Spendenwollen ist nicht gleich Spende

In dieser Zeit, in der die Erfragung von Einstellungen und Einschätzungen zu Dingen so hoch im Kurs steht, Einstellungen zu Gewalt, zu Flüchtlingen, zu Rechtsextremismus, zum Bundesfreiwilligendienst oder zur Organspende, ist es wieder einmal notwendig darauf hinzuweisen, dass Einstellung und Verhalten zwei verschiedene Dinge sind.

Die Einstellungsforschung schlägt sich schon seit etlichen Jahrzehnten mit dem Problem herum, dass eine positive Einstellung zu Nutella nicht bedeutet, dass man Nutella auch kauft und isst, ebenso wenig, wie eine positive Einstellung zur SPD bedeutet, dass man die SPD auch wählt oder eine Befürwortung von Windkrafträdern bedeutet, dass man ein entsprechendes Monster in unmittelbarer Nähe zum eigenen Haus dulden würde.

human organ tradeDie Versuche das Problem, nach dem Einstellung und Verhalten oft nicht sonderlich viel miteinander zu tun haben, zu beheben, sind zwischenzeitlich Legion, sie reichen von den Arbeiten, die Ajzen und Fishbein veröffentlicht haben, über die entsprechenden Arbeiten von Russell Fazio bis zu den Beiträgen von Mark Zanna und dürften mittlerweile etliche Regalreihen in entsprechenden Bibliotheken füllen. Gelöst haben Sie das Problem jedoch nicht.

Nur bei der Bundesregierung scheint das Auseinanderklaffen von Einstellung und Verhalten noch nicht angekommen zu sein. Dies wird anhand einer “Unterrichtung” der Bundesregierung deutlich.

Unterrichtet wird wohl der Bundestag über die Entwicklung der Anzahl der Organspender. Sie ist gesunken, die Anzahl der Organspender, im Jahre 2014, weiter gesunken von 876 (hoffentlich) postmortalen Spendern auf 864 postmortale Spender. Die 864 Spender brachten es 2014 auf immerhin 2.989 Spendeorgane, so dass die entsprechende Wertschöpfungskette des offiziellen Organhandels zumindest nicht in Richtung Insolvenz getriftet ist.

Am häufigsten waren die Nieren (1.481 Stück) der postmortalen Spender verwertbar, am seltensten wurden Herzen gespendet (294 Stück). Als ein Grund für die “geringe Spendenbereitschaft wird der Organspendeskandal gesehen, der im Sommer 2012 bekannt wurde”, so unterrichtet die Bundesregierung. Denn: “seither ging die Zahl der Organspender deutlich zurück”.

Der entsprechende Skandal, so die Interpretation der Bundesregierung, hält die ansonsten spendewillige Bevölkerung vom Spenden ihrer Organe ab. Wird also geregelt, dass mit Organen nur noch korrekt und nicht mehr inkorrekt gehandelt werden kann, dann – so denkt man bei der Bundesregierung – sei der Spendenwut der Bundesbürger keine Grenze mehr gesetzt.

Und warum denkt man das bei der Bundesregierung?

Deshalb:

“Nach einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 2014 stehen den Angaben zufolge 80 Prozent der Befragten einer Organ- und Gewebespende positiv gegenüber. 71 Prozent sind demnach grundsätzlich einverstanden, dass ihnen nach ihrem Tod Organe und Gewebe entnommen werden.”

Klassisch! Das grundsätzliche Einverständnis von 71% würde vollständig in Spendeorganen resultieren, wäre da nicht dieser dumme Organspendeskandal gewesen. Die positive Einstellung gegenüber der Organspende, sie ist also problemlos in ein entsprechendes Verhalten transferierbar, meint die Bundesregierung, wenn die rechtlichen Randbedingungen stimmen, meint die Bundesregierung. Damit wirft die Bundesregierung eben einmal Jahrzehnte der Einstellungsforschung über Bord, in denen sich wieder und wieder gezeigt hat, dass eine Einstellung eben nicht oder nur selten oder nur unter bestimmten Umständen zu einem entsprechenden Verhalten führt.

Vermutlich ist der politische Wunsch hier Anlass dieser Träumerei in Organspende, die auf einer repräsentativen Umfrage basiert, wie könnte es auch anders sein. Das Wörtchen “repräsentativ”, es adelt Umfragen, macht aus Unsinn, repräsentativen Unsinn.

Literatur:
Ajzen, Isaac, 1991: The Theory of Planned Behavior. Organizational Behavior and Human Decision Process 50, 179-211.

Ajzen, Isaac, 1988: Attitudes, Personality, and Behavior. Milton Keynes: Open University Press.

Ajzen, Isaac & Fishbein, Mark, 1977: Attitude-Behavior Relations: A Theoretical Analysis and Review of Empirical Research. Psychological Bulletin 84, 888-918.

Fazio, Russell H., 1990: Multiple Processes by which Attitudes Guide Behavior. pp. 75-109 in: Zanna, Mark P. (ed.): Advances in Experimental Social Psychology. San Diego: Academic Press.

Zanna, Mark P. & Rempel, John K., 1988: Attitudes: A New Look at an Old Concept. S. 315-334 in: Bar-Tal, Daniel & Kruglanski, Arie W. (eds.): The social psychology of knowledge. New York: Cambridge University Press.

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