IM, Stasi oder Amadeu-Antonio-Stiftung: Kahane bekämpft „politisch-ideologische Diversion (PID)“

Wir haben uns heute ein wenig in den Akten der Birtler-Behörde umgesehen, um Material zum Ministerium für Staatssicherheit und seinen vielen Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) zu sammeln: 1048 IMs hat allein die Bezirksverwaltung Berlin in ihrer Abteilung XX beschäftigt. Insgesamt haben sich 173.081 DDR-Bürger als Spitzel für ihren Staat verdingt.

Einer dieser DDR-Bürger war Anetta Kahane, die seitdem nicht müde wird, zu betonen, dass sie erst 19 Jahre alt war, als sie angeworben wurde (was man mit: und erst 27 Jahre als sie aufgehört hat, Stasi-IM zu sein, weiterführen muss) und dass niemand durch ihre Tätigkeit zu Schaden gekommen ist, eine Behauptung, die man nicht prüfen kann, weil Frau Kahane die 800 Seiten ihrer Akte, die beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR aufbewahrt werden, nicht veröffentlicht (Tatsächlich sprechen die Indizien eher dagegen).

Was man jedoch kann, ist den Tätigkeitsbereich eingrenzen, in dem Kahane sich für das MfS engagiert hat, damit der politische Feind mit seiner staatsfeindlichen Hetze nicht das glorreiche System der Jahreswagen von Trabant und Wartburg zum Einsturz bringt.

Ausweislich der Angaben im Gutachten, das Helmut Müller-Enberg, seines Zeichens Mitarbeiter im Amt des Bundesbeauftragten eher widerwillig erstellt hat, wurde das Gutachten u.a. auf Grundlage der Akten

Kahane MfS AktenBStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX Nr. 1222 (Auszüge);
BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, A520-21 (Auszüge)
BStU, MfS, HA XX RK Nr. 6791-6830 (Auszüge)
BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 171 (Auszüge)

erstellt.

Müller-Enberg hatte also nicht alle Stasi-Akten über Kahane zur Einsicht vorliegen, sondern nur Auszüge. Die Aktenzeichen der Akten, die Müller-Enberg benutzt hat, zeigen, dass Kahane bei der Bezirksverwaltung (BV) Berlin in Abteilung XX geführt wurde und es wohl aufgrund ihrer Tätigkeit soweit gebracht hat, dass sie auch bei der übergeordneten Hauptabteilung XX geführt wurde.

Zwar wissen wir nicht, was Kahane im Einzelnen für die beiden Abteilungen XX des Ministeriums für Staatssicherheit an Informationen in den acht Jahren ihrer Tätigkeit gesammelt hat, aber wir können Angaben dazu machen, mit welchen Aufgaben die Hauptabteilung XX bzw. Abteilung XX bei der Bezirksverwaltung Berlin betraut waren und entsprechend welche Informationen und Tätigkeiten die dortigen IMs beizubringen bzw. zu entfalten hatten. Die Statistik der Stasi, minutiös geführt, gibt darüber Auskunft. Sie findet sich in einer Online-Publikation, die Müller-Enbergs, der nämliche, der auch widerwilliger Gutachter über Kahane war, erstellt hat.

“Bitte zitieren Sie diese Online-Publikation wie folgt: Helmut Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Teil 3: Statistiken. Unter Mitarbeit von Susanne Muhle. Berlin 2008.

Dort finden sich die folgenden Angaben zur Tätigkeit der Hauptabteilung XX und der Abteilung XX der Bezirksverwaltung Berlin des Ministeriums für Staatssicherheit.

“ In den Bereichen Staatsapparat, Kultur und Kirche sollte die Abteilung XX »politisch-ideologische Diversion« (PID) und »politische Untergrundtätigkeit« (PUT) im Raum Berlin aufdecken. Dementsprechend war sie nicht nur für die Sicherung bezirklicher Organe und Einrichtungen des Staatsapparates, der Führungsgremien der Parteien (ohne SED) und Massenorganisationen und der zentralen Massenmedien (Presse, Fernsehen, Rundfunk) zuständig. Sondern sie überwachte ferner Kirchen sowie Religionsgemeinschaften und agierte im »Operationsgebiet« (vor allem Bundesrepublik und West-Berlin) gegen »Zentren der PUT« und unter Angehörigen »alternativer Gruppierungen.“

AA Stiftung Sweet worldAnetta Kahane war also mit PID und PUT beschäftigt, sie sollte dabei helfen, „politisch-ideologische Diversion“ (PID) zu bekämpfen, also Kritik am Herrschaftssystem der DDR, die man in der DDR als staatsfeindliche Hetze bezeichnet hat und generell Meinungsäußerungen, die der herrschende Marxismus-Leninismus wohl, wie man heute sagen würde, als Hatespeech angesehen hätte. Zudem war Kahane wohl daran beteiligt, „politische Untergrundtätigkeiten (PUT) im Raum Berlin aufzudecken“, was man frei als Bericht über Treffen auffassen kann, an denen mehr als ein Regimekritiker teilgenommen hat. Hauptgegenstand der Überwachung waren u.a. die Medien und alternative Gruppierungen.

In der DDR hat Kahane also dabei mitgewirkt, Menschen mit anderer Meinung, mit einer Meinung, die mit der herrschenden Ideologie nicht im Einklang stand und generell als staatsfeindliche Hetze bezeichnet wurde, zu bespitzeln und an die Obrigkeit zu melden. Wobei die Überwachung von Medien und alternativen Gruppierungen eine besondere Bedeutung hatte.

Heute ist Kahane daran beteiligt, das Internet auf so genannte Hasskommentare hin abzusuchen. Ihre Stiftung vertreibt Broschüren, in denen dargelegt wird, wie man die vermeintlichen Hasskommentierer bei der Obrigkeit, anonym, wie das Brauch unter IMs war, anschwärzt. Damals wie heute fühlt sich Kahane berufen, Menschen mit abweichender Meinung, die sich politisch-ideologischer Diversion schuldig gemacht haben (also eine falsche Meinung haben), zur Zielscheibe ihrer Agitation zu machen. Damals wie heute wird vornehmlich bei alternativen Gruppierungen nach den ideologischen Abweichlern gesucht. Damals wie heute sind die Medien zentraler Ort der Überwachungstätigkeit.

Es hat sich nicht allzuviel verändert.


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