(Soziale) Gleichheit als Mittel von Unterdrückung und Unfreiheit

Wenn es in den Gesellschaften, die sich für demokratisch halten, einen Fetisch gibt, an dem niemand zu rühren wagt, dann ist es die Gleichheit. Gleichheit bleibt nicht Gleichheit vor dem Gesetz oder Gleichheit der Stimmen, zwei mehr oder weniger sinnvolle Formen von Gleichheit. Nein, Gleichheit bzw. deren Herstellung wird zum gesellschaftlichen Auftrag: Angleichung der Lebensverhältnisse, Gleichheit der sozialen Struktur, soziale Gleichheit in ihrem Antonym der sozialen Ungleichheit. Gleichheit geht manchen nicht weit genug. Um quasi die Gleichheit noch weiter zu nivellieren, wird sie zur Gleichwertigkeit weiterentwickelt und zu einer Leugnung aller Unterschiede zwischen Menschen, zu einer Form „mystischem Urkommunismus im Hier und Jetzt“ gemacht.

Angesichts dieses Gleichheitswahns ist es an der Zeit, darauf hinzuweisen, dass Gleichheit und Freiheit in einem gewissen Spannungsverhältnis, wenn nicht Gegensatz zueinander stehen. Ralf Dahrendorf hat dieses Spannungsverhältnis im letzten Kapitel seines Büchleins „Gesellschaft und Freiheit“ dargestellt und kommt dabei u.a. zu dem Schluss, dass „jede Gleichheit, die auf die Nivellierung oder Uniformierung der Weisen menschlicher Existenz abzielt, mit der Chance der Freiheit nicht vereinbar sein kann“ (412). Ein anderer Denker, der sich mit der Beziehung von Gleichheit und Freiheit beschäftigt hat, Alexis de Tocqueville, ist zu einem noch vernichtenderen Ergebnis gelangt:

„Ich sehe nur zwei Möglichkeiten, wie man die Gleichheit in der Politik zur Herrschaft bringen kann: man muss entweder jedem Bürger Rechte geben oder aber keinem. Für die Völker mit demokratischer Gesellschaftsordnung ist es daher sehr schwer, zwischen der Souveränität aller und der absoluten Gewalt eines einzigen einen Mittelweg zu finden. Wir dürfen nicht übersehen, dass die von mir beschriebene Gesellschaftsordnung einen für beide Extreme gleich günstigen Boden bereitet.

Es gibt in der Tat eine männliche und berechtigte Leidenschaft für die Gleichheit; alle wollen gleich stark und geachtet sein. Diese Leidenschaft erhebt wohl die Niedrigen zum Range der Höheren; aber wir finden im menschlichen Herzen auch einen verdeblichen Gleichheitstrieb, der bewirkt, dass die Schwachen die Starken zu sich herunterziehen wollen und dass die Menschen die Gleichheit in der Knechtschaft der Ungleichheit der Freiheit vorziehen. Es ist nicht etwa so, dass die Völker mit demokratischer Gesellschaftsordnung die Freiheit von Natur aus geringschätzten; sie haben im Gegenteil einen angeborenen Sinn für Freiheit. Aber sie ist nicht das Hauptziel ihrer Wünsche; wirklich und für alle Zeiten lieben sie allein die Gleichheit; sie haschen nach der Freiheit, kurz entschlossen und unter plötzlichen Anstrengungen, und – finden sich leicht damit ab, wenn sie das Ziel nicht erreichen; aber ohne die Gleichheit könnte nichts sie zufriedenstellen und sie sind entschlossen, lieber unterzugehen, als sie zu verlieren.

Wenn aber alle Bürger etwa gleich sind, wird es ihnen andererseits schwerfallen, ihre Unabhängigkeit gegen den Zugriff der Macht zu verteidigen. Da keiner stark genug ist, um allein mit Erfolg zu kämpfen, so könnte nur die Vereinigung der Kräfte aller die Freiheit sichern. Aber eine solche Vereinigung kommt nicht immer zustande. Die Völker können also aus ein und derselben Gesellschaftsordnung zwei große politische Folgen ziehen: die Folgen sind sehr verschieden, entspringen aber dem gleichen Sachverhalt“.

Das Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit ergibt sich u.a. daraus, dass sich Freiheit auf Individuen beziehen muss, während Gleichheit ein Aggregat von Individuen, eine Gruppe zum Gegenstand hat. Allgemeine Gleichheit, die soziale Unterschiede in einer menschlichen Gruppe nivelliert, ist Unfreiheit, denn sie beraubt den einzelnen der Möglichkeit, sein Potential umzusetzen und sich von anderen zu differenzieren, von diesen unterscheidbar, eben ungleich zu werden.

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