Europaparlament: Wo Champagner fließt und politische Korruption blüht

Eine Krähe hackt einer anderen Krähe kein Auge aus, so heißt es. Aber der Spruch gilt nicht für Politiker. Das politische Geschäft lebt gerade davon, dass man seinen Gegnern ins Gesicht lacht, während man ihnen in den Rücken sticht. Die politische Arena kommt dem Naturzustand, wie ihn Thomas Hobbes beschrieben hat, vermutlich sehr nahe: Wechselnde Allianzen, wechselnde Vorteilsnahme, Zusammenraufen, um gemeinsam Ressourcen abzuschöpfen, anschließend Streit um die Ressourcen bis aufs Messer, Denunziation, Anschwärzen, Gegner kalt stellen, jede Gelegenheit nutzen, um sich einen Vorteil zu verschaffen …

The Snout in the Trough

Politiker wissen, um den täglichen Überlebenskampf und die schmutzigen Mittel, die dazu eingesetzt werden. Wer das nicht glaubt, der werde Mitglied in einem beliebigen Ortsverein einer Partei und versuche, sich auf eine Liste wählen zu lassen.

Weil Politiker eine Ansammlung von Personen sind, die – wie es schon Robert Michels zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieben hat – dazu neigen, sich auf Kosten ihrer Klientel zu bereichern und den eigenen Vorteil zu suchen, wo auch immer sie glauben, ihn finden zu können, deshalb ist es notwendig, Politiker in Strukturen zu packen, die ihnen die Korruption, die Selbstbereicherung und die politischen Geschenke an die eigene Klientel erschweren.

Das war die ursprüngliche Idee der Kontrolle im deutschen demokratischen System, von dem Naive gedacht haben, die Parlamente würden sie ausüben, ganz Naive haben gedacht, die Presse würde sie ausüben. Sie alle haben nicht mit der opportunistischen Veranlagung derer gerechnet, für die entsprechende Positionen attraktiv sind. Sie haben die Rechnung ohne Korruption gemacht, die, wie die Kriminalität, bei Vorhandensein einer bestimmten Mentalität, immer da blüht, wo sie ermöglicht wird. 

Die EU ist eine einzige Struktur zur Ermöglichung von Korruption.

Deshalb verwundert es nicht, dass alle Gazetten davon berichten, dass die ENF-Fraktion (Rechtspopulisten in der Diktion der ARD) 544.400 Euro an das Europäische Parlament zurückzahlen muss. Die Mitglieder der Fraktion waren etwas zu freigebig in ihrem Konsum von Champagner und ihrem Besuch teurer Restaurants und der damit verbundenen Bewirtung von Gästen. Menüs zum Preis von 400 Euro pro Person werden von den Mitgliedern des Haushaltskontrollausschusses des Europäischen Parlaments u.a. beanstandet. Ergebnis: Die ENF-Fraktion soll 544.400 Euro zurückzahlen.

Die medienwirksame Inszenierung, die just in dem Moment die Öffentlichkeit trifft, in dem die Italiener mit der Lage Nord eine Partei ins Amt gewählt haben, die viele in Brüssel nicht mögen, und deren Europaabgeordnete Mitglieder in der ENF-Fraktion sind, muss nicht überraschen. Sofern man die Frage gehabt hat, warum die ENF-Fraktion herausgegriffen wird, so ist diese Frage mit dem Verweis auf politischen Opportunismus beantwortet.

Wie so oft, wenn öffentliche oder Mainstream-Medien berichten, berichten sie mit der Intention zu emotionalisieren, nicht zu informieren. Deshalb haben wir uns die Zeit genommen, um die fehlenden Informationen, die man kennen muss, um zu wissen, dass politische Korruption kein Problem ist, das nur die ENF-Fraktion betrifft, sondern eines, das alle Fraktionen im Europäischen Parlament haben, zusammenzutragen.

Zunächst: Die 544.400 Euro, die zurückgezahlt werden sollen, stellen nur einen Teil des Geldes dar, das der ENF-Fraktion jährlich vom Europäischen Parlament überwiesen wird. 2015 waren es 1.586.919,50 Euro, die an die Fraktion gingen, 2016 war es etwas mehr. Die 544.000 Euro beziehen sich auf das “Chapter 7” der jährlichen Finanzberichte der Fraktionen im Europäischen Parlament. “Chapter 7” fasst kursorisch die Kosten zusammen, die für „decentralised political and information activities“ der einzelnen Mitglieder der Fraktion anfallen. Ein Essen von drei Abgeordneten der VERTS mit Lobbyisten von Greenpeace wird unter dieser Rubrik abgerechnet, ein Champagnerempfang für die Presse, der dazu dient, einen neuen Gesetzentwurf von ALDE, der Allianz der Liberalen und Demokraten in Europa vorzustellen, wird auch hier abgerechnet. Ebenso wie die kleinen Geschenke, die die Gunst von Mitarbeitern und Lobbyisten erhalten zu Weihnachten.

Alle Fraktionen nutzen diese Möglichkeit, um das Geld, das sie vom Europäischen Parlament erhalten, entsprechend zu verteilen. Wir stellen hier die Ausgaben der einzelnen Fraktionen, die unter “Chapter 7” abgerechnet werden, zusammen und ergänzen für jede Fraktion die Summe der Zuwendungen, die sie für ein Jahr aus dem Etat des Europäischen Parlaments erhält:

  • S&D (Sozialisten und Demokraten)
    Chapter 7: 7.183.524,00 Euro
    Gesamtzuwendungen: 15.327.658,75 Euro
  • EPP (Europäische Volksparteien)
    Chapter 7: 8.194.689,86 Euro
    Gesamtzuwendungen: 17.400.048 Euro
  • ALDE (Allianz der Liberalen und Demokraten)
    Chapter 7: 3.171.147,87 Euro
    Gesamtzuwendungen: 5.758.860,24
  • VERTS (Grüne)
    Chapter 7: 3.921.469,52 Euro
    Gesamtzuwendungen: 5.736.717,74
  • GUE (Vereinigte Linke)
    Chapter 7: 2.745.530,88 Euro
    Gesamtzuwendungen: 4.339.560,31
  • ECR (Konservative und Reformisten)
    Chapter 7: 2.632.747,41 Euro
    Gesamtzuwendungen: 6.125.338,48 Euro
  • EFDD (Europäer für Freiheit und direkte Demokratie)
    Chapter 7: 2.445.471,03 Euro
    Gesamtzuwendungen: 5.485.643,10 Euro
  • ENF (Europa der Nationen und der Freiheit)
    Chapter 7: 548.542,53
    Gesamtzuwendungen: 1.586.919,50

Alle Daten sind für das Jahr 2016 mit Ausnahme der Daten für ENF, die aus dem Jahr 2015 stammen. Der Jahresabschluss 2016 ist derzeit unter Verschluss.

Wie man sieht, nutzen alle Fraktionen ausgiebig die Möglichkeiten, die ihnen dezentrale politische und Informations-Aktivitäten bieten. Unter dieser Rubrik lässt sich so richtig alles abrechnen und die Wette, dass sich noch das ein oder andere Dutzend, wenn nicht das ein oder andere Hundert von Champagnerflaschen hier finden lässt, ebenso wie die Wette, dass die Informationsessen in teuren Restaurants auch bei anderen Fraktionen ein verbreiteter Sport unter den Abgeordneten sind, stehen.

Den Hinweis, dass es zu einem professionellen Journalismus gehört, diese Informationen zu recherchieren und nicht einfach die Pressemeldung aus dem Europäischen Parlament durchzureichen, können wir uns auch nicht ersparen, wir – die Blogger, die nicht in angeblichen Qualitätsmedien arbeiten.
Natürlich sind die Möglichkeiten der politischen Korruption, die sich unter “Chapter 7” bieten, nicht die einzigen. “Chapter 5” sieht ausdrücklich vor, Kosten für Treffen und „Unterhaltung“ (entertainment) und “Gäste” abzurechnen. Und das tun die Fraktionen dann auch. Hier die Zusammenstellung für 2016:

  • S&D: 1.793.563,19 Euro
  • EPP: 1.997.320,00 Euro
  • ALDE: 648.897,34 Euro
  • VERTS: 351.443,23 Euro
  • GUE: 789.033,64 Euro
  • ECR: 825.301,06 Euro
  • EFDD: 26.649,69 Euro
  • ENF: 37.449,45 Euro (Daten für 2015)

Welchen Standard der “Unterhaltung” am kalten Buffet die Abgeordneten im Europaparlament gewohnt sind, das kann man dem lesenswerten Buch „The Great European Rip-Off“ von David Craig und Matthew Elliott entnehmen:

Champagner, Kaviar und Räucherlachs sind das, was man als EU-Parlamentarier gewohnt ist. Ob die Abgeordneten der ENF einen wirklich überdurchschnittlichen Verbrauch entwickelt haben oder aus anderen Gründen, Gegenstand der genaueren Kontrolle geworden sind, das sind ebenso offene Fragen, wie die Frage, wo die Mitglieder des Haushaltskontrollausschusses die Grenze zur Verschwendung ziehen. Sind Essen für 200 Euro noch normal, werden 300 Euro noch geduldet, bei 400 Euro eine Grenze gezogen? Was ist die tolerierte Anzahl von Champagnerflaschen pro Fraktion und Jahr 230? 149? 18?

Journalisten, die ihr Geld wert sind, stellen sich solche Fragen nicht nur, sie drängen auch auf Antworten.

Leider sucht man heute derartige kritische Journalisten vergeblich. Den meisten muss man als Chef einer Pressestelle nur einen Köder hinhalten, der ihrer politischen Gesinnung entspricht, und schon hat man den Druck sicher und kann sich vor allem sicher sein, dass keine unangenehmen Nachfragen gestellt werden.

Das erinnert an den einstigen Glauben an die Presse als vierte Kontrollinstanz in demokratischen Systemen.
Selten so gelacht…

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