Deutschland ist nur ein imaginiertes „Wir-Phantasma“ – Wissen

Angeblich leben wir in der Moderne. Wenn wir in der Moderne leben, dann teilt die Moderne viele Eigenschaften der vor-sokratischen Phase, in der Philosophie noch als das Forschen nach dem letzten Grund betrieben wurde. Dieser letzte Grund, ob er monistisch oder pluralistisch bestimmt wurde, er galt als das, was die Welt im Innersten zusammenhält, und er war den einen die reine Idee und den anderen die reine Materie.

Heute sind manche nicht viel weiter, gibt es doch Strömungen, die man als Umkehrung der Suche nach dem letzten Grund ansehen kann, Strömungen, die von dessen nicht-Existenz ausgehen, es gibt ihn weder als reine Idee noch als reine Materie. Was es für die Vertreter dieser Ansicht gibt, sind (reine?) Symbole und andere Formen von Einbildungen, aus denen dann doch und irgendwie eine materielle Existenz erwächst.

anderson-imagined-communitiesEine dieser Einbildungen ist die Nation. Die Nation, nennen wir sie Deutschland, ist keine reine Idee und auch keine reine Materie, das kann sie auch nicht sein, denn Deutschland wurde als Begriff nicht im Walhalla der Weltenschöpfung festgelegt und Deutschland als Land kann keine materielle Eigenheit für sich beanspruchen, wie schon die Tatsache sich verändernder Bevölkerung und Außengrenzen zeigt. Daraus müsste man nun eigentlich den Schluss ziehen, dass Deutschland eine mehr oder weniger willkürliche Bezeichnung für eine gegebene Entität ist und dass die Konstitution dieser Entität über eine Vermengung objektiver Fakten und ideeller Zuschreibungen erfolgt. Ersteres wird deutlich, wenn man versucht, von Deutschland in die USA zu reisen, und zwar ohne einen materiellen Beleg für die Existenz Deutschlands, genannt Pass, der dieses Unterfangen erst ermöglicht. Letzteres wird dadurch deutlich, dass die Existenz Deutschlands schnell beendet wäre, wenn die Bewohner des Gebiets, das mit Deutschland umschrieben wird, aufhören, an die Existenz Deutschlands zu glauben und sich statt dessen, anders, vielleicht Bewohner des MilchundHong-Landes nennen, MuHols…

Das, wie gesagt, wäre die normale Reaktion, die man von rationalen Menschen und allen voran von Wissenschaftlern erwarten würde. Und dann gibt es die Reaktion von denen, die sich für besonders kritisch halten, dabei aber das Problem haben, dass Anspruch und Wirklichkeit ihrer intellektuellen Kapazität auseinanderklaffen, so weit, dass die entstehende Lücke durch ein Geflecht aus sprachlichen Lauten, die man am besten als pseudo-intellektuelles Geschwätz bezeichnen kann, überdeckt werden muss, etwa so:

„ (1) Die nationalstaatliche Regulation der migrationsgesellschaftlichen Tatsache ist ganz sicher nicht die einzige bedeutsame Regulationsebene, aber eine relevante. (2) Sie antwortet einem strategischen Bedarf, der dadurch entsteht, dass die imaginierte Einheit ‚Nation‘ durch Prozesse, die nicht allein mit Migrationsphänomenen, aber auch mit diesen einhergehen und aus ihnen resultieren, bei denen Phänomene des faktischen und symbolischen Überschreitens und Infragestellens der nationalen Grenzen eine prominente Rolle spielen, in eine Krise gerät. (3) Es können hier zwei Typen von Krisen unterschieden werden: eine Art Identitätskrise, die zentral darauf verweist, dass die Plausibilität eines Wir-Phantasmas in Bedrängnis gerät, und eine Funktionskrise, in der es um die quantitativ-qualitative Regelung des Nachschubs an Subjekten für den funktionalen Bestand nationalstaatlicher Realität geht.“

Produziert wurde dieser Beleg dafür, dass Sprache eben nicht der Verständigung dient, von Inci Dirim und Paul Mecheril, und zwar unter der Überschrift: Warum nicht jede Sprache in aller Munde sein darf? Formelle und informelle Sprachregelungen als Bewahrung von Zugehörigkeitsordnungen.

Popper hat sich einst den Spaß gemacht, prätentiöses Geschwafel von Habermas auf dessen nichtssagenen Kern zu reduzieren. Wir wollen es Popper hier einmal gleichtun.

Die oben aneinandergereihten Sätze, die wir durchnummeriert haben, können wie folgt übersetzt werden:
(1) Nationalstaaten regeln die Ein- und Ausreise, z.B. durch Gesetze.
(2) Diese Regelung wird notwendig, weil Nationalstaaten eingebildet sind, nicht wirklich existieren. Deshalb geraten Nationalstaaten (also die Einbildung es gäbe Nationalstaaten) dann in eine Krise, wenn eine große Zahl fremder Personen einreist.
(3) Zwei Krisen können unterschieden werden: (a) die Identitätskrise: Die Einbildung vom Nationalstaat wird durch Zuzug gefährdet. (b) die Funktionskrise: Die Frage, sind Geburten oder Migranten wichtiger, um die Phantasie „Nationalstaat“ aufrechtzuerhalten, wird diskutiert.

Was oben so wortreich zusammengeschrieben wurde, klingt doch ziemlich profan, wenn man es auf seinen Bedeutungskern reduziert: Menschen bilden sich ein, dass es ihren Nationalstaat gibt und wenn Menschen zuziehen, die fremd sind, dann geraten die Menschen mit ihrer Einbildung in die Krise, funktional und symbolisch.

Tatsächlich kling das so profan, dass sich drei Fragen aufdrängen: (1) Was hat das mit Wissenschaft zu tun? (2) Ist es wirklich Wissenschaft, wenn man die Existenz von etwas, das sich im täglichen Leben der Menschen niederschlägt, als imaginiert behauptet und Krisen konstruiert, die das, was als imaginiert behauptet wird, faktisch, nämlich durch ganz materiellen Zuzug in die als imaginiert phantasierte nationale Welt in Frage stellen? Oder, logisch gefragt: Kann man eine „ideell gedachte Entität“ (Nationalstaat) durch materielle Entitäten (Flüchtlinge) in Frage stellen? Und (3) ist das noch normal, die real erfahrbare Welt in Frage zu stellen, und zwar auf Grundlage des Missverständnisses, dass Begriffe wie „Deutschland“, die natürlich keine Existenz haben, sondern sprachliche Repräsentationen von etwas sind, deshalb, weil sie willkürlich sind, sich auch auf kein real existierendes Objekt beziehen können? Eigentlich beginnt Wissenschaft damit, dass man die Ontologie und die Erkenntnisfähigkeit zu unterscheiden im Stande ist, also z.B. weiß, dass es einen Unterschied zwischen dem, was bezeichnet wird und dem, was es bezeichnet, gibt. Derzeit sehen wir einen Advent von Spinnern, die der Ansicht sind, das Bezeichnende sei das Bezeichnete. Offensichtlich ist hier in der Sozialisation einiges schief gegangen, was uns zu W. V. Quine bringt, der sich umfassend mit Wort und Gegenstand befasst hat und in seinem gleichnamigen Buch eine hervorragende Beschreibung für das hier aufgezeigte Phänomen bietet:

quine-wort-gegenstand“Eine der Merkwürdigkeiten unserer schwatzhaften Spezies ist die Lallphase im ausgehenden Säuglingsalter. Während dieser Zeit gibt das ziellose Stimmverhalten den Eltern anhaltende Gelegenheit zu Verstärkung von Zufalls-Äußerungen, die ihnen passend erscheinen und so werden die ersten Anfangsgründe der gesprochenen Sprache weitergegeben. Das Lallen fällt unter das von Skinner so bezeichnete operante Veralten, das nicht ausgelöst, sondern vielmehr geäußert wird. Operantes Verhalten läßt sich bei Menschen und anderen Lebewesen durch rasche Belohnung selektiv verstärken. Das Lebewesen neigt dazu, die belohnende Handlung zu wiederholen, wenn Reize, die bei der ersten Ausführung zufällig präsent waren, erneut auftauchen“ (Quine, 1980: 149)

Was, wenn in der Lallphase das Lallen belohnt wird, von Peers oder in Netzwerken, in denen dem Lallen ein hoher Wert zugewiesen wird. Dann ist anzunehmen, dass Lallen zu einem festen konditionierten Verhalten wird, dessen Belohnung darin besteht, dass die Angehörigen im Netzwerke des Lallens, das Lallen, zwar nicht verstehen, aber positiv bewerten. Somit bleibt nur noch eine Frage: Wie konnten es Mitglieder aus Lall-Netzwerken an Universitäten schaffen.

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