geborene haben eine um 20 Prozentpunkte niedrigere Wahlbeteiligung als die 1980er Kohorte.
    4. Mobilisierungsszenario 1: Ab 1990 Geborene haben eine um zehn Prozentpunkte höhere Wahlbeteiligung als die 1980er Kohorte.
    5. Mobilisierungsszenario 2: Ab 1990 Geborene haben eine um 20 Prozentpunkte höhere Wahlbeteiligung als die 1980er Kohorte.

Und wenn man solche Annahmen macht, dann ergibt sich das folgende Simulations-Ergebnis:

Bertelsmann Waehlen ab 16

So, und jetzt wundern wir uns gemeinsam darüber, dass die Linien den gemachten Annahmen entsprechen.

  • Rote Linie: Für 16jährige wird angenommen, sie hätten eine um 20% geringere Wahlbeteiligung als 18jährige derzeit;
  • Gelbe Linie: Für 16jährige wird angenommen, sie hätten eine um 10% geringere Wahlbeteiligung als 18jährige derzeit;
  • Blaue Linie: Für 16jährige wird angenommen, sie hätten dieselbe Wahlbeteiligung als 18jährige derzeit;
  • Hellblaue Linie: Für 16jährige wird angenommen, sie hätten eine um 10% höhere Wahlbeteiligung als 18jährige derzeit;
  • Grüne Linie: Für 16jährige wird angenommen, sie hätten eine um 20% höhere Wahlbeteiligung als 18jährige derzeit;

Das ist die Fleischwolf-Methode!

Das Ergebnis in Kurzform: Wenn sich viele 16jährige an der Wahl beteiligen, dann ist die Wahlbeteiligung höher und wenn sich mehr 16jährige Erstwähler an der Wahl beteiligen als 18jährige Erstwähler dies derzeit tun, dann ist die Wahlbeteiligung noch höher als hoch.

Dieses triviale Ergebnis hätte man natürlich auch durch gesunden Menschenverstand gewinnen können, denn, dass eine Beteiligung an etwas höher wird, wenn sich mehr daran beteiligen, das ist eigentlich offensichtlich, aber genau deshalb für die Zwecke der Manipulation nicht gebrauchbar.

Will man Menschen manipulieren, ihnen vormachen, hinter der Fassade wäre mehr als die Vorspiegelung einer Fassade, dann braucht es Begriffe wie Kohortenanalyse und Simulation, wobei Simulation eigentlich insofern angebracht ist, als hier nicht nur eine wissenschaftliche Arbeit simuliert wird, sondern auch ein Ergebnis vorgegaukelt wird.

Aber: Der Zweck heiligt die Mittel, und der Zweck, der besteht darin, Bürgern eine Absenkung des Wahlalters schmackhaft zu machen. “Simulation in Bertelsmann-Studie zeigt: Wählen ab 16 wirkt sich langfristig positiv auf Wahlbeteiligung aus”, so werden die Schlagzeilen in den Medien lauten und niemand wird sich daran stören, dass die Simulation zeigt, dass dann, wenn sich mehr 16jährige an der Wahl beteiligen als 18jährige dies derzeit tun, sich nicht nur mehr an der Wahl beteiligen, sondern auch die Wahlbeteiligung steigt.

Fliegende_BlaetterUnd natürlich wird niemand darauf hinweisen, dass diese positiven Errungenschaften der erhöhten Wahlbeteiligung nur dann erreicht werden können, wenn es gelingt, “mit gezielten Maßnahmen zur Mobilisierung der Erstwähler”, Wählen ab 16 “zum Erfolg zu machen”. Denn wie gesagt: 16jährige sind in Schule und Familie noch beeinflussbar. Sie sind nicht mündig. Und diese Chance, nicht mündige und leicht beeinflussbare Kinder an die Wahlurne zu treiben, damit sie dort ein Kreuz machen, die dürfen wir uns nicht entgehen lassen.

Und man kann die Mobilisierungsmaßnahmen schon vor seinem geistigen Auge sehen:

Wählen ist cool!

Die Wahlapp gesponsert von den Linken: 10% der Wahlkampkostenerstattung Deiner Stimme werden für mildtätige Zwecke eingesetzt (z.B. Hafterleichterung für Molotow-Max).

Niklas machts bereits. Laura machts bereits. Sei kein Frosch und machs auch: dein Kreuz bei der richtigen Partei.

Wählen ohne Akne: Wer wählen geht, bekommt eine Tube Clearasil umsonst.

10% Discount auf Zahnspangen für Erstwähler.

Und so weiter…

Damit sind Wahlen vom Akt der Kundgabe politischer Meinung, von der einzigen Form politischer Einflussnahme für die meisten Bürger zu einem Ritual verkommen, dessen Zweck den Massendemonstrationen in der DDR vergleichbar ist, und wie damals laufen die leicht beeinflussbaren Kinder der FDJ am Anfang der Demonstration, die zur Legitimation der Machthaber dient, nicht zur Formulierung eines eigenständigen politischen Willens..

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