Klotzen, nicht Kleckern: Wenn Sie ein Schwein sein wollen, dann bitte richtig

Die Unverfrorenheit, der man heutzutage gegenübersteht, ist erstaunlich. Politiker fälschen wissenschaftliche Arbeiten, erfinden ein ganzes Studium, finanzieren ihre Kumpane über eigens erfundene Programme, die von Steuerzahlern bezahlt werden. Und weil das noch nicht reicht, beschimpfen sie Bürger, die ihre bürgerlichen Rechte wahrnehmen, als Wut- oder Problembürger oder gleich als Pack, sprechen anderen demokratische Rechte vollständig ab und führen sich auf, als würde ihnen die Deutschland AG komplett gehören, als wären sie gar keine Angestellten, die im Auftrag von Wählern deren Willen ausführen müssen.

ncomms13327-f1Frechheit siegt, so hat man früher gesagt, wenn man mit Zeitgenossen konfrontiert war, deren Unverfrorenheit bis sie an einem selbst geraten sind, zum Erfolg geführt hat. Aber früher hat man auch gedacht, dass es eine Grenze der Frechheit gibt, die von zwei Seiten definiert wird: Von Seiten derjenigen, die sich auf diese Weise Vorteile verschaffen wollen, einfach dadurch, dass sie eine moralische Grenze für sich einhalten, also z.B. nicht zu offen auf Kosten von Steuerzahlern leben, keine Studienabschlüsse erfinden und keine Kinderpornographie auf Rechnern, die Steuerzahler finanziert haben, sammeln, und von Seiten derjenigen, die mit Unverfrorenen konfrontiert sind, die sich entsprechend Vorteile verschaffen wollen, einfach dadurch, dass sie Grenzen der Zumutbarkeit und Akzeptanz setzen und wenn es anders nicht geht, eine auf’s Maul geben.

Neue Forschung aus Deutschland, von der Universität Köln, die gerade in Nature Communications veröffentlicht wurde, stellt diese Sicht der Dinge in Frage und legt den Schluss nahe, dass man, wenn man sich wie ein Schwein verhalten will, sich am besten wie ein großes Schwein verhält.

Loukas Balafoutas, Nikos Nikiforakis und Bettina Rockenbach haben untersucht, wie sich Passanten verhalten, die einen Normverstoß auf einem Bahnhof beobachten. Den Normverstoß gab es in zwei Formen: als Kaffeebecher und als Müllsack. Beides wurde einfach auf den Bahnsteig geworfen. 100 Passanten und deren Reaktionen haben die Forscher beobachtet und in anschließenden Befragungen, weitere 510 und noch einmal 324 Befragte mit dem Szenario und einigen Fragen dazu konfrontiert.

Das Ergebnis:

Die Mehrzahl der Passanten, die beobachteten, wie ein Kaffeebecher oder ein Müllsack auf den Bahnsteig geworfen wird, unternimmt nichts, gar nichts, macht keinen Versuch, den Normverstoß zu bestrafen. Mehr noch: Die Minderheit derer, die den Normverstoß direkt bestrafen, indem sie den öffentlichen Müllentsorger z.B. verbal maßregeln wird geringer, wenn ein großer Müllsack anstelle eines kleinen Kaffeebechers auf den Bahnsteig geworfen wird. Mit einem gröberen Verstoß gegen die Regeln des Miteinanders geht also ein geringere Wahrscheinlichkeit von Konsequenzen einher. Das mag erklären, warum Politiker heute, wenn es darum geht, sich opportunistisch gegenüber den eigenen Bürgern zu verhalten, nicht mehr Kleckern, sondern Klotzen.

angst-vor-aergerAls Erklärung dafür, warum sie den wilden Müllentsorger nicht für seinen Normverstoß zur Rede gestellt und ihn nicht dafür verantwortlich gemacht haben, geben 53% beim Kaffeebecher und 67% beim Müllsack an, dass das „zu Streit führen könnte“. Angst ist somit die Ursache dafür, dass Personen, die sich in der Öffentlichkeit wie Schweine benehmen, kaum Konsequenzen für ihr Verhalten zu erwarten haben, und je größer ihr Regelverstoß, desto größer ist die Angst vor Streit, d.h. je größer der Schaden durch den Normverstoß (für die Allgemeinheit), desto unwahrscheinlicher die Konsequenzen für denjenigen, der sich wie ein Schwein benommen hat.
Dieses Ergebnis erklärt unsere Überschrift und das Verhalten mancher Politiker.

Wir entschuldigen uns an dieser Stelle ausdrücklich bei allen Schweinen, die zu intelligent sind, als dass sie ausgerechnet als Bezeichnung für Menschen herhalten sollten, die die Angst ihrer Mitmenschen ausnutzen. Wir begründen unsere Verwendung des Begriffs „Schwein“ mit kultureller Gepflogenheit, die den Begriff „Schwein“ dann, wenn er auf Menschen angewendet wird, seiner moralischen Befähigung, die ihn auszeichnet, wenn er auf die entsprechenden Tiere angewendet wird, entledigt.

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