Vietnam-Import: Pflegekräfte aus Asien sollen deutschen Pflegenotstand beseitigen

Wir schreiben das Jahr 2018. Die ganze deutsche Akademia ist vom Quallensyndrom befallen. Die ganze? Nein. In Jena, an der Ernst-Abbe-Hochschule regt sich Rückgrat…

„Die aktuellen Zahlen lassen keine Fragen mehr offen! So sieht es aus, wenn politisches Wunschdenken (oder ‚kalkulierter Aktionismus‘ für das Wahlvolk?) auf die ungeschminkte Realität trifft.“

Wir haben unseren Augen nicht getraut, als wir diesen Satz in einem wissenschaftlichen Paper (Graue Literatur) eines deutschen Wissenschaftlers, der an einer deutschen Hochschule beschäftigt ist und in deutscher Sprache schreibt, so dass die Gefahr besteht, dass es die deutschen Politdarsteller und ihr brown-nosing Anhang verstehen, gelesen haben.

Weil es so schön ist, hier ist er noch einmal:

„Die aktuellen Zahlen lassen keine Fragen mehr offen! So sieht es aus, wenn politisches Wunschdenken (oder ‚kalkulierter Aktionismus‘ für das Wahlvolk?) auf die ungeschminkte Realität trifft.“

Der Satz stammt von Klaus Watzka. Klaus Watzka ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre insbesondere Personalwirtschaft an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena.

Es wird immer irrer, ein deutscher Betriebswirtschaftler, der Sätze mit Inhalt schreiben kann, die sich auf Konkretes in der Realität beziehen. Wo kommt er nur her?

„Kalkulierter Aktionismus“ sei es, so legt Watzka nahe, wenn die Laienspielschar, die sich Regierung nennt, den Entwurf eines Pflegepersonal-Stärkungsgesetz verabschiedet, dessen Ziel darin besteht, jährlich rund 13.000 Pfleger für u.a. die Altenpflege zu gewinnen, denn: immer mehr Alten, die pflegebedürftig sind, stehen immer weniger Junge, die pflegebereit sind, gegenüber. Rund 10,5 Milliarden Euro, deren Finanzierung noch nicht gesichert ist, will das Bundes-Laienkabinett in die neuen Pfleger investieren. Wo die Pfleger herkommen sollen, das steht nicht im Gesetz.

Der „kalkulierte Aktionismus“ oder der komplette Realitätsverlust der Mitglieder der Laien-Regierung wird schnell deutlich, wenn die Realität in ihren Grundzügen beschrieben wird.

Das tut Watzka.

In allen Bundesländern herrscht ein erheblicher Fachkräftemangel in der Altenpflege, so zitiert er den neuesten Bericht der Arbeitsagentur zum Fachkräftemangel in Deutschland.

Im Schnitt dauere 175 Tage bis eine offene Stelle in der Altenpflege besetzt werden könne, 110 Tage länger als im Durchschnitt. Auf 100 gemeldete Stellen kommen rund 27 Arbeitslose, die die Voraussetzungen erfüllen, um eine der offenen Stellen in der Altenpflege anzutreten. 11.300 offenen Stellen stünden rund 3.000 potentielle Bewerber gegenüber.

An dieser Realität kann man durch das Verabschieden von Gesetzen nichts ändern. Es ist, also wollte die Bundesregierung in Deutschland Schilder am Straßenrand aufstellen, auf denen steht: Dürre verboten. Sonnen haften für ihre Strahlen.

Watzka fragt: Wo sollen die 13.000 neuen Pfleger, die die Bundesregierung pro Jahr ausbilden will, denn herkommen?

Seine Analyse gerät zu einer Aufstellung der Gruppen, aus denen sie nicht kommen werden:

  • Personen ohne Schulabschluss,
  • Langzeitarbeitlose,
  • Die Stille Reserve des Arbeitsmarktes,
  • Frauen,

Sie kommen alle nicht in Frage, denn sie alle sind schon heute nicht bereit und trotz des akuten Mangels an Altenpflegern nicht bereit, die Lücke zu schließen. Warum sollten sie es plötzlich, nachdem die Bundesregierungs-Darsteller einen Gesetzentwurf verabschiedet haben, sein?

Ihnen fällt kein Grund ein? Uns auch nicht, und Watzka hat auch keinen gefunden.

Das ist misslich, denn bis 2030 (also bis in 11 Jahren) fehlen in Deutschland je nach Schätzung zwischen 213.000 und 479.000 Vollzeitpfleger im Pflegebereich.

Selbst wenn es den Darstellern im Bundeskabinett gelingen sollte, 13.000 Pflegekräfte pro Jahr aus dem Hut zu zaubern, würden diese 13.000 Pflegekräfte nicht ausreichen, um die Lücke zu schließen, die nicht zuletzt dadurch entsteht, dass die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Beruf ausscheiden, auch aus der Pflege, und eine entsprechende Lücke hinterlassen bevor sie dann in einem, zwei Jahrzehnten in Legionsstärke in Pflegeheime einrücken, als zu Pflegende, nicht als Pfleger: Rund 4.1 Millionen zu Pflegende sollen es bereits 2030 sein.

Wo also sollen die Pfleger herkommen, die die Pflegebedürftigen in den Heimen versorgen?

Man kann der Ansicht sein, wenn die Bundesregierungs-Darsteller 13.000 Pfleger pro Jahr verordnen, dann wird es Pfleger regnen.

Man kann auch einen realistischen Ansatz vertreten und sich eine Lösung für ein Problem überlegen, dessen kognitive Wahrnehmung die Kapazität der Polit-Darsteller zu übersteigen scheint.

Klaus Watzka hat das getan und hat einen sehr ungewöhnlichen Vorschlag gemacht, dessen Ziel darin besteht, die Pflegelücke so schnell wie möglich zu schließen, nicht darin, ideologisches Wohlgefühl zu verbreiten.

Sein Vorschlag in Stichpunkten:

  • Eröffnung einer Pflegefachschule in einem Partnerland;

Kapazität der Fachschule: 10000 Schüler;

  • Anwerben der Pflegeschüler aus der autochthonen Bevölkerung;
  • Ausbildung und Prüfung nach deutschen Standards;
  • Intensiver Deutschkurs als Bestandteil der Ausbildung;
  • Vertragliche Verpflichtung der Absolventen, mindestens 5 Jahre in der Pflege in Deutschland tätig zu sein;
  • Flankierende Maßnahmen, um den Verbleib der Pflegekräfte auch nach 5 Jahren zu sichern;

Stellt sich noch die Frage, wo die Schule errichtet werden soll. Watzkas Antwort: In Vietnam, denn

  • in Vietnam arbeiten viele Menschen in der Landwirtschaft: 40.9% der Erwerbsbevölkerung erwirtschaften dort 15,3% des Bruttosozialprodukts, woraus Watzka schließt, dass die prekären Beschäftigungsverhältnisse häufig sein müssen, nicht, dass in der Landwirtschaft in Vietnam vornehmlich Familienunternehmen zu finden sind;
  • Die Bevölkerung Vietnams sei jung, das Bildungsniveau hoch, „Vietnamesen gelten als disziplinierte Lerner und Bildung gilt traditionell als hohes Gut“, woraus Watzka schließt, dass die Vietnamesen sich die geforderten Fähigkeiten in der zu errichtenden deutschen Pflegeschule schnell aneignen können, nicht, dass ihm Hinblick auf die Wertschätzung von Bildung und Disziplin in Deutschland ein erheblicher Schock auf sie wartet;
  • Vietnamesen sei Deutschland nicht fremd, rund 100.000 Vietnamesen hätten in der DDR studiert und gearbeitet. Wie er auf die Idee kommt, dies würde dafür sprechen, dass Vietnamesen motiviert sind, eine Ausbildung mit dem Ziel, in Deutschland einen Pflegeberuf auszuüben, aufnehmen, schreibt er leider nicht. Wir würden eher annehmen, dass die DDR-Erfahrung viele Vietnamesen das Grauen vor Deutschland gelehrt hat – schon weil sie schnelle Lerner sind.

Schließlich ist eine hohe Wertschätzung des Alters Bestandteil der Kultur Vietnams, was die Vietnamesen zu einem Volk der Altenpfleger macht, einem fast unerschöpflichen Reservoir aus dem Deutschland, in dem es mit der Wertschätzung des Alters nicht so weit her ist, schöpfen kann.

Man kann nun zu diesem Vorschlag stehen wie man will, aber man wird anerkennen müssen, dass sich Watzka um eine Lösung für ein akutes Problem bemüht, das Polit-Darsteller mit Absichtsbekundungen und salbungsvollen Worten wegreden wollen.

Wer Watzka kritisieren will, muss entsprechend mit einer Alternative aufwarten. 

Watzka, Klaus (2018). Fachkräftemangel in der Pflege. Kritische Situationsbewertung und Skizzierung einer Handlungsalternative. Jena: Ernst-Abbe-Hochschule. Jenaer Beiträge zur Wirtschaftsforschung, Heft 2.

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