Belohnung für Erdogan: EU-Mittel für Türkei auf Rekordniveau

Staaten, die als potentielle Mitgliedglieder der EU gelten, erhalten sogenannte Heranführungshilfen, IPA in der internen EU-Terminologie (Instrument for Pre-Accession Assistance). Generell fließen die Heranführungshilfen in mehreren Bereichen, darunter „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, ein Bereich, in dem die Hilfen in der Türkei offensichtlich große Wirkung gezeigt haben, „Wettbewerb und Wachstum“, „Umwelt und Klima“, „Erziehung und Beschäftigung“ usw. Gedacht sind die Mittel dazu, den Übergang in die EU, der offensichtlich als sehr problematisch angesehen wird, was die Frage aufwirft, warum Länder in die EU eintreten wollen, durch EU-Steuerzahler und mit deren Steuergeldern zu subventionieren. Fast, dass man auf die Idee kommen könnte, die EU kauft sich ihre neuen Mitglieder.

Die Türkei, die regelmäßig Gegenstand von Rufen danach ist, die Beitragsverhandlungen abzubrechen und die Tür zur EU ein und für alle Mal für die Türkei zu schließen, ist eines dieser potentiellen Mitglieder. 

Die Türkei bemüht sich übrigens seit 1959 um eine Aufnahme in die EU (damals EC). Seit 1963 besteht ein Assoziationsabkommen mit der Türkei.

Seit 2004 hat die Türkei den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten, was unter anderem bedeutet, dass die Türkei Mittel aus dem, was EU-Steuerzahler gezwungen sind nach Brüssel zu überweisen, erhält.

Im Fall der Türkei beginnt die Geschichte der Heranführungshilfen bereits im Jahr 2002, mit 18 Projekten und 126 Millionen Euro, die von Brüssel nach Ankara überwiesen wurden. Im Jahr 2003 waren es schon 26 Projekte und 145 Millionen Euro. Insgesamt wurden in den Jahren 2002 bis 2006 1,249 Milliarden Euro von Brüssel nach Ankara überwiesen. Das war jedoch erst der Anfang. Im Zeitraum von 2007 bis 2013 hat sich der Geldfluss nach Ankara erheblich gesteigert: 4,837 Milliarden Euro sind in die Türkei geflossen, um dort in Projekten angelegt zu werden.

Im Jahr 2009 hat der Europäische Rechnungshof eine Stichprobe dieser Projekte untersucht und ist zu dem Schluss gekommen, dass die „extremen Verzögerungen“ und „Umsetzungsschwierigkeiten“, mit denen die 164 EU-Projekte, die im Zeitraum 2002 bis 2006 durchgeführt wurden, zu kämpfen gehabt hätten, nach 2006 nicht mehr in dem Ausmaß vorhanden sind wie vor 2006. Gleichwohl kritisiert der Rechnungshof zu unkonkrete Ziele der EU-Projekte, die es nicht ermöglichen „die Projektwirkung“ zu bewerten: „Die Kommission verfügt nicht über die erforderlichen Informationen, um die Wirksamkeit der Heranführungshilfen nachzuweisen“ (Europäischer Rechnungshof 2009: 7). Übersetzt man den Euphemismus in klare Sprache, dann heißt das: Die EU-Kommission hat im Zeitraum 2002 bis 2009, dem Datum des Prüfberichts, mehrere Milliarden Euro in Projekte in der Türkei gesteckt, von denen weder bekannt ist, welche konkreten Ziele damit erreicht werden sollten noch, ob irgendwelche Ziele erreicht wurden. Was der Rechnungshof hier rügt, nennt man im normalen Leben Geldverschwendung.

In Verwaltungen, wie der EU-Kommission, gehen die Uhren bekanntlich, anders und Geldverschwendung wird als Heranführungshilfe bezeichnet. Das klingt viel besser und lässt sich auch viel besser vermarkten.

Und weil Verwaltungen im Voraus planen und Mittel, die ihnen bewilligt werden, auch ausgeben, schon damit niemand auf die Idee kommt, sie würden die Mittel eigentlich gar nicht benötigen, deshalb wird die Türkei, wird Recep Tayyip Erdoğan in den nächsten Jahren mit einem wahren Geldsegen aus Brüssel für seinen autokratischen Herrschaftsstil belohnt werden. 11,69 Milliarden Euro sind bis 2020 im EU-Haushalt als Heranführungshilfen für die Türkei eingeplant. 780,5 Millionen Euro davon sollen in den Bereich „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ fließen. Bereits in der Vergangenheit sind üppige dreistellige Millionenbeträge in diesen Bereich geflossen: Der Erfolg besteht darin, dass die Demokratie in der Türkei weitgehend durch eine Autokratie beseitigt wird.

Ob dies auf die Mittel aus Brüssel zurückzuführen ist, ist eine offene Frage, dass Verwaltungen autokratischer Führung offen, wenn nicht gar sehr offen gegenüberstehen, ist indes eine Feststellung, die bereits Max Weber getroffen hat. Fest steht, dass die Milliarden, die bislang in „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ geflossen sind, wohl „sunk costs“ darstellen, also abgeschrieben werden müssen. So wie ein Ende der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei es unwillkürlich nach sich ziehen würden, dass die 17,8 Milliarden Euro Heranführungshilfen, die bereits geleistet oder bereitgestellt sind, abgeschrieben werden müssten.

Ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen hat erhebliche finanzielle Folgen für beide Parteien, wobei eines feststeht: Welches Ergebnis auch immer am Ende steht, die EU-Steuerzahler sind die Dummen.

Europäischer Rechnungshof (2009). Die Verwaltung der Heranführungshilfe für die Türkei durch die Europäische Kommission. Sonderbericht Nr. 16. Luxembourg: Europäischer Rechnungshof.

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