Vorsicht: Deutschlandfahnen machen nationalistisch – es geht immer noch dümmer

In der Neuen Osnabrücker Zeitung warnt eine Osnabrücker Psychologin vor Jubel in Schwarz-Rot-Gold. Vor allem beim Public Viewing, „bei dem sehr viel schwarz-rot-goldene Fahnen im Spiel seien, könne die Vaterlandsliebe bei manchen Menschen in Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit umschlagen“. Das hat Julia Becker, die Sozialpsychologin sein soll, dem evangelischen Pressedienst erzählt. Dort fand man es opportun, das Gerücht weiter zu verbreiten, und so ist es auch einem Mitarbeiter der Neuen Osnabrücker Zeitung zu Ohren gekommen.

Von Gerüchten ist bekannt, dass sie sich in Windeseile verbreiten. Sie verbreiten sich umso schneller, wenn es mit den Gerüchten möglich ist, anderen zu schaden. Jeder kennt die innerörtliche Gerüchteküche, in der die neusten Halbwahrheiten mit Lügen verrührt werden. Das Kommunikationsmodell der Klatschweiber, es hat sich zwischenzeitlich und offensichtlich auch regional und überregional etabliert.

Deshalb wissen Leser der NOZ nun, dass Julia Weber davor warnt, Fahnen zu schwenken, schwarz-rot-goldene Fahnen, keine anderen. Fahnen der Antifa gelten ihr vermutlich als im Hinblick auf Nationalismus unbedenklich. Doch der Reihe nach.

German flag
Deutsche Fahne mit Gegenwind

Becker will nach eigener Aussage, niemandem das Public Viewing vermiesen, es sei denn, die Niemande bringen Fahnen mit zum Public Viewing (schwarz-rot-goldene), denn erstens kann man auch „ohne schwarz-rot-goldene Fahnen feiern“ und zweites können schwarz-rot-goldene Fahnen bei sehr „nationalstolzen Personen Ressentiments gegenüber Migranten erhöhen“ (nicht etwa schaffen, was zeigt, dass für Becker Nationalstolz und Ressentiments gegen Migranten ein und dasselbe sind. Nicht unbedingt eine wissenschaftliche Ansicht, aber bei den Grünen wird sie damit sicher offene Türen einrennen, vor allem bei den Kindern der Grünen in Rheinland-Pfalz.).

Woher weiß Becker, was sie so ohne Zweifel und im Ton inbrünstiger Überzeugung, ja fast könnte man von einem Überzeugungssstolz gepaart mit einem tiefen Ressentiment gegen schwarz-rot-goldene Fahnen sprechen, verkündet? Aus der eigenen Forschung, die Becker „gemeinsam mit Studierenden bereits seit der Fußball-WM 2006“ ausführen will. 2006, so Becker, „wurde erstmals Flagge gezeigt“ und 2006 habe sich gezeigt, dass „Menschen mit einem ausgeprägten Nationalstolz eher Vorurteile gegen Ausländer hätten“. Die Forschung von Becker, sie folgt dem Muster, Kaffeekanne, Latzhose, grüne Wahlentscheidung: Irgend etwas wird willkürlich in Zusammenhang gebracht. Es gibt keinerlei theoretische Fundierung dafür, was denn Kaffeekanne, Latzhose und grüne Wahlentscheidung mit einander zu tun haben sollen, aber dennoch warnen Forscher wie Becker vor dem Genuss von Kaffee, denn er ist dem Tragen von Latzhosen und der grünen Wahlentscheidung nicht förderlich, jedenfalls dann, wenn er in Tassen genossen wird, die mehr als 250 ml Inhalt zulassen.

Über all dem Spaß den man aus der Tatsache ableiten kann, dass hier wieder ein vermeintlicher Wissenschaftler durch öffentliche Medien wandert, der keinerlei Idee vom Unterschied zwischen Kausalität und Korrelation hat, darf man nicht vergessen, dass Becker mit Konzepten hantiert, die man nicht direkt messen kann. Nationalismus kann man nicht abwiegen: „Wie viel Kilo Nationalismus dürfen es den sein?“ und für Fremdenfeindlichkeit gilt dasselbe. Beide Konzepte muss man operationalisieren.

Wie operationalisiert Becker „Nationalismus“? So; „Politiker sollen aufhören, immer wieder die negative deutsche Geschichte auszupacken“ und „Deutschland ist das beste Land der Welt“. Wer beiden Aussagen zustimmt, der ist Nationalist. Und unter Fahnenträgern (schwarz-rot-goldenen) finden sich etwas mehr, die diesen Aussagen zustimmen. Und weil dem so ist, deshalb besteht die Gefahr, dass beim Public Viewing der Virus des Nationalismus überspringt. Denn einen Virus des Nationalismus muss man annehmen, wenn man das, was Becker von sich gibt, nicht gleich als Monster-Unsinn bezeichnen will.

Aber das wollen wir (noch) nicht.

Deshalb stellen wir uns vor, Karl, Frank und Peter gehen zum Public Viewing. Peter hat eine Fahne dabei (vermutlich weil er seine Zugehörigkeit ausdrücken will, denn Fahnen sind in erster Linie ein Mittel, Zugehörigkeit auszudrücken). Die deutsche Nationalmannschaft, sie schießt ein Tor. Peter schwenkt die Fahne. Peter ist sowieso schon ein Nationalist, sonst hätte er keine Fahne dabei. Karl und Frank sind mit Peter unterwegs und somit in unmittelbarer Gefahr vom Nationalismus inkubiert zu werden. Peter schwenkt und Karl und Frank fallen dem Nationalismus anheim. Die Fahne ist der Träger des Virus. Mehr noch, Peter schwenkt sich in einen Schwenkrausch, einen Fahnenschwenkrausch in Schwarz-Rot-Gold und wird zum Fremdenfeind, vor allem nach dem Ausgleichstor der Polen wird er zu einem Fremdenfeind, der auf Polen schimpft.

Monster-Unsinn eben.

facepalm-GodzillaJetzt kommt wieder der Es-ist-Satz: Es ist erschreckend, was derzeit in Deutschland als Wissenschaft verkauft werden soll. Hanebüchene Operationalisierungen, theorielose Forschung (Warum führen Fahnen zu Nationalismus?), keinerlei Idee vom Unterschied zwischen Kausalität und Korrelation usw. So wäre es naheliegend, wenn man schon Fahnen als Untersuchungsgegenstand wählt, anzunehmen, dass diejenigen, die Fahnen mitnehmen, dies auf Basis von Nationalstolz tun. Die Fahnen wären entsprechend Ausdruck, nicht Verbreiter von Nationalstolz. Aber auf derart komplexe Ideen kommt eine Psychologin, die offensichtlich in einem geistigen Tunnel unterwegs ist, nicht. Dass sie in einem Tunnel unterwegs sein muss, zeigt sich schon daran, dass ihr die zweite naheliegende Idee, dass nämlich Fahnen nichts mit Nationalismus, sondern mit Gruppenzugehörigkeit zu tun haben, nicht einmal einfällt. Dabei will sie Sozialpsychologin sein. Nun, Sozialpsychologie beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Gruppenprozessen. Die Gruppenidentität und die Bildung von „temporären Gruppen“, der Ausdruck von Zugehörigkeit zu temporären Gruppen, sie sind Forschungsgegenstände, die schon Legionen sozialpsychologischer Bücher zum Ergebnis hatten. Entsprechend hätte ein Sozialpsychologe, der sein Fach kennt, auf die Idee kommen können, dass Fahnen eine Zugehörigkeit ausdrücken sollen, ein gemeinsames Happening und nicht mehr, etwa in der Weise, wie die Fahnen, die bei Gewerkschaftsstreiks mitgenommen werden oder die Fahnen, die die LGBTI-Bewegung durch die Lande hisst (Ob Becker als nächstes untersucht, wie die LGBTI-Fahnen sich auf die Diskriminierung Herterosexueller auswirken? Wir haben dahingehend eine (netzwerk-)theoretisch begründbare und eindeutige Erwartung.), ein Zugehörigkeitsgefühl und darüber hinaus einen Marker darstellen: Hier bin ich: Seht Ihr mich!. Mit Nationalstolz oder Fremdenfeindlichkeit hat das überhaupt nichts zu tun. Und dass es etwas mit dem einen oder dem anderen zu tun hat, das wäre erst noch zu belegen. Julia Becker belegt es mit Sicherheit nicht, schon deshalb nicht, weil sie keinerlei Theorie anzubieten hat, die die Verbreitung des Virus „Nationalismus“, der sich in schwarz-rot-goldenen Fahnen eingenistet hat, erklären könnte. Somit muss man wohl feststellen, dass Becker ein Miespeter, sorry, eine Mieseliesel ist, die nicht mit ansehen kann, dass sich Menschen beim Public Viewing verhalten, als wäre es der Kölner Karneval und einfach nur Spaß haben.

Womit wir zur letzten Frage kommen, die sich stellt: Wie kommt man überhaupt auf die Idee, den Zusammenhang zwischen bestimmten Fahnen und Nationalstolz und Fremdenfeindlichkeit zu untersuchen. Die Fragestellung ist nicht unbedingt naheliegend, denn eine schwarz-rot-goldene Fahne ist ein Hoheitszeichen von Deutschland, nicht mehr. Sie hängt in manchen Gerichten, vor Ministerien, vor diplomatischen Vertretungen im Ausland, ja selbst im Bundestag. Hängt sie dort, um den Virus des deutschen Nationalismus zu verbreiten? Sicher nicht.

social psychology for dummiesWie also kommt man auf diese abwegige Forschungsidee. Man muss, so die erste Annahme, in einem Netzwerk unterwegs sein, in dem schwarz-rot-goldene Fahnen negativ konnotiert sind, in dem ihnen vielleicht sogar Verachtung entgegengebracht wird. Die grüne Jugend in Rheinland-Pfalz scheint auch in diesem Netzwerk zu sein. Darüber hinaus muss die Vorstellung herrschen, dass Forschung eine ideologische, keine wissenschaftliche Tätigkeit ist. Schließlich muss man sich zum Wasserträger von denen machen, denen plötzlich eingefallen ist, man könne die deutsche Fahne als nationalistisches Ungetüm lancieren, das den Virus des Nationalismus verbreitet, von dem im übrigen auch noch zu zeigen wäre, dass er sich negativ auswirkt, worauf auch immer. Einstellungen und Überzeugungen sind übrigens bislang gesetzlich noch nicht verboten. Und ob nationalistische Einstellungen zu Handlungen führen und zu welchen Handlungen sie führen, wenn sie zu Handlungen führen, ist eine weitere Frage, die man noch stellen und beantworten müsste – jedenfalls dann, wenn man Wissenschaftler sein und nicht nur markieren will.


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