„Probleme mit Flüchtlingen“ wegmessen: Manipulation bei Meinungsumfragen
Kurt Holm, der Altmeister der empirischen Sozialforschung, hat im Jahre 1975 das 5. Kapitel seiner Diskussion der Art und Weise, wie man in der Meinungsforschung fragt, mit den folgenden Worten:
„Meinungsforschungsergebnisse werden nicht selten politisch verwendet. Hier ist die Gefahr, dass durch ausgeklügelte Formulierungen Ergebnisse ‚erzeugt‘ werden, nicht gering.“
Das war 1975. Heute müsste man formulieren, dass Meinungsforschungsergebnisse in der Mehrzahl der Fälle gezielt erzeugt werden, um sie politisch verwenden zu können.
Das neueste Beispiel stammt (leider) von der Forschungsgruppe Wahlen, die in bestimmten Fragen eben auch mehr dem Auftraggeber als der „Meinungsforschung“ verpflichtet ist. Im Rahmen des neuen ZDF Politbarometer findet sich folgende Frage nebst dem zugehörigen Ergebnis:
Besagter Kurt Holm schreibt im weiteren Verlauf seiner Erörterung:
„Eine Frage darf nicht zu allgemein formuliert sein (schon gar nicht im Stile eines Allgemeinplatzes). Sie muss noch so spezifisch-konkret formuliert sein, dass sie in den Befragten (nach Vermutung des Sozialforschers) eine eindeutige Zieldimension anspricht“.
Die Frage, ob es in der eigenen Gegend mit Flüchtlingen Probleme gibt, ist nicht wirkliche eine konkrete Frage, denn das, was Einzelne als Problem ansehen, variiert erheblich. Für den einen mag es ein Problem sein, dass der Kühlschrank seinen Geist aufgegeben hat, für den anderen mag es ein Problem sein, dass er die Erbschaft von 100.000 Euro nicht am Fiskus vorbei manövrieren kann. Bezogen auf Flüchtlinge mag es mancher als Problem empfinden, dass die Innenstadt seines Wohnortes voller Flüchtlinge ist, ein anderer mag ein Problem damit haben, dass die Anzahl der Flüchtlinge, die den von ihm angebotenen Deutschkurs besuchen, zu gering ist, um weiterhin öffentliche Förderung einstreichen zu können.
Kurz: Eine allgemeine Floskel wie „Problem“, die unbestimmt bleibt und auch durch keine Nachfrage bestimmt wird, misst nicht sonderlich viel.
Aber man kann sich allgemeine Floskeln zunutze machen, z.B. in einem Klima, in dem seit Wochen zum einen darüber diskutiert wird, dass Deutsche von Flüchtlingen ermordet wurden, zum anderen darüber, dass vermeintlich Rechte vor Ort dagegen demonstrieren (je nach ideologischer Ausrichtung auch Ausschreitungen vornehmen, Hetzjagden veranstalten oder Pogrome abhalten .. der Hysterie sind keine verbalen Grenzen gesetzt).
Vor dem Hintergrund, dass „Probleme mit Flüchtlingen“ medial behandelt in Messerstecherei und vor allem in Aufmärschen von linken und rechten Berufsdemonstranten sowie in Demonstrationen von Bürgern münden, die sich ihres Lebens nicht mehr sicher sind, ist die Frage, was ein Befragter unter einem Problem mit Flüchtlingen versteht, leicht zu beantworten.
Dies kann sich ein Sozialforscher, der gerne messen will, dass die Mehrzahl der Bevölkerung „kein Probleme“ mit Flüchtlingen in seiner Gegend hat, zunutze machen, und zwar durch den kleinen Zusatz:
„große“.
Wenn aus Problemen, große Probleme werden, dann ist sichergestellt, dass jeder medial Berieselte in Deutschland an Chemnitz und Köthen denkt. Das Adjektiv „große“ suggeriert somit eine eindeutige Bestimmung von „Problem“ und führt zu einer Nein-Sagetendenz, denn die meisten Deutschen werden froh und dankbar sein, die Probleme, die sie aus Chemnitz oder Köthen berichtet bekommen, was auch immer der genaue Gegenstand dieser in jedem Fall mit Flüchtlingen irgendwie assoziierten Probleme sein mag, bei sich nicht vorzufinden.
Die Abbildung oben zeigt das Ergebnis der suggestiven Bestimmung von „Problem“, das durch eine viel zu allgemeine Formulierung ermöglicht und durch den Zusatz des Adjektiv „große“ herbei gefragt wurde. Mit Meinungsforschung hat das nichts zu tun, aber es geht ja auch längst nicht mehr darum, im täglichen Krieg um die Deutungshoheit, die Meinung von Bürgern zu erforschen, sondern darum, gewünschte Ergebnisse durch geschickte Manipulation von Fragen zu erzielen.
Wollte man tatsächlich herausfinden, ob Befragte in ihrer Gegend „Probleme mit Flüchtlingen“ haben, dann würde man in etwa so vorgehen:
1) Gibt es an ihrem Wohnort oder in einem Nachbarort Flüchtlinge?
2) Haben Sie Kontakt mit diesen Flüchtlingen?
3) Verbinden sich damit, dass es Flüchtlinge in ihrer Gegend gibt, aus ihrer Sicht Probleme? Wenn ja, welche?
Das ist die kürzeste Art, die uns einfällt, um herauszufinden, ob sich nach Ansicht eines Befragten mit der Anwesenheit von Flüchtlingen in seinem Wohnort oder in räumlicher Nähe zu seinem Wohnort, Probleme verbinden. Ob ein Befragter Kontakt mit Flüchtlingen hat, ist eine relevante Zusatzinformation, die es ermöglicht, seine Angaben mit seinen eigenen Erfahrungen zu gewichten. Sie nicht zu stellen, ist nicht nur eine Verstoß gegen methodische Standards, es ist der letzte Nagel im Sarg der Meinungsbefragung, so als befragte man Vegetarier nach ihrem täglichen Fleischkonsum und freute sich anschließend darüber, dass sich die Befragten so gesund und ohne Fleisch ernähren.
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Dann unterstützen Sie bitte das private Blog ScienceFiles!
[wpedon id=66988]
ScienceFiles-Spendenkonto
Weitere Möglichkeiten, ScienceFiles zu unterstützen
Anregungen? Hinweise? Kontaktieren Sie ScienceFiles
©ScienceFiles
Anregungen, Hinweise, Kontakt? -> Redaktion @ Sciencefiles.org
Wenn Ihnen gefällt, was Sie bei uns lesen, dann bitten wir Sie, uns zu unterstützen. ScienceFiles lebt weitgehend von Spenden. Helfen Sie uns, ScienceFiles auf eine solide finanzielle Basis zu stellen.
Wir haben drei sichere Spendenmöglichkeiten:
Donorbox
Unterstützen Sie ScienceFiles
Unsere eigene ScienceFiles-Spendenfunktion
Unser Spendenkonto bei Halifax:
ScienceFiles Spendenkonto:
HALIFAX (Konto-Inhaber: Michael Klein):
- IBAN: GB15 HLFX 1100 3311 0902 67
- BIC: HLFXGB21B24
Related
Unser Spendenkonto bei Halifax:
ScienceFiles Spendenkonto: HALIFAX (Konto-Inhaber: Michael Klein):- IBAN: GB15 HLFX 1100 3311 0902 67
- BIC: HLFXGB21B24
Related
Related Posts
Lü(g)(ck)enpresse Leipziger Volkszeitung: Geht es um Gender, dann haben Journalisten die Hosen voll
Krieg in Deutschland: Der Kampf um die Definitionsgewalt
Konzertierte Hetze und Gleichschaltung der Medien
About The Author
Michael Klein
... concerned with and about science
Schreibe eine Antwort zu Fugg CensorsAntwort abbrechen
Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.
Es wird auch nie hinterfragt, warum die Fragen selten das fragen, was die Studienleiter hinterher behaupten. Ein typisches Beispiel ist: “Finden Sie es eklig, wenn sich Männer in der Öffentlichkeit küssen?” Die meisten Männer finden das eklig. Schlussfolgerung Studienleiter: Die wollen bestimmt den Schwulen das Recht absprechen und hassen sie auch noch.
Sie haben natürlich recht! Die Fragestellung produziert das Ergebnis. Ich finde die 10 – 17% für große Problem einen beachrtlichen Wert, da man davon ausgehen muss, dass es auch mittlere und kleinere Problem gibt.
Im übrigen habe ich heute einen Bericht gelesen über ein zunehmenden Antisemitismus in Bayern, der schon in der Schule beginnt. Einige Formulierungen haben mich stutzig gemacht und ich habe recherchiert. Ergebnis: 20 Personen wurden befragt und diese Ergebniss quantitativ dargestellt. Eigentlich ein Skandal.
Nicht weggemessen, es wurde ja garnicht nach halbwegs wissenschaftlichen Kriterien gemessen sondern eher wegsondiert. (französ. Sondage)
Und diejenigen, die die Realität drastisch (heute populistisch) benennen, wie Herr Seehofer der von den Folgen der Migration als der Mutter aller Probleme sprach und Herr Maßen, der sich verstieg, Frau M. Und ihrem Vasallen S. zu widersprechen, die sollen zurücktreten, also auch weg. Weg, weg, weg, den Kopf in den Sand, die Probleme nicht benennen, irgendwann sind die Morde auch vergessen, störet ihre Kreise nicht.
Auch wichtig: W E R gefragt wird, und wieviele.
Wenn z.B. nur per Telefon (Festanschluss), dann fragt man nur eine bestimmte Gruppe, hier: meist alte Menschen, die täglich vor dem Färnsehn sitzen, vieles daraus glauben, selten aus dem Haus gehen und sich freuen, dass mal jemand anruft.
Es gibt so viele Möglichkeiten, ein entsprechendes Ergebnis “zu erfragen”… . Ist das nicht inzwischen Allgemeinwissen?
Oder Goethe:
“Nichts ist widerwärtiger als die Majorität; denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich anpassen, aus Schwachen, die sich angleichen, und der Masse, die nachtrollt, ohne im mindesten zu wissen, was sie will.” . . . . . . . . . . . . . . . (Maximen und Reflexionen)
Es ist ja so konfortabel im Kokon der Masse den Wohlfühl-Status der Gerechten zu genießen. Das Hirn ausschalten und sich treiben lassen. Nachdenken und eine eigene Meinung aus Informationen zu extrahieren ist Arbeit. Noch schwieriger ist es Informationen auf Stringenz und Realität zu analysieren.
Na ja, selbst die raffiniertest aufgebaute Sagetendenz muss nicht notwendigerweise zum erwünschten Ergebnis führen.
Beispiel CIVEY-Umfrage: Thilo Sarrazin: Für die SPD untragbar?
„Thilo Sarrazin: Für die SPD untragbar? …Sarrazins Buch voller sachlicher Fehler … Sarrazin ist ein verbitterter Mann … CIVEY stellt daher die Frage: Sollte Thilo Sarrazin aus der SPD ausgeschlossen werden?“
Ergebnis: 54,3% gegen einen Ausschluss.
Was ist denn da bloß passiert?
https://civey.com/umfragen/thilo-sarrazin-fuer-die-spd-untragbar
Ja, wer allgemein formuliert, bekommt auch verschwommene Ergebnisse. Das Problem beginnt doch bereits beim Wort „Flüchtling“. „Kann Deutschland die vielen Flüchtlinge verkraften?“ (Was sind „viele“ und meint „verkraften“ finanziell, kulturell …?) „Ist die „Flüchtlings- und Asylpolitik eher gut von Merkel/Seehofer?“
Der Begriff „Flüchtling“ ist hier mehr oder weniger unspezifisch. Es gibt politisch Verfolgte, Kriegs-Opfer, Wirtschaftsmigranten, legale und illegal ins Land gekommene Menschen, Personen mit verschiedenem Asylstatus, usw. Welche Bilder im Kopf des Befragten entstehen, wenn er nach „Flüchtlingen“ gefragt wird (was sind für ihn „Flüchtlinge“?), kann man nur ahnen. Letztlich macht sich die politische Diskussion nicht nur an Flüchtlingen und Asylbewerbern im engeren Sinne fest, sondern thematisiert Zuwanderer aller Art. Das Statistische Bundesamt spricht ja neuerdings bevorzugt von „Schutzsuchenden“ mit offenem, abgelehnten und anerkannten Schutzstatus. Eigentlich müsste die Forschungsgruppe Wahlen, im Verein mit anderen Instituten, angesichts des Begriffswirrwarrs mal ihr Vokabular kritisch durchsehen, höchstwahrscheinlich werden alte Fragestellungen beibehalten, um die Vergleichbarkeit mit früheren Jahren nicht zu gefährden.
Ansonsten kann man natürlich schon mit selektiven Fragestellungen beim Publikum Eindrücke vermitteln. Es ist sicher interessant, ob die Befragten „in der AfD eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland sehen“, nur ahnt man, dass die Befragten vielleicht auch in diversen anderen Gruppen und Politikbereichen Gefährdendes erblicken könnten, das nicht erwähnt ist. Bei der Frage, ob Links- bzw. Rechtsextremismus „eine große Gefahr für unsere Demokratie“ darstellen, vermisst man doch mindestens den religiösen Extremismus. Zum Kapitel „Kein großes Vertrauen in Verfassungsschutz“. „Während vor allem der Polizei (81 Prozent), aber auch den Gerichten (58 Prozent) in Deutschland von einer Mehrheit der Befragten großes Vertrauen entgegengebracht wird, ist dies beim Verfassungsschutz mit 38 Prozent weit weniger häufig der Fall. Insgesamt 55 Prozent haben in die Behörde nicht so großes oder gar kein Vertrauen.“ Das passt natürlich zur derzeit die Medien mit beherrschenden Maaßen-Diskussion. Nur hätten hier, wäre danach gefragt worden (dies ausgewiesen worden), auch andere gesellschaftliche Institutionen nicht geglänzt. Laut ARD DeutschlandTrend haben nämlich auch 52 Prozent der Befragten wenig oder gar kein Vertrauen in die Medien (47% sehr großes/großes Vertrauen) und 56 Prozent wenig oder gar kein Vertrauen in die Bundesregierung (43 % sehr großes/großes Vertrauen).Der im PolitBarometer hervorgehobene Verfassungsschutz befindet sich also in illustrer Gesellschaft. Sprich: Man kann generell von einem problematischen Vertrauensdefizit in wichtige Pfeiler und „Gewalten“ des Staates sprechen.