Heißer Brei: Erdoğan, Wissenschaft und die Deutsche Gesellschaft für Soziologie
Was macht man mit einem autoritären Führer, der alle Regeln des demokratischen Miteinanders mit Füßen tritt? Denn: Er ist demokratisch gewählt und repräsentiert somit das Legitimationsmodell, auf dem alle westlichen Demokratien und ihre Regierungen basieren.
Entsprechend mussten die Mitglieder der politischen Kaste jubeln als der demokratisch gewählte Recep Tayyip Erdoğan einen Militärcoup überstanden und mit aller Brutalität des Siegers gegen die nunmehr Verlierer vorgegangen ist.
Nun ist ein Putsch, der scheitert, eine hervorragende Gelegenheit, um alle möglichen Kritiker und Leute, die man schon immer einmal loswerden wollte, auch tatsächlich loszuwerden. Josef Stalin hat eigens Umsturzbemühungen gegen sich erfunden, um seine Gegner, einen nach dem anderen, nicht nur schauprozessen zu lassen, sondern auch zu exekutieren. Adolf Hitler hat gleich zu Beginn seiner Zeit als Reichskanzler seine Widersacher im so genannten Röhm-Putsch beseitigt. Voraussetzung dafür, dass ein missglückter Putsch dazu genutzt werden kann, Gegner zu beseitigen, ist nicht nur eine minutiöse Auflistung der Gegner, die beseitigt werden sollen, sondern auch das Vorhandensein von Ressourcen, um die Zügel autoritärer Herrschaft straff zu ziehen und bürgerliche Freiheiten zu beseitigen.
In dieser Hinsicht zeigt sich Recep Tayyip Erdoğan als autoritärer Herrscher, der sich auf eine breite Basis von Repressionshelfern stützen kann. Letztere erlauben es ihm nicht nur, die Türkei in einen autoritären Staat zu verwandeln, bürgerliche Freiheiten auszuhebeln und Grundrechte zu beseitigen, sie erlauben es ihm auch, alle möglichen Quellen, aus denen in Zukunft vielleicht einmal Kritik an seinem autoritären Herrschaftsstil kommen könnte, zu beseitigen.
Interessanter Weise ist Erdoğan der Ansicht, Bildungseinrichtungen und Universitäten seien potentielle Horte des Widerstands, weshalb er in großem Stil Lehrer entlässt und Repressalien einführt, um Wissenschaftler einzuschüchtern.
Und die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) hat dazu Stellung genommen.
Man lese und staune darüber, dass sich die DGS genötigt sieht, ein negatives Wort über die Vorgänge in der Türkei auszusprechen. Indes, man staunt nur kurz, denn der Text ist eine Meisterleistung im „um-den-heißen-Brei-Herumreden. Wird Eingangs noch das Erdoğan-Regime dafür verantwortlich gemacht, dass der Bildungssektor zum Gegenstand von Repressalien wird, so winden sich die Soziologen Lessenich und Villa aus München, die für den offenen Brief verantwortlich zeichnen, im dritten Absatz in fast schon mitleiderregender Weise, denn:
Es habe als Reaktion auf den Militärcoup weltweite und einstimmige Unterstützung für die demokratisch gewählte Regierung der Türkei gegeben (also das Erdoğan-Regime) und nun brauche die Türkei mehr denn je konstitutionelle und politische Garantien für Wissenschaftsfreiheit und eine freie öffentliche Debatte … Die DGS rufe alle Universitäten und Wissenschaftler dazu auf, Stellung gegen die derzeitigen Entwicklungen in der Türkei zu beziehen und die Demokratie in der Türkei zu unterstützen …
Wie man diesen Kreis quadrieren soll, das ist eine Frage, die Lessenich und Villa sicher nicht beantworten können, die so ungekonnt, um den heißen Brei herumschreiben, der darin besteht, dass die demokratische Regierung, deren Bestand auch nach dem Militärcoup sie so gefeiert haben, das Regime- Erdoğan, die selbe demokratische Regierung ist, nämlich das Regime Erdoğan, die sich nunmehr als gänzlich undemokratisch zeigt und die Gelegenheit nutzt, um Kritiker des Regimes zu beseitigen. Entsprechend ist es nicht klar, wen man denn nach Meinung der beiden Münchner Soziologen unterstützen soll, um die Demokratie in der Türkei zu unterstützen und Stellung gegen die derzeitige Entwicklung in der Türkei zu beziehen: Das Regime- Erdoğan oder dessen Gegner, also mithin diejenigen, die versucht haben, ihn per Militärcoup zu beseitigen?
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Als einer,der den zweiten Bildungsweg beschritten hat,weil Erkenntnis manchmal Zeit erfordert,kann ich immer wieder nur mit dem Kopf schütteln angesichts der ausgeprägten Unfähigkeit dieser sogenannten Proffs den Verstand zu benutzen,und rede da auch über viele eigene Erfahrungen.
Ist mal eine Fachfrage erlaubt?
Welche Konifere hat eigentlich die(se) Schriftfarbe erfunden? Modisches Dunkelgrau auf modischem Hellgrau? Gut, daß man das abschalten kann, in Browser, Einstellungen, immer eigene Farben verwenden.
Man kann auch Opera verwenden, mit cleanPages. Das verwandelt dann jede Designerwebwüste in lesbaren Text, ein Wunder.
Ich befürchte, bald muß man zu jeder ordentlich designten Weppseite noch Spezialeinstellungen ablegen. Aber ich bin heute Pessimist. Vielleicht brauchen wir dann auch keine Kryptographie mehr. Haben diese Weppdesigner html verstanden?
Ein Motzerchen am Morgen vertreibt alle Sorgen. Jetzt ist mir wohler.
Mal unter uns Betschwestern, wer sagt denn, was gewesen wäre, wenn Röhm sich durchgesetzt hätte und seine Armee Deutschland beherrscht hätte? Daß Hitler nicht machen konnte, was er wollte, kann man Heinz Roth entnehmen, Widerstand im Dritten Reich. Und wie weit die Überlieferungen über Stalin richtig sind, wer weiß. Breitgetreten wird doch im Westen nur, was dem Westen paßt, im Kalten Krieg.
War der Putsch nun mißlungen oder inszeniert? Auf jeden Fall gewinnt der Zähler der Verschwörungstheorien.
Soziologe Lesenich — das Leben schreibt eben die besten Witze.
Weltweite Unterstützung — ein wissenschaftliches Argument — wie war das mit den Milliarden Fliegen?
Und nie vergessen, Demagogie schlägt Demokratie.
Carsten
—
“Vor einhundert Jahren verließen rund drei Prozent eines Jahrgangs die deutsche Schule mit dem Abitur. Derzeit gelingt dies etwa 60 Prozent. Haben die Menschen also eine 20-fache Steigerung der Intelligenz erfahren? Oder hat sich das Schulniveau auf ein Zwanzigstel reduziert?”
Carlos A. Gebauer
Soziologen halt …
Da braucht man nicht mehr zu schreiben.
O.T.
Und wenn ein Soziologe mal was von seiner Arbeit versteht, sind die Studenten gegen ihn:
http://www.heise.de/tp/artikel/48/48854/1.html
“Die wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit des in Berlin lehrenden Migrationsforschers Ruud Koopmans sorgt für Diskussionen”
Hallo Herr Klein,
in diesem speziellen Fall möchte ich Ihrer Interpretation des in dem Artikel abgebildeten DGS-Briefes widersprechen.
Die DGS schreibt in dem dritten Absatz:
“While there has been global and unanimous support for the democratically elected government of Turkey in reaction to the military coup, more than ever the country needs constitutional guarantees for academic freedom and an open public debate, as advocated by its strong university sector.”
Das würde ich so übersetzen:
“Obwohl es in Reaktion auf den Militär-Putsch für die demokratisch gewählte türkische Regierung weltweite und einhellige Unterstützung gab, braucht das Land mehr den je verfassungsmäßige Garantien für die akademischen Freiheiten und eine offene öffentliche Debatte, wie von dem starken Universitäts-Sektor empfohlen.”
Was ist daran falsch?
Mit keinem Wort wird die Erwartung befeuert, daß Erdogan der Mann sei, der dies auch umsetzen würde.
Es ist aber richtig, die Forderung per se erst einmal aufzustellen, auch, wenn es aus unserer Sicht eine Selbstverständlichkeit sein sollte (aber ist es das zum Beispiel überhaupt noch in Deutschland?).
Und im vierten Absatz ruft die DGS auf:
“The DGS calls on all universities and scholars to speak out against the current developments and to support democracy in Turkey, including institutional autonomy and academic freedom for scholars and students.”
Und das würde ich so übersetzen:
“Die DGS ruft alle Universitäten und Wissenschaftler auf, sich gegen die gegenwärtigen Entwicklungen auszusprechen und die Demokratie in der Türkei, einschließlich der institutionellen Selbstständigkeit und der akademischen Freiheit für Wissenschaftler und Studenten, zu unterstützen.”
Das ist für mich ein klarer Appell, nicht nur an den türkischen, sondern auch an den internationalen Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb, sich für die Demokratie und die wissenschaftliche Freiheit in der Türkei einzusetzen.
Aus meiner Sicht ist der Brief kein Wischi-Waschi, sondern eine ganz klare Ansage, die diplomatisch unmißverständlich ist und Herrn Erdogan mit Sicherheit übel aufstoßen wird. – Das finde ich gut!
Mit bestem Gruß,
Andreas Damm
Daß sich ein zunächst einmal demokratisch gewählter Staatschef zum Diktator aufschwingt, ist seit der Antike nichts neues. Hier widerholt es sich aber ein ähnliches Muster nach etwa 80 Jahren noch einmal!
Sowohl Erdogan heute, als auch Hitler damals wurden von Hinterleuten, die sich einen Vortei von derer (absoluten) Herrschaft versprachen, unterstützt und finanziert! (Hitler war 1937 im Time-Magazin “Man of the Year”!) Damals war eher der Reichstagsbrand das vergleichbare Ereignis; denn danach wurden politische Gegner verhaftet, Parteien verboten und Gewerkschaften aufgelöst.
Alle anderen Diktatoren in der neueren Zeit seit Napoleon wurden nicht zuvor vom Volk gewählt. Durch diese Besonderheit kann man aber hinterher das ganze Volk für die Fehltritte des Diktators verantwortlich machen; denn das hatte ihn ja gewählt!
Als nächstes folgt ein Münchner-Abkommen zwischen der EU und der Erdogan-Türkei zu Lasten Syriens. Begründung: Man müsse die demokratischen Kräfte in der Türkei stärken.