„Geschmackloser, alter Agit-Prop-Drecksack“ – politisch unkorrekt, Satire, Beleidigung?

Wie gestern in den alternativen und einigen Mainstream-Medien berichtet wurde, erwägt die AfD, Beleidigungsklage gegen Christian Ehring zu erheben, der sich in der NDR-Sendung „extra 3“ dazu hat hinreißen lassen, die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel als „Nazi-Schlampe“ zu bezeichnen. Der Kontext, auf den Ehring seine Äußerung bezogen hat, ist wiederum eine Äußerung von Weidel auf dem gerade vergangenen AfD-Parteitag in Köln. Sie hat dort gesagt: „Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.” Ehring sagte dazu in „extra 3“: „Lasst uns alle unkorrekt sein. Da hat die Nazi-Schlampe doch recht.” Soweit die Fakten.

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Satire aus Brasilien

Ehring selbst und die Mainstream-Medien sehen in der Äußerung Ehrings keine Beleidigung, sondern halten sie anscheinend für angebracht und hinreichend geschmackvoll, um sie der GEZ-Zwangsgebühr-zahlenden Zuschauer- und Zuhörerschaft zuzumuten. Zwar drücken sich sowohl Ehring als auch die Mainstream-Medien bislang um eine klare Stellungnahme dazu, wie und als was die Bezeichnung von Weidel als „Nazi-Schlampe“ zu beurteilen sei, aber nahegelegt wird, dass es sich dabei um „Satire“ handle, z.B. wenn auf den Internetseiten des Deutschlandfunk (Dlf24) zu lesen steht:

„Die AfD hatte sich während der Auseinandersetzung um das Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann auf den türkischen Staatschef Erdogan noch auf die Seite der Satire gestellt. Parteichef Meuthen hatte Kanzlerin Merkel einen Kniefall vor Erdogan vorgeworfen, als sie das Strafverfahren gegen Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts zugelassen hatte.”

Das impliziert, dass man beim Deutschlandfunk der Meinung ist, die Beschimpfung einer Person als „Nazi-Schlampe“ sei statthaft, um – in Unkenntnis der korrekten Bezeichnung – einen Fehlschluss tu quoque zu identifizieren. Bzw. ist man beim Deutschlandfunk der Meinung, eine Beleidigung würde zu etwas anderem, wenn sie in einer Sendung erfolgt, die gerne als Satiresendung durchgehen möchte, oder von einer Person geäußert wird, die sich selbst als Satiriker oder irgendwie witzig oder geistreich betrachtet.

Nehmen wir um des Argumentes willen an, Ehring sei tatsächlich Satiriker und „extra 3“ sei eine Satiresendung. Dann stellt sich die Frage, ob Beleidigungen von Personen zu den akzeptablen oder gar unumgänglichen Stilmitteln der Satire gehören. Diese Frage ist sicherlich zu verneinen: Beleidigungen sind weder witzig noch geistreich.

Schüler in deutschen Schulen lernen, dass eine Satire eine Textsorte der folgenden Art sei:

„Eine Satire zeigt die Fehler und Schwächen von Menschen auf, übt häufigindirekt Kritik am Mensch-Sein. Das zeigt sie spöttisch und humorvoll.”

Ist die Bezeichnung einer Person als „Nazi-Schlampe“ humorvoll? Schwerlich! Und besonders dann nicht, wenn sich die Beleidigung pauschal in eine Reihung von üblichen, aber nichtssagenden und deshalb langweiligen Floskeln einreiht, die vage mit „rechts“ bzw. „böse“ assoziiert werden (sollen).

Ist sie „spöttisch“? Möglicherweise, denn im Duden wird „Spott“ wie folgt definiert:

„Äußerung oder Verhaltensweise, mit der sich jemand über jemanden, jemandes Gefühle o.Ä. lustig macht, seine Schadenfreude ausdrückt, über jemanden, etwas Äußerung oder Verhaltensweise, mit der sich jemand über jemanden, jemandes Gefühle o. frohlockt (1)”

Als Synonyme für „Spott“ werden im Duden übrigens u.a. „Boshaftigkeit“ und „Gemeinheit“ benannt.

Nicht, dass wir bei ScienceFiles diese Auffassung von „Spott“ teilen würden, aber wenn „Spott“ mit „Boshaftigkeit“ und „Gemeinheit“ gleichzusetzen wäre, dann könnten Beleidigungen vermutlich als „Spott“ betrachtet werden.

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For China Europe is the New Africa

Die Frage ist dann aber, ob Satire, wenn sie ein Mittel der Kritik ist, gleichzeitig „Spott“ beinhalten kann. Sich über jemandes Gefühle lustig zu machen oder seine Boshaftigkeit auszuleben, ist ja kein Mittel der Kritik (es sei denn, man wollte der Welt eigene Schwächen präsentieren, um sich dann selbst anzuprangern), sondern —- naja, eben Boshaftigkeit. Satire kommt jedenfalls wunderbar ohne Beleidigungen aus, wie jeder weiß, der alt genug ist, um z.B. Dieter Hildebrandts „Scheibenwischer“ in Erinnerung zu haben. Egal, was man vom „Scheibenwischer“ hält, Hildebrandt verfügte über die sprachlichen (und mimischen) Mittel, Satire als solche kenntlich zu machen, ohne auf Beleidigungen zurückgreifen zu müssen.

Ist Ehring also nur ein überforderter Möchtegern-Satiriker? Verfügt er einfach nicht über die sprachlichen Mittel, um Satire betreiben zu können? Hat er überhaupt Schwierigkeiten damit, Begriffe richtig zu verwenden? Und wenn ja, warum? Ist er ein Opfer der deutschen Sprache? Oder ist er ein Opfer seiner niedrigen Motive, seiner Impulsivität, seiner nicht erbrachten mentalen Entwicklungsleistungen?

Es scheint so. Und zwar u.a. deshalb, weil er meint, „politische Korrektheit“ sei eine andere Bezeichung für „Seine-niedrigsten-Impulse-notdürftig-unter-Kontrolle-halten“, denn nur dann, wenn er „politische Korrektheit“ als eine Art Deckel auffasst, der der Unanständigkeit aufgelegt wird, macht sein Bezug seiner Beschimpfung auf die Äußerung von Weidel Sinn, die sich gegen „politische Korrektheit“ gewandt hat. Ehring muss die Vorstellung haben, dass dann, wenn „politische Korrektheit“ entfällt, jeder frei ist, seinen Mangel an Anstand und Respekt gegenüber anderen Menschen, auch solche mit einer anderen Weltanschauung, auf jede erdenkliche Weise kundzutun.

Er hat demonstriert, dass er sich dann, wenn er Weidel ernst nimmt und „politische Korrektheit“ aufgibt, die Freiheit nimmt, zu beleidigen und zu beschimpfen, wie es ihm seine Impulse zu diktieren scheinen – bar jedes Anspuchs an sich selbst, jeder Mäßigung, jedes Gefühls für Anstand oder auch nur Geschmack. Wenn die „lex Ehring“ gilt, dann kann nicht beanstandet werden, wenn wir oder irgendjemand sonst Ehring als „geschmacklosen, alten Agit-Prop-Drecksack“ bezeichnen – ist das nicht, was wir wirklich denken und was nach Ausgedrückt-Sein drängt, wenn die Zügel der „politischen Korrektheit“, die wir uns alle anlegen, locker gelassen werden?

Nun ist „politische Korrektheit“ aber kein Synonym für „Anstand“ oder „Selbstbeherrschung“, wie Ehring wissen könnte und zweifellos wissen sollte. Tatsächlich bezeichnet „politische Korrektheit“

„[t]he avoidance of forms of expression or action that are perceived to exclude, marginalize, or insult groups of people who are socially disadvantaged or discriminated against”,

wie man dem Oxford Dictionary of English entnehmen kann.

Sie ist eine Verhaltensweise oder Verhaltensanforderung, die historisch auf Konflikten zwischen sozialen Gruppen, sozialer Mehrheit und sozialen Minderheiten bezogen ist (ungeachtet der Frage, ob diese Konflikte real existier(t)en oder ob sie lediglich behauptet oder übertrieben wurden und werden, um Nutzen aus dieser Konstruktion der Realität zu ziehen).

Ihr Ursprung liegt im Marxismus bzw. der Institution von „Kritik und Selbstkritik“ der Kommunistischen Partei unter Stalin. Autoren wie Althusser haben sie sozusagen in den deutschsprachigen Raum rückimportiert. So sind Althussers Schriften nach 1968 geprägt von Selbstkritik, und sein Bedürfnis nach Selbstreinigung im Sinne des Kommunismus wird u.a. erkennbar in seinem Streben, Philosophie zu einer Theorie des Klassenkampfes zu machen, um auf diese Weise die theoretische Richtigkeit der politischen Praxis legitimieren zu können (vgl. hierzu Kelly 2003 sowie Erren 2008).

europe-according-to-the-future-2022Ehrings Äußerung in „extra 3“ wird man vielleicht am ehesten gerecht, wenn man sie als Folge des Bedürfnisses von Ehring nach Selbstreinigung bzw. öffentlicher Beteuerung „richtiger“ Gesinnung betrachtet, die ihn vermeintlich qualifiziert, andere Menschen zur „richtigen“ Gesinnung zu erziehen (vgl. hierzu Unfried 2006). Insofern „politische Korrektheit“ mit just diesem Anspruch zur Erziehung zur „richtigen“ Gesinnung daherkommt, verbleibt Ehring also vollständig im Rahmen politischer Korrektheit, wenn er Weidel als „Nazi-Schlampe“ beschimpft, obwohl er doch gerade vorgeben möchte, seine Beschimpfung sei eine – in satirischer Absicht erfolgte – Illustration der Aufkündigung „politischer Korrektheit“. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: sie ist eine Folge seines Strebens nach Demonstration seiner eigenen politischen Korrektheit insofern als es anhand der Beleidigung der Person Weidels ausgedrückt wurde. Ehrings Verfehlung ist u.E. deshalb einer schlichten Unfähigkeit zur Bildung eines eigenständigen Urteils – in Sachfragen wie in Fragen der Umgangsformen – geschuldet. Leider kann gegen dieselbe nicht mit juristischen Mitteln vorgegangen werden.

Wir müssen dem Parteisprecher der AfD, Christian Lüth, zustimmen, wenn er sagt: „Die Grenzen von Satire verlaufen dort, wo es sich nur noch um zusammenhanglose, verletzende Beleidigungen handelt“.

Nicht zustimmen können wir allerdings, wenn er meint, der Fall Ehring sei mit dem Fall Böhmermann nicht vergleichbar, weil „… [es] [d]amals […] eine ausländische Macht [ging], die sich in Deutschland einmischt. Jetzt sind es zwei deutsche Staatsbürger, die sich streiten”.

Diese Argumentation ist nicht haltbar, weil sie eine rein inhaltliche ist: Wenn „zusammenhanglose, verletzende Beleidigungen“ kein Mittel der Satire sind (sondern bloß dem Ausdruck der eigenen tumben Konformität dient), dann ist es das eben nicht. Sie sind im Fall Ehring ebensowenig akzeptabel, geschweige denn: unumgänglich, wie im Fall Böhmermann. Wenn man psychologisch oder sprachlich nicht zur Satire fähig ist, ist es eben besser, man versucht sich nicht an ihr; und wenn es einem an schlichtem Anstand mangelt, dann läuft man Gefahr, von Personen, die man ersatzweise beleidigt, verklagt zu werden, auch dann, wenn man sich feige hinter einem Schildchen mit der Aufschrift „Satire“ zu verstecken versucht.

Nur, wenn Satire Spott behinhaltet und Spott mit Gemeinheit und Boshaftigkeit gleichgesetzt wird, ist Raum für Beleidigungen in der Satire. Aber dann gibt es keinen Unterschied zwischen Satire und Beleidigung, und auf beides können wir dann alle sehr gut verzichten. In diesem Fall möchten wir keine Satire mehr sehen, sondern sollten – mit Anstand – zum politischen Kabarett z.B. eines Dieter Hildebrandts zurückkehren.

Literatur:

Erren, Lorenz, 2008: „Selbstkritik“ und Schuldbekenntnis: Kommunikation und Herrschaft unter Stalin (1917-1953). München: Oldenbourg.

Kelly, Michael, 2003: Philosophies of Marxism: Lenin, Lukács, Gramsci, Althusser. In: Kearney, Richard (ed.): Twentieth-Century Continental Philosophy. (Routledge History of Philosophy, Vol. VIII.) London: Routledge, pp. 184-209.

Unfried, Berthold, 2006: „Ich bekenne“ – Katholische Beichte und sowjetische Selbstkritik. Frankfurt/M.: Campus.

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