Öffentlich-rechtliche Panikmacher: Lügen mit der Tagesschau

Was denken Sie, wenn Sie die folgende Sequenz vom Online-Auftritt der Tagesschau sehen:

“Einsatz von Chemikalien:
Teures Gift
Folgen bislang deutlich unterschätzt
[…]
Streitfall Glyphosat
Pflanzenschutzmittel können die Intelligenz beeinträchtigen
Die in der Landwirtschaft eingesetzten Pestizide können den Wissenschaftlern zufolge ebenfalls unerwünschte Nebenwirkungen bei Menschen haben – in Form von kognitiven Defiziten. Bei heranwachsenden Kindern können die aufgenommenen Pflanzenschutzmittel zu Beeinträchtigungen bei der Hirnentwicklung führen, damit zu einem geringeren Intelligenzquotienten und zu niedrigeren Einkommen. Der Studie zufolge entsprechen diese Schäden allein in der Europäischen Union einem Wert von etwa 150 Milliarden Euro.“

Man könnte den Einbau von Glyphosat im hervorgehobenen Kasten auf der Seite der Tagesschau als Manipulation abtun. Im Kontext „der Studie“, von deren Ergebnissen Christian Baar, NDR, berichtet, muss man diesen Kasten jedoch als Lüge und bewusste Fehlinformation bezeichnen.

Fangen wir vorne an.
Christian Baar, NDR, berichtet von einer Studie, die ganz wichtige Ergebnisse erbracht hat. 10% des Bruttosozialproduktes weltweit, 6500 Milliarden Euro, so schreibt er, könnten die Höhe der (Gesundheits-)Kosten sein, die durch „Schwermetalle, Pestizide, Plastikweichmacher und weitere Chemikalien“ entstehen.

Ein Gesundheits-Armageddon.

Die Studie, der Baar, diese Erkenntnisse entnommen hat, hat einen Hauptautor, „Philippe Grandjean“, einen anderen Autor, „Martine Bellanger“ und einen Erscheinungsort, nämlich die Zeitschrift „Environmental Health“, deren Herausgeber Grandjean zufällig ist. Die Studie hat aber offensichtlich keinen Titel. Jedenfalls gibt Baar keinen Titel an. Er spricht durchweg von der Studie.

Die Entwarnung gleich vorweg: Es gibt die Studie. Sie wird tatsächlich demnächst in der Zeitschrift „Environmental Health“ veröffentlicht, und sie trägt den Titel: „Calculation of the disease burden associated with environmental chemical exposure: application of toxicological information in health economic estimation“. Wie der Titel andeutet, geht es in dem Beitrag darum, einen neue Methode zu finden, um die Gesundheitskosten, die durch den (dauerhaften) Einsatz bestimmter Chemikalien entstehen, zu schätzen. Die „Studie“, deren Namen Baar verschweigt, ist keine Bestandsaufnahme des IST-Zustandes, sondern ein Vorschlag für eine neue Form der Schätzung und Berechnung von Gesundheitskosten, die durch die Umweltgifte entstehen, die Grandjean und Bellanger in ihrer Studie berücksichtigt haben.

Grandjean und Bellanger wollen also vorhandenen Methoden zur Bestimmung der Gesundheitskosten eine neue zur Seite stellen. Sie soll auch die Risiken umfassen, die derzeit, weil „uncertain“, also unsicher, nicht berücksichtigt werden. Zudem wollen sie auch „subclinical conditions“ einbeziehen, was für die beiden Autoren im Wesentlichen kognitive Einschränkungen sind (also z.B. Debilität als Folge von erhöhter Bleikonzentration bei Säuglingen).

Die Panikzahl, die Baar seinem Artikel, eben zum Zwecke der Verbreitung von Hysterie voranstellt, ist somit das Ergebnis eines Versuchs, Kosten zu schätzen, die bislang nicht geschätzt werden, weil die Datenlage nicht sicher genug ist. Grandjean und Bellanger wollen einen Anfang mit dieser Schätzung machen und rechnen in ihrer Untersuchung vor allem die schon genannten kognitiven Kosten, also Beeinträchtigungen des IQ, die von Blei (Batterien, Farben…), (Methyl-)Quecksilber (in Fisch), Organophosphat (Pestizide) und polybromierte diphenyl Ester (Brandschutzanwendungen) ausgehen können, ein. Die entsprechenden Folgen werden mittlerweile in einer Reihe von Studien, an denen die beiden Autoren zumeist beteiligt sind, berichtet. Inwieweit die entsprechenden Ergebnisse als gesichert angesehen werden können, ist eine andere Frage.

In jedem Fall rechnen Grandjean und Bellanger die kognitiven Schädigungen, die von den vier Risikofaktoren verursacht werden können, aus und beziffern sie in Milliarden Euro. Ergebnis: Den weltweiten Kosten von 4050 Milliarden Euro, die die WHO als Konsequenzen von Erkrankungen, die auf Umweltgifte zurückgeführt werden, ermittelt hat, fügen Grandjean und Bellanger ein paar weitere Zahlen jenseits der Vorstellungsgrenze hinzu.

Ob sich die Kosten dann auf die 6500 Milliarden Euro summieren, die Baar angibt, die sich aber nirgends im Text von Grandjean und Bellanger finden, ist eine ebenso irrelevante Frage, wie die Frage, woher die 10% des weltweiten Bruttosozialprodukts als Kostenschätzung kommen, die Grandjean und Bellanger im Abstrakt zu ihrem Text und dann nie wieder nennen. Es ist letztlich irrelevant, weil der Unterschied zwischen den Schätzungen die Vorstellungskraft ebenso übersteigt, wie ihre Höhe, eine Höhe, die unter vielen Annahmen zu Stande gekommen ist und die bei Grandjean und Bellanger generell unter der unsinnigen Annahme steht, dass die von ihnen zusätzlich ermittelten Kosten nicht, auch nicht teilweise, bereits in den Kosten der WHO enthalten sind. Man müsste somit ausschließen, dass jemand, dessen IQ nur 79 erreicht hat, obwohl er nach Berechnungen von Grandjean und Bellanger ohne Exposition mit Blei die Chance auf 81 gehabt hätte, an Krebs erkrankt und stirbt. Eine irrsinnige Annahme, die den Text von Grandjean und Bellanger zu einem macht, den man mit Vorsicht genießen muss, einen Text, der als Denkanstoß für die Wissenschaftliche Gemeinschaft gedacht ist, nicht als Mittel für öffentlich-rechtliche Panikattacken.

Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Organophospate, die als Insektizide, Herbizide und Nervengase Verwendung finden. Organophospate finden sich unter Handelsnamen wie Diazinon, Fenitrothion, Dichlorvos, Ethion, Profenofos, Malathion and Azinphos Methyl. Sie gelten als Pestizide, sind aber ausschließlich Insektizide oder Herbizide.

Das ist für Baar alles eines.

  • Er hat in seinem Text einen Verweis auf Glyphosat.
  • Dann spricht er von Pflanzenschutzmitteln in der Zwischenüberschrift.
  • Dann ist von „in der Landwirtschaft eingesetzten Pestiziden“ die Rede.
  • Dann wieder von Pflanzenschutzmitteln, die die Gehirnentwicklung von Kindern beeinträchtigen können.

Hand aufs Herz: Welcher unserer Leser denkt, dass die Konsequenzen, die Baar in seinem Text für heranwachsende Kinder und deren Gehirnentwicklung anspricht, auch von Glyphosat verursacht werden können und dass dies in der Studie, auf die sich Baar beruft, also der von Grandjean und Bellanger, untersucht wurden?

Wer das denkt, ist Baar und seinem Versucht, Stimmung zu machen und zu manipulieren, auf den Leim gegangen, einer suggestiven Lüge aufgesessen.

Grandjean und Bellanger berücksichtigen in ihrer Studie ausschließlich Organophosphate. Sonst nichts. Glyphosat kommt nicht vor. Akarizide kommen nicht vor. Pflanzenwachstumsregulatoren und Repellentien (Abwehr- oder Vergrämungsmittel) kommen nicht vor. Und doch sind all das Pestizide, die in die Klasse der Pflanzenschutzmittel fallen. Und das Beste zum Schluss. Die gesundheitsschädlichen Herbizide, die Organophosphate enthalten, kann man einfach ersetzen: Mit Glyphosat!

Baar verschweigt das.

  • Statt dessen vermittelt er den Eindruck, Glyphosat sei eines der schädlichen Pflanzenschutzmittel, die die Gehirnentwicklung von Kindern beeinträchtigen KÖNNEN.
  • Jetzt wird auch klar, warum Baar den Titel der Studie verschweigt. Offensichtlich will er verhindern, dass Leser sich ein eigenes Bild machen und ihm auf die Schliche kommen. Feststellen, dass Glyphosate in seinem Artikel nun überhaupt nichts verloren haben, dass die Studie sie nicht einmal am Rande behandelt, sondern gar nicht.

Wen die Studie interessiert, wir haben sie hier verlinkt.

Wenn man von den fancy numbers, die die Autoren als Kosten berechnet haben, einmal absieht und sich auf die Relation dessen, was sie berechnet haben, bezieht (weil es das einzige Gesicherte an der Studie zu sein scheint), dann scheint die Studie zu zeigen, dass von Blei, Organophosphaten (Insektizide, Herbizide) und Polybrom-diphenyl Estern (Brandschutz) die größte Gefahr für die Gesundheit ausgeht, was insofern misslich ist, als Polybrom-diphenyl-Ester so ziemlich in allem enthalten sind, was nicht brennen soll, vom Kamm, über Jeans bis zum Monitor auf den sie gerade starren.

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