Terroranschläge in Deutschland seit 1970: Sie werden wieder häufiger

Gestern wurde der Gerüchte-Kampf vor allem darum geführt, welche Nationalität bzw. welchen Glauben der Amokfahrer von Münster hat. Heute ist der Designer Jens R., dessen Identität auch posthum verschwiegen und den selbst die internationale Presse nur als Jens R. kennt, als geistesverwirrter Täter von der Polizei präsentiert worden, der seinen psychischen Schaden auf 18 Textseiten dokumentiert zu haben und zum Anlass genommen zu haben scheint, zwei Menschen zu ermorden und rund 20 zu verletzen.

Der Terroranschlag aus Münster ist somit zur Amokfahrt eines Irren herabgestuft worden.

Wir haben die Amokfahrt, die von manchen der Opfer sicher als Terror empfunden wurde, zum Anlass genommen, um uns mit der Frage zu beschäftigen, wie viele Terroranschläge es in Deutschland tatsächlich gegeben hat. Ein ambitioniertes Unterfangen, das wir auf den Zeitraum 1970 bis 2016 eingeengt haben, immerhin betreiben wir dieses Blog ja nebenbei.

Ohne die Global Terrorism Database wäre unsere Analyse nicht möglich gewesen. Auf ihrer Grundlage haben wir die letzten beiden Tage unsere Computer und Excel zu Höchstleistungen getrieben, denn die Database hat den Umfang von rund 80 Megabyte. Eigentlich ist der Datensatz nicht handhabbar. Eigentlich.

Wie immer, fängt das Datensammeln mit der Definition dessen, was gesammelt werden soll, an. Ein terroristischer Akt oder Anschlag liegt vor, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

wenn eine Tat absichtlich erfolgt;
wenn die Tat unter Einsatz von Gewalt oder Drohung von Gewalt erfolgt;
wenn der Täter nicht erkennbar im Auftrag eines Staates handelt (Staatsterrorismus ist in unseren Analysen nicht enthalten);

Neben diesen Voraussetzungen müssen noch zwei der folgenden drei Kriterien erfüllt sein:

Mit der Tat muss ein politisches, religiöses oder ein soziales Ziel verfolgt werden oder es muss beabsichtigt sein, das ökonomische System zu beseitigen;
Es müssen Indizien dafür vorliegen, dass mit der Tat das Ziel verbunden ist, die Allgemeinheit oder einen größeren Teil der Bevölkerung einzuschüchtern oder eine politische Nachricht an die Bevölkerung auszusenden;
Die Handlung muss außerhalb kriegerischer Auseinandersetzungen stattfinden.

Auf Grundlage dieser Definition und unter Verwendung der Global Terrorism Database haben wir für den Zeitraum von 1970 bis 1990 insgesamt 535 terroristische Anschläge identifiziert, die in der BRD durchgeführt wurden, sowie 38 terroristische Anschläge, die in der DDR erfolgt sind. Für den Zeitraum von 1990 bis 2016 sind 703 terroristische Anschläge auf Grundlage der oben genannten Kriterien nachweisbar.

Die Abbildung zeigt die Verteilung der Anschläge seit 1970 für jedes Jahr. Lediglich für das Jahr 1993 liegen uns keine Daten vor (bislang). Wie man sieht, gibt es nach der Vereinigung einen sprunghaften Anstieg an terroristischen Aktivitäten was vor allem auf kurdische Separatisten und Neo-Nazis zurückzuführen ist. Erstere haben sich türkische Einrichtungen zum Ziel genommen, letztere Asylbewerberunterkünfte. Die Jahre von 2000 bis 2014 stellen die ruhigste Phase in der Geschichte Deutschlands dar. Egal, was der Hype um Rechtsextremisten, der zu Millionenbeträgen in den Taschen derer, die gegen Rechtsextremismus kämpfen wollen (den es nach unseren Daten seit 2000 mit einer Ausnahme, zu der wir gleich kommen, aber nicht mehr gibt), geführt hat.

Ein etwas anderes Bild ergibt sich, wenn man die terroristischen Straftaten von der Seite der Mordopfer betrachtet. Wir haben dies in der folgenden Abbildung sehr ausführlich getan.

Auch wenn man die Anzahl der Mordopfer berücksichtigt, sind die Jahre von 2000 bis 2014 die Phase der deutschen Geschichte, die man mit Blick auf terroristische Anschläge als die bislang ruhigste bezeichnen muss. Lediglich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), auf den in der Zeit von 2000 bis 2007 9 Morde zurückgehen, ist für diese Zeit hervorzuheben und hervorgehoben wird er ja auch. Wenn man die 9 Morde des NSU gegen die 33 Morde der RAF-Generationen 1 bis 3 stellt und weiterhin betrachtet, welche finanziellen Mittel aufgewendet werden, um die RAF bzw. die NSU aufzuarbeiten, dann muss man neidlos feststellen, dass diejenigen, die rechtsextremistischen Terror ausschlachten, viel versierter sind als diejenigen, die linksextremistischen Terror ausschlachten, wenn es darum geht, an Steuergelder heranzukommen. Gleichzeitig muss man den entsprechenden anti-rechten Aktivisten zugestehen, dass sie aus relativ wenig, sehr viel Nutzen gezogen haben, während aus viel RAF-Terror so gut wie keine Forschungsförderung, geschweige denn Bundesprogramme zur Bekämpfung linksextremistischer Bestrebungen resultiert sind.

Neben den beiden terroristischen Netzwerken, von denen es in Deutschland zu berichten gibt, fallen fünf Gipfel auf, die den Zeitraum von 1970 bis 2016 prägen. Der erste Gipfel ist im Wesentlichen dem Anschlag der Gruppe „Schwarzer September“ auf die Israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972 in München geschuldet, der zweite repräsentiert im Wesentlichen das Bombenattentat während des Oktoberfests 1980 in München. Der dritte Gipfel ist u.a. den Anschlägen von Mölln und Lampertheim (1992) geschuldet, und der kleinere vierte Gipfel geht unter anderem auf den Anschlag auf einen Reisebus in Köln im Jahre 1995 zurück. Die meisten Terroropfer sind 2016 zu verzeichnen. Ursache sind die Anschläge von München (Olympiazentrum) und Berlin (Weihnachtsmarkt). Damit hat, wie die Abbildung zeigt, die lange Phase der Ruhe, die seit 2000 in Deutschland, was Terrorismus angeht, geherrscht hat (trotz NSU und im Vergleich zu den Jahren vor 2000), ein abruptes Ende gefunden. Dass der rasante Anstieg in der Zahl der Mordopfer mit einem rasanten Anstieg der Zuwanderung nach Deutschland einhergeht, ist eine Korrelation, deren Erklärung bislang noch gesucht wird.


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