Katastrophe: Ein ostdeutsches Kulturgut steht vor dem Untergang

Jetzt ist es amtlich: 5% stehen leer, 85% der Leerstände finden sich in Ostdeutschland. Spitzenreiter: Sachsen … nein, dieses Mal: Sachsen-Anhalt! 12% stehen dort leer. In den restlichen ostdeutschen Bundesländern sind es zwischen 5% und 6%. 1.600 wurden bereits aufgegeben, andere werden zurückgebaut und alle, die leer stehen, kosten Geld, die Kommunen in der Regel.

Wie ist das zu bewältigen?

Was?

Rent seekingOh. Da haben wir vergessen, das Thema einer Studie, die das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in Auftrag gegeben hat, zu benennen. Auftragsnehmer, der aus Steuermitteln finanzierten Studie, ist die Weeber+Partner/W+P GmbH, die, wie könnte es anders sein, ihren Sitz in Berlin hat. Der letztendliche Bericht, den die Berliner von der Weeber+Partner GmbH dann 2012 abgeschlossen haben, hat 4 Jahre in Anspruch genommen und füllt 65 Seiten in Gänze, so dass man vermuten darf: Die Kosten für den Bericht, sie befinden sich im sechsstelligen Bereich.

Irritierender Weise ist der wichtige und teure Bericht 2013 in einem Regal des Bundesinstituts für Bau-, Stadt und Raumforschung verschwunden, in Heft 158 der Forschungen aus dem Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) eingeheftet und weggestellt worden.

Rund drei Jahre hat es gedauert, bis die drohende Katastrophe, die mit so viel Steuergeld aufgezeigt werden konnte, bis die Empfehlungen und Bewältigungsstrategien, die in dem Bericht zur Verhinderung der Katastrophe entwickelt wurden, wieder Aufmerksamkeit erregt haben. Irgendwie muss ein Mitarbeiter der Fraktion der LINKE im Bundestag über den zwischenzeitlich betagten Bericht im Heft 158 der Forschungen gestolpert sein und sogleich ist ihm die ganze Dramatik der Angelegenheit, der tickenden ostdeutschen Zeitbombe deutlich geworden. Entsprechend alarmiert schreibt die Fraktion der LINKE dann in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung, um auch Letztere für Heft 158 ihrer eigenen Forschungen aus dem Verkehrsministerium zu sensibilisieren.

Und es ist wirklich dramatisch, was sich im Osten Deutschlands als Folge des demographischen Wandels an Veränderung ergeben wird. Ein Kulturgut, das man im Osten Jahrzehnte, ja Jahrhunderte gepflegt hat, es droht zu verschwinden. Was den Sozialismus überlebt hat, es scheint nun dem Untergang geweiht zu sein, denn: Es fehlen Geld, Manpower und Nachfrage, so ziemlich alles, was man braucht, um die „Orte der Gemeinschaft“, des „Naturerlebens“, der „Freizeitgestaltung“ und des ökologischen Landbaus aufrecht zu erhalten.

Ach, so: Es geht natürlich um Schrebergärten. Schrebergärten stehen im Osten leer, 5% von rund 970.000 deutschlandweit stehen leer, 85% davon in Ostdeutschland. Angesichts der kulturellen Bedeutung, die manche fälschlicherweise der Banane zugeschrieben haben, die jedoch dem Schrebergarten oder dem Kleingarten zukommt, ist dies eine kulturelle Katastrophe, die man unbedingt erforschen muss, mit viel Steuergeldern, denn ein leer stehender Schrebergarten stellt die Kleingartenkolonie vor ein Problem: Was tun mit dem Unkraut und all der ungepflegten Erscheinung im schnell überwucherten Brachgarten?

Was tun: Die Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, sie weiß, was angrenzende Schrebergärtner und die Kleingartenverwaltung tun: Sie pflegen die Gärten nebenbei, lassen sie von anderen Kleingärtnern nutzen und handeln mit den Kommunen Rabatte bei der Pachtgebühr aus. Ganz schön schlau. Hätte man ohne Studie nie herausgefunden. So wie man nicht hätte herausfinden können, dass in Kleingartenkolonien, in denen sich niemand findet, um die leer stehenden Gärten zu betreuen, Probleme entstehen und zuweilen sogar ein Rückbau, wenn sich so gar niemand mehr findet, erfolgen muss. Ohne Studie eine intellektuelle Terra non cognita. „Wächst der Leerstand, so das zentrale Ergebnis der Steuerzahler finanzierten Studie, dann „müssen Kleingartenanlagen zurückgebaut werden“. So ist das: Wenn niemand X will, dann kann man X nicht mehr an den Mann bringen. Dank der Studie der Weeber GmbH (und Partner) wissen wir das wieder einmal.

Aber wir wollen nicht unfair sein. Die vier Jahre, in denen eine intensive Befassung mit der „Bewältigung der Leerstandsproblematik in Kleingartenanlagen“ erfolgt ist, haben zu einer Vielzahl von Empfehlungen geführt, die die Problematik nicht lösen, aber doch weiter vertiefen werden, Empfehlungen wie:

  • Garden gnome„Leerstandsproblematik beobachten“ – das ist immer gut, am besten vier Jahre lang und auf Kosten der Steuerzahler,
  • “Informations- und Erfahrungsaustausch und Beratung“ – am besten durch den Aufbau eines bundesweiten Netzwerkes der Kleingärtner, dessen Ziel darin besteht, einen jährlichen Kleingartenkongress durchzuführen, zu dem Kleingärtnerdelegierte, die von den Kommunen bestimmt und bezahlt werden, aus allen Kleingärten Deutschlands anreisen.
  • “Offensives Marketing“ – Leider wissen wir nicht, was man bei der Weeber GmbH und ihren Partnern als „offensives Marketing“ ansieht, wir können nur spekulieren: „Pachte einen Kleingarten und Du bekommst einen weiteren gratis dazu“ oder: eine Koppelung mit Elternzeit: Wer in Elternzeit geht, erhält einen Kleingarten zur Pflege, damit er seine Zeit sinnvoll anfüllen kann …
  • “Strategische Konzepte entwickeln!“ Welche? Keine Ahnung. Strategische eben. Keine operativen, nein, strategische und Konzepte, keine Pläne, nein Konzepte, strategische.

Und zum Abschluss die beste Empfehlung:

“Geprüft werden sollte darüber hinaus, inwiefern Aufgaben im Kleingartenwesen, die sowohl im Interesse der Städte liegen als auch zur Förderung des sozialen Lebens beitragen, im Rahmen von Arbeitsmarktförderungen wieder stärker unterstützt sowie durch Ehrenamtsprojekte mit übernommen werden können.” (5)

Richtig: Hartz IV-Empfänger in die Kleingärten. Unkrautjäten als Arbeitsbeschaffung. Wer keine Gurken anbauen will, dem wird das Hartz-IV-Geld gekürzt. So muss das gehen, schon weil der Untergang der ostdeutschen Klein- oder Schrebergartenkultur nicht mit angesehen werden kann, ebenso wenig wie es mit angesehen werden kann, dass Steuermittel von Bundesinstituten im Friends-and-Family Programm verschwendet werden.

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