Chemnitz-Haftbefehl veröffentlicht: Die Geheimniskrämer kochen

Der Haftbefehl u.a. gegen Yousif Ibrahim A., wie es in Deutschland korrekt abgekürzt heißen muss, wurde im Internet veröffentlicht. Und dieselben Leute, die ansonsten dem Whistle-Blowing so viel abgewinnen können, sie schäumen nun. Die selben Medien, die kein Problem damit haben, ihre Gepflogenheit, selbst Mörder nur verpixelt im Internet darzustellen, für einen Mitarbeiter des LKA in Sachsen, der ihren Ärger erregt hat, aufgegeben haben, um den Mitarbeiter über ihre Seiten zu plakatieren, sind plötzlich zu den Behütern der persönlichen Daten zweier Mordverdächtiger geworden.

Innenminister Seehofer, der Mann, der zunehmend keine politische Heimat mehr zu haben scheint, sagt:

“Da müssen die Justizbehörden darauf reagieren” … Da muss man alle Möglichkeiten prüfen, die dem Rechtsstaat zur Verfügung stehen.” Es könne nicht sein, das[s] hoch persönliche Dinge und interne Abläufe der Justiz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden. 

Der MDR verweist unter Bezug auf Sachsens Ministerpräsident darauf, dass „die Veröffentlichung“ „eine Straftat“ [sei].

Ist sie das wirklich?

Regelmäßig urteilen BGH und selbst das politisch verzerrte Bundesverfassungsgericht, dass bei der Frage der Zulässigkeit der Veröffentlichung persönlicher Daten, zwischen dem Rechtsgut des „öffentlichen Interesses“ und dem des Schutzes persönlicher Daten abgewogen werden müsse. (Ein Beispiel findet sich hier: VI ZR 386/13)

Es dürfte keine wirkliche Frage dahingehend geben, dass die Veröffentlichung des Haftbefehls ein Gegenstand des öffentlichen Interesses ist, das belegt schon die hohe Zahl und die Geschwindigkeit der Verbreitung des Haftbefehls.

Aber halt, hier geht es um Zivilrecht. Im Strafrecht gehen die Uhren anders. Hier gibt es den Paragraphen 353d: „Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen“:

Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

  1. entgegen einem gesetzlichen Verbot über eine Gerichtsverhandlung, bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder über den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Dokuments öffentlich eine Mitteilung macht,
  2. entgegen einer vom Gericht auf Grund eines Gesetzes auferlegten Schweigepflicht Tatsachen unbefugt offenbart, die durch eine nichtöffentliche Gerichtsverhandlung oder durch ein die Sache betreffendes amtliches Dokument zu seiner Kenntnis gelangt sind, oder
  3. die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.

Die Veröffentlichung eines Haftbefehls ist demnach ein Verstoß gegen §353d des Strafgesetzbuches, der für sich schon ein Streitobjekt ist, denn er stellt eine erhebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit dar. Allerdings besteht das Verbot der Öffentlichmachung von z.B. einem Haftbefehl, nur für eine Wiedergabe im Wortlaut. Würde man demnach den Haftbefehl, der im Internet in einer Kopie unterwegs ist, so wiedergeben, dass nicht der Eindruck entsteht, es handle sich dabei um ein vorab veröffentlichtes amtliches Dokument, von dem potentiell die Gefahr ausgeht, dass Prozessbeteiligte, Zeugen, Schöffen beeinflusst werden können, dann steht einer Veröffentlichung nichts im Wege.

Deshalb können wir an dieser Stelle mitteilen, dass im Haftbefehl gegen den Iraker Yousif Ibrahim A. zum einen die Tat als gemeinschaftlicher Totschlag angeklagt ist, weil sowohl Yousif Ibrahim A als auch der Syrer Alaa S. jeweils mit einem Messer bewaffnet auf das Opfer Daniel H. eingestochen haben, bei dem es sich wohl um den im Internet als Daniel Hillig Identifizierten handelt. Es wurde nicht 25 Mal auf Daniel Hillig eingestochen, wie im Internet an unterschiedlichen Stellen behauptet wird, sondern 5 Mal, und zwar in Herz und Lunge. Daran ist Hillig verstorben. Yousif Ibrahim A. ist 23 Jahre alt, ohne Beruf, und war zuletzt in Annaberg-Buchholz wohnhaft.

Deutschland steht mit seinem seltsamen Schutz von Tätern übrigens ziemlich alleine da. Auch die Geheimhaltung von Gerichtsakten, die ja letztlich öffentliche Dokumente darstellen, weil Richter im Namen des Volkes und nicht im Namen einer Geheimgesellschaft urteilen, ist ein typisch deutsches Phänomen, das der deutschen Angewohnheit geschuldet ist, die Transparenz der Institutionen, die Serviceleistungen für Steuerzahler erbringen, so gering wie möglich zu halten.

Die Frage, ob Persönlichkeitsrechte eines Angeklagten und wirre Erwägungen über die Beeinflussung von Prozessbeteiligten, wie sie das Bundesverfassungsgericht anstellt, das Informationsrecht der Allgemeinheit und der damit verbundenen Möglichkeit, sich ein unabhängiges Urteil zu bilden und mit geeigneten Maßnahmen auf die vom Angeklagten ausgehende Gefahr zu reagieren, überwiegt, wird in anderen Ländern ganz anders beantwortet. Dort weiß man noch, dass das Rechtssystem letztlich für die Bevölkerung und nicht für sich selbst betrieben wird. Wir haben hier einmal Wales Online verlinkt, ein Online-Magazin, das über laufende Verfahren und Anklagen vor dem Court in Swansea berichtet.

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