Prof. Dr. Werner J. Patzelt: “Nichts für intellektuelle Feiglinge und akademische Mimosen”
Die nächste Stellungnahme, die uns zum “Grievance-Studies” Projekt von James Lindsay, Peter Boghossian und Helen Pluckrose erreicht hat, stammt von Prof. Dr. Werner J. Patzelt, der sich, angesichts des Projektes u.a. an seine Jugend erinnert.
I.
ScienceFiles hat – einmal mehr – am Beispiel von drei Wissenschaftlern gezeigt, dass es sehr wohl möglich ist, auch absichtlichen, fies unterschobenen Unsinn als wissenschaftlichen Text veröffentlicht oder wenigstens ernsthaft begutachtet zu bekommen. Dieser peinliche Vorgang wird nicht dadurch geringfügiger, dass derlei immer wieder geschieht. Furore machte etwa im Jahr 1996 die „Sokal-Affäre“, als der Physiker (!) Alan Sokal in der sozialwissenschaftlichen (!) Fachzeitschrift „Social Text“ (präzis: in einem Sonderheft über Realismus und Postmoderne) einen Artikel mit dem Titel „Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity“ veröffentlichte und kurz darauf als – von den Herausgebern unbemerkte – Parodie auf gerade angesagten (!) Wissenschaftsjargon entlarvte.Die richtige Reaktion auf solche Demonstrationen und Dokumentationen von Selbstbetrug oder Schlamperei beim intellektuellen Kontrollieren behaupteter neuer Einsichten ist durchaus nicht eine wohlfeile Empörung über jene, welche Ideologievorlieben und Sorgfaltsmängel im Wissenschaftssystem quasi-experimentell nachweisen, oder die über bloßstellende Pannen solcher Art berichten. Die angemessene Reaktion besteht vielmehr in der Klärung dessen, warum derlei möglich ist – und sodann in der Prävention.
II.
Zu meinen nachwirkenden Erfahrungen mit dem Forschungsgebiet der Ethnomethodologie, das der Gegenstand meiner Dissertation aus den frühen 1980er Jahren war und sich mit der Analyse alltagspraktischer Konstruktion von „als wirklich behandelten Sachverhalten“ befasst, gehört ein Experiment, welches der Soziologe Harold Garfinkel, Begründer der Ethnomethodologie, vor über einem Vierteljahrhundert durchführte. Unter dem Vorwand, eine neue psychologische Beratungstechnik werde erprobt, rekrutierte er Studierende, die über persönliche Probleme mit einem Berater sprechen wollten. Nicht nur wäre die Beratung kostenlos; sondern das Neue bestünde darin, dass man seine Fragen soweit zu klären habe, dass der Berater sie mit Ja oder Nein beantworten könne. Außerdem sollten Objektivitätsmängel des Beraters dadurch unterbunden werden, dass man einander nicht persönlich gegenübersitze, sondern durch eine Gegensprechanlage kommuniziere. Und weil es um ein Experiment gehe, sollten alle Auskunftssuchenden den von ihnen erhaltenen Rat sofort nach der jeweiligen Antwort schriftlich kommentieren.Die Pointe des Experiments bestand darin, dass die Antworten – Ja oder Nein – von den gestellten Fragen „der zu Beratenden“ ganz unabhängig waren, weil sie nämlich von einem Zufallsgenerator bestimmt wurden. Dabei wurde die Häufigkeit der Nein-Antworten variiert, und zwar zwischen einer gleichen Anzahl von Ja- und Nein-Antworten bis hin zu deutlicher Asymmetrie.
Und was zeigten die Kommentare? Solange die Zufallsantworten halbwegs gleichverteilt waren, konstatierten die Befragten zwar etliche sie überraschende Antworten, fühlten sich aber von diesen Antworten auf neue, durchaus wertvolle Betrachtungsweisen gebracht. Nur wenn die Antworten sehr ungleich verteilt waren, kamen Zweifel an der Ernsthaftigkeit und am Wert der vermeintlichen Beratung auf. Daraus lernen wir: Die Bereitschaft auch kluger Leute, möglichst das zu glauben, was sie glauben wollen, ist riesengroß; und im Zweifelsfall nehmen sie auch gewaltige Interpretationsverrenkungen in Kauf, um ja nicht in ihrer Überzeugung erschüttert zu werden, dasjenige wäre real, was sie als real wahrzunehmen oder zu erleben hoffen.
Bisherige Stellungnahmen:
- Dr. habil. Heike Diefenbach: Einmal mehr: Wissenschaftsscharlatanerie entlarvt.
- Prof. Dr. Günter Buchholz: Gender-Feminismus ist Quasi-Theologie und Wissenschaftsbluff
Angefragt u.a.:
- Dr. Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
- Dr. Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft
- Prof. Dr. Walter Krämer, Statistik nichtlinearer dynamischer Prozesse, TU-Dortmund
- Univ-Prof. Dr. Stefan Hirschauer, Soziologische Theorie und Geschlechterforschung, Universität Mainz
- Prof. Dr. Paula-Irene Villa, Soziologie un. Gender Studies, LMU-München
III.
Mit derlei Wissen im Sinn erschließt sich leicht, was sich in jenen intellektuellen Narreteien vollzogen hat, die nun etwa ScienceFiles berichtet hat: Man wünschte sich bestimmte Erkenntnisse; man bejubelte, was sie scheinbar zutage förderte; und man verzichtete gerne auf Zweifel, die der Sehnsucht nach kognitiver Konsonanz in die Quere kämen.
Solches Verhalten ist allerdings das Gegenteil dessen, was eine wissenschaftliche Haltung ausmacht. Bei der ist man ergebnisoffen, auch wenn einen die Widerlegung von für wahr Gehaltenem ärgern mag. In wissenschaftlicher Haltung achtet man auch erst in einem zweiten Erkenntnisschritt auf inhaltliche Ergebnisse, sondern zunächst einmal auf die korrekte Anwendung von Methoden, die valide Daten liefern, weil ja allein dies ernstzunehmende Ergebnisse hervorbringen kann. Und man ist neugierig gerade auf Anlässe für Zweifel, ja idealerweise dankbar für alles, was einem bislang irreführende kognitive Konsonanzen auszutreiben vermag.
Offensichtlich ist eine solche Haltung nichts für intellektuelle Feiglinge und für akademische Mimosen. Entsprechend schmerzlich berührt es sie, wenn sie mit forscherischen Schwergewichten und wissenschaftlichen Hardlinern aneinandergeraten. Und menschlich verständlich ist es, wenn sie die Auseinandersetzung dann vom Intellektuellen ins Politische oder Persönliche verlagern.IV.
Umso deutlicher wird freilich auch, was gute Regeln forscherischer Praxis wären, die es gleichermaßen einzufordern und zu erfüllen gilt. Erstens: Klare Fragestellungen formulieren – so dass man beurteilen kann, ob eine Antwort erteilt oder nur geschwafelt wird. Zweitens: Auf Begriffsklärungen bestehen und deren analytische Fruchtbarkeit überprüfen – so dass man erkennen kann, von genau welchen Phänomenen konkret was behauptet wird. Drittens: Empirische Daten einfordern, erhoben anhand validitätssichernder Methoden sowie anhand von Stichproben, deren Aussagekraft sich mit Vernunftgründen abschätzen lässt – so dass man beim Blick auf die Befunde einer Forschungsarbeit sich auf Wissen verlassen kann und nicht mit Glaubensakte begnügen muss. Und viertens: Die formulierten Aussagen mit den präsentierten Daten abgleichen, allein aus dem sich dabei Zeigenden seine Schlüsse ziehen – und niemals von Wunschdenken leiten lassen.V.
Offensichtlich dispensiert man sich von diesen Regeln auf so manchem Forschungsgebiet – und anscheinend besonders gern auf jenen, wo das Unterschieben von Unsinn gelingt. Letztlich geht hier die üble Saat eines Konstruktivismus auf, der unkritisch über sein Ziel hinausschoss. Denn zwar ist alle soziale, kulturelle und wissenschaftliche Wirklichkeit eine Konstruktion. Doch der Gegenstand, der da geistig konstruiert oder rekonstruiert wird, besteht eben oft genug auch in der Wirklichkeit selbst, in Gestalt etwa einer gesprochenen Sprache, einer bestimmten (wenn vielleicht auch unzulänglich gekannten) Geschichte, eines tatsächlich bestehenden Regierungssystems, oder in nachweislichen Unterschieden bei so mancher Gensequenz zwischen den Trägern dessen, was sehr viele Leute immer noch „das Geschlecht“ nennen.VI.
Und was lernen wir aus alledem? Erstens: Solchen Leuten, die – warum auch immer – betrogen werden wollen, geschieht kein sonderliches Unrecht, wenn ihnen das tatsächlich einmal widerfährt. Zweitens: Wer den Schaden hat, muss sich um den Spott nicht sorgen – und hat ihn mitunter redlich verdient. Drittens: Nicht der Überbringer einer schlechten Nachricht tut Übles, sondern der, welcher jenen Tatbestand verursachte, über den man sich zu Recht erregt. Und viertens: Es wäre schon gut, wenn Wissenschaftler und deren Anhänger sich lieber an bewährte Regeln des Forschens hielten als daran, welche Weltsichten sie gerne als richtig bestätigt bekämen.
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Ich frage das als akademischer Außenseiter, der sein Geld seit jeher mit wenig abstrakten und evident nützlichen Tätigkeiten verdient (Handwerk, Pflege): Haben die “akademischen Mimosen” wenigstens sonst einen Nutzen im akademischen Betrieb? D.h. halten sie den intellektuellen und kreativen Schwergewichten in irgendeiner Form den Rücken frei? Oder behindern sie diese nur und könnten ersatzlos gestrichen werden? Ist das vielleicht alles eine Frage der Balance, wie in einem Ökosystem mit Räuber und Beute auf verschiedenen Ebenen? Bräuchtet ihr einen “räuberischen Professor”, der an jeder UNI die Minderleister und Scharlatane jagt und mit jedem, den er zur Strecke bringt, in Macht und Ansehen steigt? 😉
Man braucht nicht nur was man braucht. Ich finde, auch z.b. Indogermanistik oder Musiktheorie oder noch orchideenigere Fächer haben ihren Platz an einer Universität.
Aber wenn ein Fach einfach außerstande ist, einen Mindeststandard an Grundanforderungen an und Rahmenbedingungen für die Forschung zu erstellen fange ich an, an der Existenzberechtigung zu zweifeln.
Denn alle Ressourcen müssen über Steuern zur Verfügung gestellt werden und die Zahler müssen am Ende in Summa einen Gegenwert für die Steuern sehen können. Pharmazie, Physik, Chemie, E-Technik haben einen massiven Mehrwert. Indogermanistik nicht so imminent, ist nur ein minimaler Aufschlag der das Leben aber bunter macht.
Hunderte von Genderprofessuren, mehr als in Pharmazie, da ist die Balance nicht mehr ausgeglichen.
[…]Musiktheorie oder noch orchideenigere Fächer haben ihren Platz an einer Universität[…]
Warum?
Vielleicht 1% der Leute, die privat bezahlte Gitarren-Stunden genommen haben, sind jemals oeffentlich aufgetreten. Weniger als 1% von diesen 1% koennen davon leben. Belastung des Steuerzahlers = Null.
Vielleicht 10% der Leute, die Musik studieren spielen mal in einem Orchester und koennen gerade mal so davon leben. Der Steuerzahler zahlt nicht nur das Studium, sondern auch fast das komplette Gehalt dieser Musiker.
Unabhaengig davon, welche Art von Musik man persoenlich mag, WARUM soll ich das im zweiten Fall zwangsweise bezahlen?
Der Markt regelt das Problem mit den zu vielen Studenten, wenn man ihn laesst. In den USA kommen die Bachelor, Master und Doktoranten mit Schulden von 60-250k USD aus der Uni. Wenn das fast 50% der Leute machen (wie in den letzten 10-20 Jahren), dann stellt der Markt solche hoeher qualifizierten Leute erst mal bevorzugt ein. Aber, um die Schulden zurueck zahlen zu koennen, brauchen die ein recht hohes Gehalt. Die Firmen merken nach einiger Zeit, dass sie fuer die meisten Jobs, mit einem 1-woechigen Kurs und 4 Wochen Einarbeitung, einen unqualifizierten Bewerber zum halben Gehalt haben koennen. Das drueckt die Gehaelter fuer die Studierten, die haben Probleme ihre Kredite zu bedienen, woraufhin weniger studieren.
Der grosszuegig mit anderer Leute Geld agierende Staat setzt den Markt ausser Kraft. Das Studium ist “kostenlos” und den spaeteren Job bekommt man auch “vom Staat”, oder inzwischen von den Parteistiftungen, die Steuergelder missbrauchen. Deshalb sind wir bei Abgabenquoten von 50-70%. Mit einer Abgabenquote von z.B. nur 10% koennte ich mir problemlos meinen privaten Barden oder Kunstmaler “halten” 😉
Werner Patzelt ist einer der wenigen Wissenschaftler seines Faches, der Vertrauen verdient. Er sieht nämlich auch den wissenschaftlichen Nutzen von Irrtümern. Physiker wissen, dass man auch vom schlechtesten Modell etwas lernen kann. Ideologen und die Gefolgschaft ihrer Dogmen wollen – und können – nichts lernen. Sie wollen Deutungshoheit, Unangreifbarkeit und totalitäre Machtverhältnisse. Entsprechend gehen sie mit Kritik um.
Leider wiederholen sich deshalb geschichtliche Muster: In Gottesstaaten, doktrinären Organisationen, Sekten, Parteien, kollektivistischen Gemeinschaften aller Art. Sie gehen unweigerlich mit der Konstruktion von Feindbildern einher und zerstören jedes Vertrauen in die Möglichkeiten menschlicher Hilfbreitschaft und Kooperation, weil sie ihre Fürsorge- und Heilsversprechen an Opportunismus und blinde Mittäterschaft knüpfen. Die Folgen sind bekannt – und wir erleben sie täglich neu.
Ein würdiges und sehr persönliches Schlußwort von Patzelt, chapeau Herr Professor!
Das bemerkenswerteste ist, daß es immer diese oben beschriebenen Wissenschaftler als sogenannte Experten in die Öffentlichkeit schaffen um dort dann immer und immer wieder das Gleiche zu verbreiten. Wer sucht sich solche Experten? Nehmen wir z.B. die nicht stattfindende Debatte zum Thema menschengemachter Klimawandel. Tagein, tagaus wird man im Mainstream zugeschüttet mit Warnungen und einer regelrechten Hysterie, beinahe jedes Wetterereignis wird zum Vorboten des Weltuntergangs. Die Energiewende wird gefeiert und als unumgänglich gepriesen, schließlich gilt es das Weltklima(!) zu retten. Keine Fragen wie das zu schaffen sein soll, keine kritische Stimme, einfach immer weiter auf dem eingeschlagenen Pfad. Und das dürfte der springende Punkt sein: Der Lügner wird so lange an seiner Lüge festhalten wie es geht (insbesondere wenn Geld und Macht involviert sind). Politiker, sog. Journalisten und eben die Fake-Wissenschaftler wollen nicht beim Lügen erwischt werden, also macht man weiter – bis zum “Kipppunkt”.
Das Buch von Sokal heisst in der deutschen Fassung ELEGANTER UNSINN, gibt°s in Berlin in der Gedenkbibliothek.
Der akademische Betrieb dreht sich nach meinen Erfahrungen fast ausschließlich um die Vergabe von Fördergeldern und Wissenschaftsfinanzierung. Es ist ein Kampf mit harten Bandagen und manchmal auch Schlagringen. Die Genderprofessoren sind hierbei sehr von sich überzeugt und haben durch ihre smartere und gebügeltere Erscheinung in unserer oberflächlichen Gesellschaft auch einen erheblichen Vorteil gegenüber fachlich kompetenten, aber meist wesentlich ungepflegter auftretenden Altprofessoren, denen es meist auch noch bei Themen wie “Die Darstellung der Hausfrau in der Werbung der 50er Jahre und deren Einfluss auf die Lebensplanung moderner Frauen” , schlicht die Sprache verschlägt. Die Subventionierung sozial konstruierter Themen in der Politikwissenschaft geht oft zulasten der Analyse von strukturellen Systemschwächen, die das eigentliche Handwerk ausmacht. Das eine ist momentan populär und führt zu lesbaren Ergebnissen, das andere trocken, eintönig, jedoch für Krankheitserkennung im System und Ursachenforschung unvermeidbar.