10% weniger Straftaten im Jahr 2017? Was sagt die Polizeiliche Kriminalstatistik, was nicht?
Die WELT meldet auf Grundlage der Polizeilichen Kriminalstatistik des BKA, die noch nicht veröffentlicht, aber der WELT dennoch bereits in Auszügen bekannt sein soll, dass die „Kriminalität in Deutschland“ zurückgegangen ist. Die Tagesschau meldet „deutlich weniger Straftaten“ und die Hobby-Journalisten bei BENTO schreiben:
“2017 gab es zehn Prozent weniger Verbrechen in Deutschland
Was ist passiert?
Die Zahl der registrierten Straftaten sank auf5,76 Millionen, insgesamt gab es knapp 611 000 weniger Verbrechen. Das berichtet die “Welt am Sonntag” vorab aus der Polizeilichen Kriminalstatistik, die Innenminister Horst Seehofer am 8. Mai vorstellt. Einen so hohen Rückgang gab es seit 25 Jahren nicht.”
Wenn man die Frage beantworten soll, warum Journalismus in Deutschland in weiten Teilen ein so unterirdisches Niveau erreicht hat, dann kann man dies am Beispiel der Meldungen zur „Kriminalität in Deutschland“ den „Straftaten“ oder „den Verbrechen“, die alle drei weniger geworden sind, tun.
Fangen wir mit den Daten an.
Die Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts stellt die Straftaten zusammen, die der Polizei deutschlandweit in einem Jahr bekannt geworden sind und im Jahr 2017 erfasst wurden. Die Begehung muss dabei nicht unbedingt im Jahr 2017 erfolgt sein. Wirtschaftsstraftaten liegen häufig weit zurück, drei, vier, zehn Jahre sind keine Seltenheit. Gleichzeitig sind in der Polizeilichen Kriminalstatistik das Jahres 2017 nicht alle Straftaten erfasst, die 2017 bekannt geworden sind. Zuweilen gibt es einen Erfassungsstau, der ins nächste Jahr übertragen wird oder über mehrere Jahre gestreckt wird. Die Methoden, Straftaten zu verteilen, sind unterschiedlich und vielfältig und immer politisch nutzbar, schließlich unterstehen die Polizeibehörden den Innenministerien der Länder und dem des Bundes.
In Polizeilichen Kriminalstatistiken sind somit nicht die Straftaten erfasst, die in einem Jahr begangen wurden, sondern nur die, die der Polizei bekannt wurden und die im Jahr 2017 erfasst wurden. Einerseits können Straftaten 2017 erfasst worden sein, die z.B. 2015 begangen wurden, andererseits 2017 Straftaten begangen, aber nicht erfasst worden sein.
Zudem gibt es das, was die Kriminologen ein Dunkelfeld nennen: Straftaten, die der Polizei gar nicht bekannt werden und daher nicht erfasst werden können. Dunkelziffern werden als zum Teil erheblich angesehen, vor allem bei Delikten innerhalb von Familien oder im Freundeskreis wird häufig von einer Anzeige abgesehen. Wer sich für das geschätzte Ausmaß des Dunkelfelds interessiert, der findet entsprechende Informationen im Beitrag von Klaus Sessar „Kriminalitätsentwicklung im Licht des Dunkelfelds“, den Sessar zur Festschrift für Wolfgang Heinz (erschienen bei Nomos) beigetragen hat.
Die Polizeiliche Kriminalstatistik gibt somit keinen Aufschluss über „die Kriminalität in Deutschland“, wie die WELT behauptet. Sie gibt Aufschluss über eine Teilmenge der Kriminalität in Deutschland, die Teilmenge, die die Polizei kennt. Die Polizeiliche Kriminalstatistik gibt damit auch keinen Aufschluss über die Summe der Straftaten, wie die Tagesschau in ihrem Beitrag nahelegt, denn die Summe der Straftaten, die in einem Jahr in Deutschland begangen werden, ist unbekannt. Und damit sind wir bei dem angekommen, was die BENTOs, die Lehrlinge, aus denen nie Journalisten werden, aus der Meldung der WELT gemacht haben:
„In Deutschland sind im vergangenen Jahr zehn Prozent weniger Verbrechen verübt worden. Das berichtet die “Welt am Sonntag” vorab aus der Polizeilichen Kriminalstatistik.“
Zwei Sätze, drei Fehler.
1) Die Gesamtzahl der Verbrechen für Deutschland ist nicht bekannt, entsprechend kann man keine Aussage darüber machen, wie sich die in Deutschland begangenen Verbrechen entwickelt haben.
2) Die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst Verbrechen wie Mord und Totschlag und Vergehen wie Diebstahl, Leistungserschleichung oder Sachbeschädigung. Die erfassten Vergehen sind deutlich häufiger als die erfassten Verbrechen.
3) Die Aussagen in der Welt beziehen sich auf das Gesamt aller erfassten Straftaten, also auf Vergehen und Verbrechen.
Von einem Journalisten sollte man erwarten, dass ihm entsprechende Zusammenhänge bekannt sind. Von einem Journalisten …
Dass der Rückgang bei der Zahl der erfassten Straftaten, wie ihn die Welt für die Polizeiliche Kriminalstatistik des BKA meldet, die am 8. Mai vorgestellt wird, wohl korrekt ist, kann man daraus ableiten, dass die Polizeilichen Kriminalstatistiken der Länder Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen einen entsprechenden Rückgang verzeichnen. Auf dieser Grundlage kann man feststellen, dass im Jahr 2017 durch die Polizei weniger Straftaten erfasst wurden als im Jahr oder den Jahren zuvor. Ob dieser Rückgang auch einem Rückgang der Straftaten oder der Kriminalität entspricht, das kann man auf Grundlage der Polizeilichen Kriminalstatistik gerade nicht feststellen, und da die Polizeibehörden – wie gesagt – der Weisung durch Ministerien unterstehen, spricht mehr dafür, dass erfasste Straftaten in Polizeilichen Kriminalstatistiken politische Aussagen sind, die den tatsächlichen Zustand nur selten akkurat wiedergeben.
Wir haben im Folgenden ein paar Ergebnisse aus der Polizeilichen Kriminalstatistik des Landes NRW zusammengestellt, die zeigen, in welchen Bereichen sich welche Veränderungen mit Blick auf erfasste Straftaten und Tatverdächtige ergeben haben. Die Polizeiliche Kriminalstatistik, die am 8. Mai vorgestellt wird, wird keine anderen Ergebnisse ausweisen.
Noch einmal in Kurz:
- Polizeiliche Kriminalstatistik = In einem Jahr erfasste und registrierte Straftaten.
- In einem Jahr erfasste Straftaten = Teilmenge der in diesem Jahr begangenen Straftaten.
- In einem Jahr registrierte Straftaten = Teilmenge der in diesem Jahr erfassten Straftaten.
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Vor allen Dinge gilt die Regel, desto zahlenmäig geringer und schlechter ausgerüstet die Polizei, desto stärker sinken die erkannten Straftaten. Es ist ein klassischer Agit Pop, der als Zersetzung die Kritik an der Innen- und Asylpolitik vor der Bayernwahl entkräften soll. Soweit, so erwartbar…
Ob Straftaten in der Statistik aufgenommen werden hängt davon ab 1) ob überhaupt versucht wird Anzeige zu erstatten, 2) ob die Anzeige auch aufgenommen wird 3) ob die Staatsanwalt diese auch bearbeitet.
Zu 1) wenn das Opfer einer Straftat den Eindruck hat, dass dieses nichts bringt, wird es auch keine Anzeige machen. 2) Wer mal bei der Polizei war, um die Anzeige zu machen, und dort stundenlang warten muss, wird geg.falls darauf verzichten. musste schonmal 2 Stunden warten wegen eines Autoschadens mit Unfallflucht. Wenn ich es nicht für die Versicherung gebraucht hätte, wäre ich wieder abgedampft. 3) damit die Straftat in der Statistik landet muss sie zunächst von der Staatsanwaltschaft bearbeitet werden. Ohne Bearbeitung wird sie nicht mit aufgenommen. Der Rückstau ist hierbei aber gigantisch.
Zusätzlich weiß jeder der sich mit der Materie beschäftigt, dass Straftaten bei polizeilichen Kontrollen erst festgestellt werden. Je mehr Polizei bzw. Kontrollen desto mehr Straftaten gibt es auch zunächst einmal.
Wenn in der Presse ein Schreiben durchgestochen wird, nachdem Diebstähle in SH nicht mehr erfasst werden, so ist es kein Wunder wenn die Statistik entsprechend niedrig ausfällt.
Bis auf 3 ist alles richtig. Die Frage, ob eine Straftat in der PKS auftaucht, hat aber nichts damit zu tun, ob ein Staatsanwalt Anklage erhebt oder das Verfahren einstellt. Die Staatsanwälte haben ihre eigene Statistik, die Strafverfolgungsstatistik.
Zu 3 haben sie recht. Sie muss aber durch Polizei endermittelt sein (Ausgangsstatistik), von dort gelangt sie zur Staatsanwaltschaft oder direkt zum Gericht.
Ich würde sagen eine Konsolidierung auf hohem Niveau !
Detaillierte Abschätzungen der Anzeigequoten für verschiedene Deliktarten finden sich z.B: im Bericht zur Dunkelfeldstudie 2017 des LKA Niedersachsen auf den Seiten 52 ff.
Der Bericht kann hier abgerufen werden
https://www.lka.polizei-nds.de/forschung/dunkelfeldstudie/dunkelfeldstudie—befragung-zu-sicherheit-und-kriminalitaet-in-niedersachsen-109236.html
ca. 20 Artikel zu Statistikverfälschungen findet ihr in dieser Liste: https://luegenpresse2.wordpress.com/2016/10/16/statistiken-die-politiker-und-presse-immer-wieder-leugnen/
Vorab: ich habe Polizisten erlebt, die mich zum Ablichten für die Antifanten festgehalten haben und solche, denen ich profunden Respekt angesichts ihres Verhaltens zolle.
Das vorausgeschickt: wer wissen will wie sich die Führung des BKA verhält kann das hier nachlesen:
http://rechtsbruch.info/pass/pass.html –> Waffenrecht –> Akte BKA -> S.33 (kein Direktaufruf möglich, Sessioncookie).
Soviel zu der Solidität von “Informationen” aus diesem Hause.
Ich persönlich glaube diese Meldung ja erst, wenn ich die PKS 2017 (Bund) selber sehen und mit der von 2016 vergleichen kann.
Pressemeldungen á la “laut einer unveröffentlichte Studie” haben ja nun leider viel zu oft nicht den Inhalt der dann irgendwann doch irgendwann irgendwie auffindbaren Studie…
Sorry, Mainstream-Presse, aber wer einmal lügt…
Die Veröffentlichung dieser absichtlich nicht korekten Statistik um die Bevölkerung zu beruhigen ist selbst eine Strafttat, welche sicherlich in der Statistik 2018 nicht enthalten ist, weil, diese nicht verfolgt wurde, so wie die anderen 20 – 25 % der nicht verfolgten Straftaten.
Ähm …
https://www.tagesspiegel.de/berlin/kriminalitaet-diebstahl-wird-in-berlin-kaum-noch-verfolgt/20679408.html
Ist es eigentlich eine Straftat, wenn Strafverfolgungsbehörden keine Straftaten mehr verfolgen ?