Juristen: Student schreibt drei Seiten zu viel und fällt deswegen durch

Wir beobachten schon seit längerem eine interessante Korrelation. Je weniger Inhalte in einem universitären Fach vermittelt werden, je weniger Theorie, Methode und sonstige Kenntnisse dort vorhanden sind, desto mehr Wert wird auf Formalia gelegt. Der Seitenrand MUSS 5 Zentimeter betragen. Die Vornamen der Autoren DÜRFEN NICHT ausgeschrieben werden. Es muss in Times New Roman formatiert werden, wer in Arial formatiert, wird schlechter bewertet. Zitiert wird in Fußnoten. Wer es wagt, die lesbarere Variante wissenschaftlicher Zitation zu benutzen und amerikanisch zu zitieren, dem werden Punkte abgezogen usw.

Quelle

Es ist zuweilen höchst belustigend, wie versucht wird, durch penibles Pochen auf das, was das wissenschaftliche Handwerkszeug ist, über die inhaltliche Leere in manchen Fächern hinweg zu täuschen. Um uns nicht falsch zu verstehen: Ein Student muss das wissenschaftliche Handwerkszeug beherrschen. Er muss zitieren können und den Unterschied zwischen einem direkten und einem indirekten Zitat kennen. Aber, ob eine Arbeit in Times New Roman abgefasst ist, ob die Arbeit 20.000 und kein Wort mehr umfasst, ob das Literaturverzeichnis mit oder ohne ausgeschriebenen Vornamen erstellt wurde, hat mit wissenschaftlichem Arbeiten nichts zu tun. Wie viele derjenigen, die an Universitäten versuchen, Studenten die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens zu vermitteln, nicht müde werden zu betonen: Wie man zitiert ist wurscht, Hauptsache, die Zitierweise ist konstant durchgehalten und die zitierten Quellen sind alle auffindbar.

Dass der Schriftgrad und die Wortzahl nichts über die Qualität einer Arbeit, der darin enthaltenen Gedanken aussagt, das ist eigentlich ein solcher Allgemeinplatz, dass man sich fragt, warum man das hier schreibt. Und dann kommt die Erinnerung zurück: Es gibt Juristen.

Jura ist in weiten Teilen kein wissenschaftliches Fach, sondern eine Art Kreuzworträtsel. Einer, der sich Professor nennt, erstellt ein Kreuzworträtsel, das gewöhnlich als „Fall“ bezeichnet wird und seine Studenten müssen akkurat genau die Lösung finden, die derjenige, der sich Professor nennt, im Sinne hatte. Es ist also Lösen von Kreuzworträtseln gepaart mit Hellseherei. Weite Teile von Jura bestehen daraus, Fälle und deren Lösung auswendig zu lernen und unter Einsatz von so wenig wie nur möglich eigenen Gedanken das zu schreiben, was derjenige, der sich Professor nennt, hören will. Das ist mit ein Grund dafür, warum Jura derzeit von weiblichen Studenten überlaufen wird.

Weil die meisten Juristen inhaltlich wenig zu sagen haben und es vornehmlich darauf ankommt, das richtige Wort in das vorgesehene Feld einzufüllen (im übertragenen Sinne), deshalb kleben Juristen an Formalia. Wehe man zitiert in einer nachvollziehbaren Weise und im Text. Das Beben, das die altehrwürdigen Zeitschriften, deren Autoren immer noch nicht zitieren können, erschüttert, es ist auf der nach oben geschlossenen Richterskala bei 12 angesiedelt (von 12).

Wehe man präsentiert für einen Musterfall eine nicht-Musterlösung, sondern eine mit eigenen Gedanken unterfütterte Lösung. Die Richterskala fällt aus allen Angeln.

Wehe man schreibt drei Seiten mehr als vorgegeben. Durchgefallen.

Letzteres ist einem Studenten aus dem Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgericht Ansbach passiert. Er hat drei Seiten über die Vorgabe geschrieben. Der Korrektor hat ihm pro halbe Seite eine Note abgezogen. Ergibt ungenügend. In den Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Ansbach fällt u.a. die Universität Nürnberg-Erlangen …

Der Student, angehender Jurist, hat gegen seine Bewertung geklagt, vor dem Verwaltungsgericht Ansbach, und dort ist er abermals durchgefallen. Dieses Mal mit seiner Klage. Wenn die Formalia vorsehen, eine bestimmte Seitenzahl nicht zu überschreiten, dann hat ein Student diese Seitenzahl auch nicht zu überschreiten. Basta. Regeln sind halt Regeln.

Bleibt nachzutragen, dass die Verwaltungsrichter nicht geprüft haben, ob die Gedanken des Studenten so neuartig waren, dass sie eine Überschreitung der Seitenvorgabe rechtfertigen. Wo kämen wir auch hin, wenn jeder in Jura seine Gedanken schreiben und begründen könnte, wenn diejenigen, die sich für Professoren z.B. des Bürgerlichen Rechts halten, andere als Musterlösungen lesen und überlegen müssten, ob die anderen Lösungen vielleicht besser sind als die Musterlösungen. Für die Juristen wäre dies Anarchie, für uns wäre es Wissenschaft.

Mehr dazu gibt es beim Justillion.

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