Hamburger Morgenposse: die journalistische Vielfalt hängt an 11 Hanseln

Stellen Sie sich vor, bei der BASF gibt es 11 betriebsbedingte Kündigungen. Lesen Sie davon in der Rheinpfalz? Stellen sich alle Fraktionen des Mainzer Landtags hinter die Gekündigten und fordern die BASF auf, die betriebsbedingten Kündigungen zurückzunehmen?

Oder stellen Sie sich vor, am Standort der US-Army in Ramstein wird 11 deutschen Bediensteten gekündigt. Rheinpfalz Berichterstattung? Landtags-Solidaritätsaktion?

Noch eine Vorstellung:

RWE macht einen Teil seines Braunkohlebergbaus dicht und entlässt 11 Mitarbeiter, die bislang für den Abbau der klimazerstörenden Kohle verantwortlich waren. Solidarität im Nordrhein-Westfälischen Landtag? CDU, SPD, FDP, Grüne und LINKE stellen sich in trauter Eintracht gegen die Kündigungen? Alle Zeitungen im Revier berichten von den geplanten Entlassungen?

Alles unwahrscheinlich.

Nichts davon wird sich ereignen, würde sich ereignen.
Und doch gibt es derzeit eine Posse in Hamburg, in deren Zentrum 11 Personen stehen, denen gekündigt wurde. Die 11 sind derzeit noch Beschäftigte bei der Hamburger Morgenpost, könnten aber morgen auf der Straße stehen, wenn es nach DuMont, dem Eigentümer der Hamburger Morgenpost geht.

HAMBURG taz | Eine breitere Koalition hat es im Hamburger Rathaus selten gegeben. Gemeinsam verfassten die Fraktionvorsitzenden aller Parteien außer der AfD einen Brandbrief, ausgerechnet um eine Hamburger Institution zu retten, die ihnen selbst oft auf die Füße getreten war: Die Hamburger Morgenpost (Mopo).

Die FraktionschefInnen von SPD, CDU, Grünen, Linken und FDP appellierten an das Kölner Verlagshaus DuMont, die angedrohte Entlassung von elf MitarbeiterInnen zurückzunehmen. Die „angekündigten Kürzungen“ seien nicht nur „ein schwerer Schlag für den Medienstandort Hamburg“, sie gefährdeten auch „die journalistische Vielfalt der Stadt“.

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Der hat ein Problem mit der Morgenpost: Die Abonnentenzahlen und die Leserzahlen gehen zurück. Die Werbeinnahmen folgen. Das derzeitige Unternehmens-Konzept, es droht in den Bereich roter Zahlen abzurutschen. Eine Situation, die in jedem Unternehmen die Alarmglocken klingeln lässt und in jedem Unternehmen dazu führt, dass nach Alternativen gesucht wird, nach Möglichkeiten, Kosten zu sparen und Einnahmen zu erhöhen. In der Regel enden die Überlegungen damit, dass Unternehmenssparten, die mit zu viel Mitarbeitern besetzt sind oder sich nicht mehr rentieren, umgestaltet oder geschlossen werden.

Bei DuMont hat man sich dazu entschlossen, 11 von 65 Mitarbeitern der Hamburger Morgenpost zu entlassen, eine Maßnahme, die in keinem normalen Unternehmen dazu geführt hätte, dass sich die Landesregierung, die Fraktionen des Landtags mit den Gekündigten solidarisch erklären, dass lokale und überregionale Zeitungen darüber berichten.

In Hamburg ist das anders.
In Hamburg hängt der ganze Medienstandort und die journalistische Vielfalt der Stadt an den 11 Personen, die bei DuMont entlassen werden sollen, Mitarbeitern, die im Layout, der Fotoredaktion, beim Sport und in der für Kultur zuständigen Abteilung tätig waren.

Und weil der Medienstandort und die journalistische Vielfalt der Stadt Hamburg von nur 11 Personen bei der Morgenpost abhängig ist, deshalb haben die Fraktionen von SPD, CDU, Grünen, LINKE und FDP an DuMont appelliert die Kündigungen zurückzunehmen.

Ei der Daus.

Man reibt sich verwundert die Augen und fragt sich, was so symbolisch, was so wichtig ist, als dass es diese politische Hysterie rechtfertigen könnte. Was bringt Politiker dazu, ihre Nasen in die inneren Angelegenheiten von Unternehmen zu stecken? Was lässt sie glauben, es ginge sie etwas an, welche betrieblichen Entscheidungen ein Unternehmen fällt?

Die einzige Antwort, die man sich auf diese Fragen geben kann, ist eine Antwort, die die symbolische und die fast schon extraordinäre Wichtigkeit betont, die Politiker Medien, auf die sie Einfluss zu haben glauben, zuschreiben. Die Friedrich-Ebert-Stiftung will demnächst Ergebnisse einer „Studie“ zum Thema „politische Inszenierung“ vorstellen. In der Ankündigung heißt es mit Bezug auf soziale Netzwerke:

„Eine direkte Zielgruppenansprache ist möglich geworden, Themen können unabhängig von journalistischen Filtern gesetzt werden.“

Die „journalistischen Filter“ sind das interessante an der formulierten Passage. Offensichtlich ist es in den Kreisen von Alt-Parteien normal geworden, Journalismus als Informationsfilter zu betrachten, als Filter, der genehme Informationen durchlässt und nicht genehme ausfiltert, kurz: Ein Filter mit dem sich die Konsumenten der entsprechenden Medien nach Lust und Laune manipulieren lassen.

Wenn man diese Manipulation gewohnt ist und feststellen muss, dass nicht nur soziale Medien, sondern auch Verlage, die man bislang dem eigenen Lager zugeordnet hat, die gewohnte Manipulationsmöglichkeit in Frage stellen, dann erklärt das vermutlich viel von der politischen Hysterie, die man derzeit in Hamburg beobachten kann.

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