Es gibt schlechte Lehrer! Und Eltern wollen sie vermeiden

Was in einer Gesellschaft im Argen liegt, das bemerkt man an den Tabus, die die Gesellschaft prägen.

Eines dieser Tabus sind Lehrer, Lehrerinnen im Wesentlichen, denn gut 70% der Lehrer in Deutschland sind weiblich. Lehrer kommen in der Bildungsforschung dann nicht vor, wenn das Thema die Gefahr in sich birgt, negative Ergebnisse zu erbringen.

Schulleistungsstudien: Lehrer bleiben außen vor.

Nachteile von Jungen: Lehrer bleiben außen vor.

Heftige Leistungsunterschiede zwischen Schülern in Bremen und Bayern: Lehrer bleiben außen vor.

Wann immer es unangenehm wird, sind Lehrer sakrosankt.

Neuestes Beispiel ist ein Beitrag, den Marcel Helbig und Rita Nikolai in der Zeitschrift für Bildungsforschung veröffentlicht haben. Der Gegenstand des Beitrags ist schnell erzählt:

In Berlin werden die durchschnittlichen Abiturnoten, die an den jeweiligen Schulen erzielt wurden, veröffentlicht. Konsequenz nach Helbig und Nikolai: Die Zahl der Schüler an Schulen mit einem relativ guten Abiturschnitt steigt überproportional. Die Zahl der Schüler an Schulen mit einem relativ schlechten Abiturschnitt sinkt überproportional. Die Schüler, die es an relativ gute Schulen zieht bzw. deren Eltern sie an relativ gute Schulen bringen wollen, sind keine Schüler aus der Arbeiterschicht, keine Schüler, deren Muttersprache nicht deutsch ist, sondern vornehmlich deutsche Schüler aus Mittelschichtsfamilien. Kurz: Die Veröffentlichung von Abiturnoten auf Ebene der Schulen verstärkt soziale Segregation.

Wohlgemerkt, wir haben es mit Schülern zu tun, die ein Abitur erreichen, d.h. in der Regel mit Gymnasiasten, unter denen die Anzahl von Schülern, die nicht keine deutsche Staatsangehörigkeit haben (oder Deutsch nicht als Muttersprache sprechen) und nicht der Mittelschicht entstammen, sowieso schon unterdurchschnittlich ist.

Nun könnte man aus den Ergebnissen den Schluss ziehen, dass Eltern ihre Kinder nicht nur an guten Schulen platzieren wollen, sondern dass gute Schulen sich auch durch relativ bessere Lehrer auszeichnen, dass relativ bessere Lehrer eine Ursache dafür sind, dass Schüler an manchen Schulen besser abschneiden als an anderen.

Damit sind wir wieder beim Tabu: Lehrer.

Lehrer haben in Deutschland keinerlei Einfluss auf die schulischen Noten von Schülern. Das ist eine Übereinkunft, deren Bruch mit dem Ausschluss aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft geahndet wird. Entsprechend schreiben Helbig und Nikolai, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, sie kämen auch nur entfernt auf die Idee, würden es gar nahelegen, dass bessere Schulen auch deshalb besser sind, weil dort die besseren Lehrer beschäftigt sind:

„Allerdings zeigen unsere Analysen auch, dass Abiturnoten nicht einfach miteinander verglichen werden können, ohne den Kontext zu berücksichtigen, in dem diese erreicht wurden. Denn die durchschnittlichen Abiturnoten lassen sich sehr stark über die soziale und ethnische Zusammensetzung der Schulen aufklären.“

Auslaendische Schueler Berlin.jpgAlso: Die guten Schulen sind gute Schulen, weil es dort relativ wenige Schüler gibt, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen und weil es dort relativ wenige Schüler gibt, die aus der Arbeiterschicht stammen. Das sind nun genau die Schüler, die beim Run auf die guten Schulen zurückbleiben, denn der Run geht von Schülern aus, die Deutsch als Muttersprache haben und der Mittelschicht angehören. Insofern müsste man aus diesen Ergebnissen die Vorhersage ableiten, dass die guten Schulen noch besser, die schlechten Schulen noch schlechter werden, wenn die Schulnoten ausschließlich das Werk der Schüler sind und nicht auch das Werk der Lehrer sind, jeder Statisten, die Wissenschaftler links liegen lassen.

Vielleicht kann man das Tabu ja durch einen Blick hinter die Kulissen von Berlin etwas erschüttern. Viele, die hören, dass Schulen mit einem besseren Abiturschnitt Schulen sind, an denen weniger Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, zu finden sind, denken sofort an Türken und Syrer und Nordafrikaner. Tatsächlich spielen von den genannten Gruppen nur Türken einen nennenswerte Rolle an Gymnasien. Die soziale Auslese entlang des Merkmals „Herkunft“ findet sich in Berlin in folgender Weise. Der Anteil von Schülern mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit, also von Schülern, bei denen man davon ausgehen kann, dass ihre Eltern eine andere als die deutsche Sprache zur Muttersprache haben, beträgt an Grundschulen 14,7% (21.996 von 149.748 Schülern), an integrierten Gesamtschulen 15,2% (11.519 von 75.810 Schülern) und an Gymnasien 9,4% (6.440 von 68.709 Schülern). Unter den 6.440 ausländischen Schülern an Berliner Gymnasien finden sich 1.228 Türken, 405 Vietnamesen (529 sonstige Asiaten), 384 Russen, 332 Polen, 310 Italiener, 290 Franzosen usw. Die ethnischen Gruppen, die in Deutschland regelmäßig für ein schlechtes Bildungsniveau verantwortlich gemacht werden, finden sich also selbst an Berliner Gymnasien nur in geringer Zahl.

Um so erstaunlicher, dass der ethnische Hintergrund sich auf die schulische Leistung auswirken soll. Um so mehr erstaunlich, als die entsprechenden Schüler in der Regel das deutsche Schulsystem mit so großem Erfolg durchlaufen haben, dass sie Zugang zu einem Gymnasium erhalten haben. Wie erklärt man die Relevanz einer Variable, die keinerlei Relevanz mehr haben dürfte?

Nun, die Relevanz muss (wieder) geschaffen werden. Durch Lehrer. Lehrer sind letztlich für die Vergabe von Noten verantwortlich. Der Gedanke, dass bei der Notenvergabe die ethnische Herkunft wie auch immer Berücksichtigung findet, liegt nahe. Lehrer sind verantwortlich für die Vermittlung des Lehrstoffes: Der Gedanke, dass schlechte Lehrer Probleme mit der Vermittlung von Lehrstoff haben, liegt ebenso nahe. Der Gedanke, dass die Leistung von Schülern, die schlechten Lehrern ausgesetzt sind, darunter leidet, liegt fast noch näher. Und dass Lehrer, die überfordert sind und merken, dass sie nicht in der Lage sind, Lehrstoff an Schüler zu vermitteln, einen Sündenbock für ihr Scheitern suchen, ist ebenfalls ein Gedanke, der naheliegt. Wer bietet sich als Sündenbock an? Na diejenigen, denen in der öffentlichen Wahrnehmung sowieso nachgesagt wird, sie würden das schulische Niveau nach unten ziehen: Kinder ausländischer Eltern und Kinder aus der Arbeiterschicht.

Warum bietet sich diese Form der Diskriminierung für Lehrer an, und warum haben die entsprechenden Schüler in der Öffentlichkeit einen entsprechenden Ruf? Aufgrund von Studien, wie der die Helbig und Nikolai gerade veröffentlicht haben.

Dass gute Leistungen von Schülern vermutlich mehr mit den Kompetenzen und der Leistung von Lehrern zu tun haben als mit den Schülern, zeigen die Ergebnisse der Abiturprüfung aus dem Jahr 2015:

“Einige der Berliner Schulen zeigen sich in Hinblick auf ihrer Abiturdurchschnittsnoten deutlich erfolgreicher als andere. So schnitten die Georg-Friedrich-Händel-Oberschule, die Heinrich-Hertz-Oberschule., das Otto-Nagel-Gymnasium und die Nelson-Mandela-Schule mit den Bestwerten von 1,8 ab und acht weitere Berliner Schulen erzielten den Durchschnitt von 1,9.

Aber wie kommt es, dass einige Schulen sehr gute Schnitte verzeichnen und andere keine guten Zahlen vorweisen können? Die Berliner Morgenpost stellt die vier staatlichen Berliner Schulen vor, die mit einem Abiturdurchschnitt von 1,8 am besten abschnitten.

Die Nelson-Mandela-Schule ist eine bilinguale Ganztagsschule in Wilmersdorf. Von der ersten Klasse bis zum Abitur werden die Schüler aus 60 verschiedenen Ländern bilingual in den Sprachen Deutsch und Englisch unterrichtet.” 

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