Parteivize der SPD: Nationaler-Sozialdemokrat, Patriot, Nationalist, Freund des „dreimal herrlichen Deutschland“

Das Schicksal mancher Kulturgüter ist, wie schon Theodor W. Adorno angemerkt hat, dann besiegelt, wenn sie zum Massengut werden. Dann sinkt das Kulturgut, bei Adorno z.B. die klassische Musik, es wird zur Massenware, zum Gegenstand von Massenkonsum, wird, um einen Ausdruck von Ralf Stegner zu benutzen, zu dem wir gleich kommen, befleckt. Denn die Massen haben nicht das Verständnis, das notwendig ist, um z.B. klassische Musik als das Kulturgut zu würdigen, das sie für Adorno und andere darstellt – so die Idee.

Was für klassische Musik gilt, kann auf die unterschiedlichsten kulturellen Güter ausgeweitet werden, mit denen der Versuch einhergeht, sich von anderen zu unterscheiden. Kleckse von Miro an der Wand, Devotionalien aus ägyptischen Gräbern, Vasen aus chinesischen Dynastien, Tennis auf dem eigenen Platz, Golf mit Seinesgleichen, einst waren es Zeichen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse, heute hat jeder, der sich für Mittelschicht hält, einen Klecks von Mirokoschka oder anderen an der Wand, spielt Tennis mit Rückhand, Golf mit Handycap und sammelt chinesische Replika-Vasen. Kulturgüter fallen und wenn sie fallen, verlieren sie ihren Wert als Mittel der Distinktion.

Was Adorno letztlich an der Kulturvermassung gestört hat, war, dass damit der Gehalt, der Sinn, die Bedeutung von Kulturgütern verloren geht. Sie werden von der sinnlichen Erfahrung zum Titel, der einen Sendeplatz im Radio einnimmt. Sie werden zur Hülse, steril und leer.

Das gleiche Schicksal ereilt zuweilen das Kulturgut des Wissens. Liegen Ereignisse weit genug zurück, dann werden sie zur Hülse, die unter einem bestimmten Begriff abgelegt wurde und mit einer bestimmten affektiven Konnotation versehen in den Mythenbestand einer Gesellschaft eingebaut wird. Als solcher Teil eines Mythos steht der Begriff dann zum Missbrauch durch politische Aktivisten bereit, die den Mund in einem Ausmaß voll nehmen, das im umgekehrten Verhältnis zu ihrem Wissen steht.

Ein solcher Mythos umrankt das Fest auf dem Hambacher Schloss, zu dem 1832 der Verleger Philipp Jakob Siebenpfeiffer aufgerufen hat (ohne das seine Autoren dagegen protestiert haben, übrigens) und auf dem er gemeinsam mit Johann Georg August Wirth und Friedrich Schüler Hauptredner war. Das Fest wird in der Zwischenzeit zu einem Meilenstein der Demokratie und Freiheit verklärt und von all denen reklamiert, die sich für Demokraten halten, z.B. von Ralf Stegner:

Mit zunehmender Dauer, die wir ScienceFiles betreiben, verschwindet die Bereitschaft, Wortmeldungen von politische Aktivisten in der Öffentlichkeit zu akzeptieren oder gar zu tolerieren, die an Unkenntnis und Ahnungslosigkeit kaum zu überbieten sind. Denn obwohl das Hambacher Fest ein Fest war, das sich gegen die Kleinfürsterei nach dem Wiener Kongress gerichtet hat, war es mitnichten ein Freiheitsfest in dem Sinne, wie Ralf Stegner mit seinem Tweet nahelegen will.

Jedenfalls dann nicht, wenn der Vizevorsitzende der SPD nicht über Nacht zu einem Patrioten, Nationalisten, Anbeter des „dreimal herrlichen Deutschlands“, zu einem nationalen Sozialdemokraten geworden ist. Aber wer weiß, vielleicht ist er das ja?

Um einen Eindruck davon zu geben, in welchem Klima das Hambacher Fest stattgefunden hat und worüber dort gesprochen wurde, haben wir ein paar Fundstücke zusammengestellt, die der Monographie von Johann Georg August Wirth „Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach“ aus dem Jahre 1832 entnommen sind. Bereits der Titel „Nationalfest der Deutschen“ sollte denen, die das Hambacher Fest für ihre politischen Zwecke missbrauchen wollen, dann Einhalt gebieten, wenn sie zur politischen Linke gehören…

„Mit stürmischem Enthusiasmus“, so schreibt Wirth, hätten die auf dem Hambacher Schloss Versammelten ein Lied gesungen, das Siebenpfeiffer für 300 Handwerksburschen gedichtet habe.

Hier ein Auszug aus dem Lied:


Hinauf Patrioten! Zum Schloss!

Hoch flattern die deutschen Farben.
Es keimet die Saat und die Hoffnung ist groß,
Schon binden im Geiste wir Garben
Es reifet die Ähre mit goldenem Rand
Und die goldene Erndt‘ ist das – Vaterland.

[…]

Wenn einer im Kampfe für alle steht,
Und alle für einen, dann blühet
Des Volkes Kraft und Majestät,
Und jeglich’ Herz erglühet,
Für ein einiges Ziel, für ein einziges Gut,
Es brennet der Freiheit, des Vaterlands Glut.

Drum auf, Patrioten! Der Welt sei kund,
dass eng, wie wir stehen gegliedert,
und dauernd wie Fels der ewige Bund,
wozu wir uns heute verbrüdert.
Frisch auf, Patrioten den Berg hinauf!
Wir pflanzen der Freiheit das Vaterland auf.

Die Freiheit, die auf dem Hambacher Fest beschworen wurde, war die Freiheit im Vaterland, im einigen Deutschland, die Freiheit, die es nach Ansicht der Redner nur im geeinten Vaterland der Deutschen (Germanen) geben konnte.

Philipp Jakob Siebenpfeiffer hat dies in seiner Rede unter anderem in die folgenden Sätze gepackt:

„Ja, er wird kommen der Tag, wo ein gemeinsames deutsches Vaterland sich erhebt, das alle Söhne als Bürger begrüßt, und alle Bürger mit gleicher Liebe, mit gleichem Schutz umfasst, wo die erhabene Germania dasteht, auf dem erzenen Piedestal der Freiheit und des Rechts, in der einen Hand die Fackel der Aufklärung, welche zivilisierend hinaus leuchtet in die fernsten Winkel der Erde, in der anderen die Waage des Schiedsrichteramtes, streitenden Völkern das selbsterbetene Gesetz des Friedens spendend …“

Wer hätte gedacht, dass Ralf Stegner ein solcher Patriot und Nationalist ist, der den Rest der Welt mit dem erfreuen will, was man kurze Zeit später das deutsche Wesen genannt hat. 

Johann Georg August Wirth hat auf dem Hambacher Fest, dessen Andenken Stegner nicht besudelt haben will, so etwas wie die Grundsatzrede gehalten. Wir zitieren aus der programmatischen Rede, die Stegner rein erhalten will und der er sich entsprechend vollumfänglich anschließen muss:

„Wenn dagegen die reinsten, fähigsten und mutigsten Patrioten über die zweckmäßigste Reform unseres Landes sich verständiget und zugleich sich verbunden haben, um durch eigene Journale die öffentliche Meinung des Gesamtvolkes für diese Reform zu gewinnen, wenn auch nur 20 an Geist, Feuereifer und Charakter ausgezeichnete Männer einen solchen Bund geschlossen und nun dem guten Volke die unabweisliche Notwendigkeit seiner politischen Veredelung sowie das dringende Bedürfnis der durchgreifenden Reform des Vaterlandes täglich mit Flammenzungen in das Herz schrieben, wenn solche Männer den Nationalstolz, das Gefühl der Bürgerwürde und die Flamme der Freiheitsliebe durch die Glut begeisternder Rede in allen deutschen Gauen erwecken, wenn nur 20 solcher Männer zu einem geregelten Zusammenwirken verbunden und von einem Manne ihres Vertrauens geleitet, der Nation das schöne Schauspiel eines göttlich begeisternden Kampfes für das Vaterland, für unser angebetetes, dreimal herrliches Deutschland täglich vor Augen stellen, nie erzittern, nie erbleichen, wenn sie alle Verfolgung von Seiten der Vaterlandsverräter mit Freudigkeit ertragen, wenn sie der Gewalt kein haarbreit weichen und lieber 1000mal sich zermalmen lassen, als von ihrem heiligen Kampfe abzustehen, wenn endlich die guten Bürger in den lichteren Gegenden unseres Landes das Wirken solcher Männer durch das Verbreiten deren Schriften öffentlich oder im Stillen unterstützen, ja fürwahr, dann wird, dann muss das große Werk gelingen, die verräterische Gewalt wird von der Weihe der Vaterlandsliebe und vor der Allmacht der öffentlichen Meinung in den Staub sinken, Deutschland wird die Freiheit und den Frieden sehen, es wird zur herrlichen Macht und Größe emporblühen. Niemand kann hieran zweifeln“.

Wir hätten wirklich nicht gedacht, dass Ralf Stegner sich solchen Reden verbunden sieht, dass in ihm ein nationaler Patriot schlummert, der das Andenken an das Fest rein erhalten will, das dem dreimal herrlichen Deutschland gewidmet war und zum Ziel hatte, ein einig Vaterland zu schaffen, das zu Macht und Größe emporblühen und zur Richtschnur der Welt werden kann.

Ralf Stegner ein patriotischer, ein nationaler Sozialdemokrat, wenn nicht Sozialist!?

Wer hätte das gedacht.

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