„Alle Linken sind Schmarotzer“: Sind wilde Behauptungen von Wissenschaftsfreiheit gedeckt?

“Alle Gesellschaften haben Probleme mit Trittbrettfahrern, denjenigen, die sich auf Kosten von anderen durchmogeln wollen. Durchmogler finden sich vor allem im linken ideologischen Spektrum. Zuweilen tarnen sie sich als Antifaschistische Kämpfer, zuweilen als Rassismusgegner oder als Verteidiger der Demokratie, immer leben sie vom Geld, das andere durch ihre Arbeit erwirtschaftet haben. Aufgrund meiner jahrelangen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Linken komme ich zu diesen Aussagen.“

Handelt es sich bei diesen fiktiven Aussagen um Wissenschaft? Wenn es nach der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft geht, ja. Denn die jahrelange wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem Thema ist nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Politische Wissenschaft ausreichend, um derart wilde Behauptungen zu begründen. Wissenschaft besteht also für die Deutsche Vereinigung für politische Wissenschaft nicht darin, dass mit einer Methode, mit einer nachvollziehbaren Methode prüfbare Ergebnisse produziert werden. Nein. Wissenschaft besteht darin, dass man sich mit einem Phänomen beschäftigt, tage-, monate- oder jahrelang. Und auf dieser Grundlage kann man dann alles behaupten.

DVPW 2016Zum Beispiel kann man behaupten, dass „die NPD ‚rassistisch motivierte Staatsverbrechen‘ plane und ‚acht bis elf Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben‘ wolle“. Diese Aussagen, die sich nur dem erschließt, der sich quasi hermeneutisch in die Innereien jener unappetitlichen Partei gefressen hat, der sich so mit der NPD identifiziert, dass im Dinge ersichtlich sind, die einem normalen Menschen beim Betrachten des Parteiprogramms der NPD überhaupt nicht ersichtlich sind, sie sind nach Ansicht der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft gerechtfertigt. Denn: „Forschungsergebnisse öffentlich darzustellen, gehört zu den zentralen Aufgaben von … Wissenschaftlern“, so steht es in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Politische Wissenschaft, die ein F. Wurm eingestellt hat, zu lesen.

Die Stellungnahme hat – wie könnte es anders sein – Steffen Kailitz und die Einstweilige Verfügung des Landgerichts Dresden zum Gegenstand, eine Verfügung, über die man bei der Deutschen Gesellschaft für Politische Wissenschaft befremdet ist, vermutlich deshalb weil die Kenntnis darüber, wie es zu einer Einstweiligen Verfügung kommt und was der Stellenwert einer Einstweiligen Verfügung ist, nicht weit verbreitet ist, unter den Mitgliedern von Vorstand und Beirat der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft.

Vermutlich wird die Unkenntnis über juristische Prozesse nur von der Unkenntnis darüber übertroffen, was Wissenschaft ausmacht und was der Kern von Wissenschaft ist: nachprüfbare Aussagen über die Wirklichkeit, Faktenaussagen, die sich als falsch erweisen können. Wenn die Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft der Meinung ist, nicht die Tatsache, dass Aussagen mit der Realität übereinstimmen, prüfbar sind und in einen theoretischen Korpus eingeordnet werden können, entscheide über deren Wissenschaftlichkeit, sondern die „wissenschaftliche Auseinandersetzung“ mit einem bestimmten Gegenstand, z.B. mit politischem Extremismus, dann hat sich die Vereinigung für Politische Wissenschaft gerade aus der Wissenschaft verabschiedet und ist in die Zeit zurückgekehrt, die Hans Albert in seinem Traktat über kritische Vernunft als Zeit der Offenbarungslehre beschrieben hat, die Zeit, in der eingeweihte Besserwisser aufgrund einer „wissenschaftlichen Auseinandersetzung“ mit einem Gegenstand wilde Behauptungen als Wissenschaft verkaufen konnten. Tatsächlich handelt es sich dabei um Ideologie oder Religion, nicht jedoch um Wissenschaft. Denn: Wissenschaft umfasst, um es noch einmal zu sagen, aus prüfbaren Aussagen. Wer nicht in der Lage ist, seine angeblichen Forschungsergebnisse so darzustellen, dass sie nachvollziehbar und prüfbar sind, der hat den Beruf verfehlt und sollte bei der Kirche anheuern – dort werden Schriftgelehrte mit einem direkten Draht zur göttlichen Wahrheit händeringend gesucht.

Oh No!Dass man bei Vorstand und Beirat der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft den Unterschied zwischen Ideologie, Religion und Wissenschaft nicht kennt, ist auf den ersten Blick bedenklich, auf den zweiten Blick nennt sich die Vereinigung eine Vereinigung für politische Wissenschaft nicht Politikwissenschaft. Da es eine politische Wissenschaft nicht geben kann, ist die Stellungnahme vielleicht doch nicht so überraschend, überraschend ist nur, dass die politischen …schaftler denken, sie könnten etwas darüber aussagen, wie Wissenschaft funktioniert und auf dieser Grundlage nach Wissenschaftsfreiheit rufen – es sei denn, man versteht den Ruf nach Wissenschaftsfreiheit als einen Ruf nach „anything goes“. Dann ist zwar nicht mehr unterscheidbar, was Wissenschaft von Humbug trennt, aber dieses Problem lösen wir dadurch, dass jeder, der von sich behauptet, er habe sich mit einem Problem wissenschaftlich auseinandergesetzt, Wissenschaft betrieben hat, und so haben wir im Handumdrehen ein Land voller Wissenschaftler, politischer Wissenschaftler.

P.S.
Die Stellungnahme der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft macht eindrücklich deutlich, wie politisiert die entsprechende Vereinigung ist. Wie fernab von aller Normalität muss man eigentlich mit seinem Gehirn angesiedelt sein, wenn man denkt, die Behauptung: die NPD plane „rassistisch motivierte Staatsverbrechen“ sei eine wissenschaftliche Aussage und wer sie als Diffamierung verbiete, vernichte die Wissenschaftsfreiheit? Wie elitär muss man eigentlich sein, wenn man denkt, die eigenen Aussagen seien durch den Stallgeruch einer Hochschule so vom Plebs abgehoben, dass unabhängig vom Inhalt keinerlei Diffamierung vorliegen könne, da allein Angehörige der unteren Schichten, die nicht nach Hochschulanbindung riechen, zu Hassrede und Diffamierung im Stande sind? Und wie naiv muss man sein, wenn man denkt, eine Diffamierung der NPD führe dazu, dass die entsprechende Partei verschwinden wird? Es wäre sicher von Nutzen, wenn so genannte Extremismusforscher, die ihrerseits sehr zu extremen Behauptungen zu neigen scheinen, sich mit den Forschungsergebnissen der Sozialpsychologie zum Thema Renitenz und mit denen der Soziologie zum Thema „unbeabsichtigte Folgen“ beschäftigen würden.


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