In the Ghetto: München-Mitte

Milieustudien kommt dann, wenn es darum geht, die Ursachen plötzlicher und regional begrenzter Wahlerfolge bestimmter Parteien zu erklären, eine besondere Bedeutung zu. Rudolf Heberle hat schon in den 1940er Jahren in einer Reihe von Beiträgen, die u.a. in der American Sociological Review veröffentlicht wurden (z.B. The Ecology of Parties: A Study of Elections in Rural Communities in Schleswig-Holstein, 1918-1932) an vielen Beispielen dargestellt, wie es der NSDAP im Laufe der 1920er und frühen 1930er Jahre gelungen ist, bäuerliche Strukturen und ganze ländliche Gemeinden u.a. in Schleswig-Holstein zu übernehmen und die Zustimmung zur nationalsozialistischen Gesinnung zur Norm und somit zum Kit des geschaffenen Milieus zu machen.

In einem von Eike Hennig herausgegebenen Sammelband (Hessen unterm Hakenkreuz. Studien zur Durchsetzung der NSDAP in Hessen) finden sich eine Reihe von Beträgen, die zeigen, wie nationalsozialistische Milieus gebildet wurden, von denen manche zunächst als soziale Ghetto vom Rest der sie umgebenden Milieus sowohl räumlich als auch ideologisch getrennt waren, und wie die NSDAP im weiteren Verlauf in Hessen Fuß fassen konnte.

Dabei sind die Analysen nicht auf die NSDAP beschränkt, wenngleich seit den 1990er Jahren die Politikwissenschaft ihre entsprechende Tradition vergessen zu haben scheint, eine Tradition, an der auch Alf Mintzel mit seinen zahlreichen Studien zur CSU mitgearbeitet hat. Am bekanntesten ist wohl seine Darstellung der Schaffung von CSU-Milieus, die den Aufstieg der Partei unter Alfons Goppel ermöglicht haben, in seinem Buch: „Die CSU: Anatomie einer konservativen Partei 1945 – 1972“.

Die Bedeutung von Milieustudien zur Erklärung von Erfolg und Misserfolg von Parteien ist gut dokumentiert.

Von einem Milieu wird in der Regel gesprochen, wenn Menschen Lebensumstände, Wertorientierungen, Klassenzugehörigkeit oder bestimmte Verhaltensweisen teilen, die sie von der sie umgebenden Gesellschaft unterscheiden. Praktizierende Katholiken bilden in der Regel ein eigenes Milieu. In den 1920er Jahren  gab es Arbeitermilieus.

Wer die Mannheimer Quadrate kennt, der weiß, dass sich zwischen Marktplatz und Neckar ein Milieu gebildet hat, das von Migranten geprägt ist, erkennbar an den Läden und den Menschen, die dort leben.

In der Theorie wird davon ausgegangen, dass Milieus kein Problem darstellen, so lange sie sich nicht so stark von der sie umgebenden Gesellschaft unterscheiden, dass es keine oder nur noch wenige und meist unbedeutende Gemeinsamkeiten gibt. Ist dies der Fall, dann spricht man besser von einem sozialen Ghetto, einem räumlichen Gebiet, in dem Menschen leben, die sich aufgrund von Verhaltensweisen, Wertvorstellungen oder  Lebensumständen von der sie umgebenden Gesellschaft nicht nur unterscheiden, sondern explizit abgrenzen und die keinerlei Bereitschaft haben, sich an die umgebende Gesellschaft zu akkulturieren, die ihre Andersartigkeit von der sie umgebenden Gesellschaft vielmehr zum sie definierenden Merkmal erheben.

In Berlin gibt es entsprechende Milieus der Linken, die sich explizit von den Grundlagen des Landes abgrenzen, das sie für ein Stück Scheiße halten (was sie jedoch nicht daran hindert, an dessen Transferleistungen, Infrastruktur und den bereitgestellten Dienstleistungen zu partizipieren). Diese Abgrenzung beginnt beim Strafrecht und hört bei der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die sie ablehnen, auf.

Seit der letzten Landtagswahl in Bayern stellt sich uns die Frage, ob es ein entsprechendes Milieu, das sich zum sozialen Ghetto entwickelt hat, auch in München gibt. Anlass dafür, diese Frage zu stellen, ist der Kommentar eines ScienceFiles-Leser, den wir unten wiedergeben.

Wir sind ursprünglich davon ausgegangen, dass die Wahl der Grünen in Bayern eine Wahl durch Verantwortungslose darstellt und Ergebnis einer Re-Aktivierung der alten gesellschaftlichen Konfliktlinie zwischen Stadt und Land ist. Pointiert stehen sich hier diejenigen gegenüber, die einen produktiven Beitrag leisten, und zwar in Form eines Mehrwerts, der aus ihrer Tätigkeit entsteht und diejenigen, die vom Mehrwert leben, entweder weil sie vom Staat Transferleistungen erhalten oder weil sie beim Staat beschäftigt sind.

Letztere wählen die Grünen.

Der oben angesprochene Kommentar beschreibt das Milieu von München-Mitte, dem Wahlkreis, in dem die Grünen mit 42,5% der Zweitstimmen ihr bestes Ergebnis landesweit erreicht haben. Die Beschreibung ähnelt in weiten Teilen der Beschreibung eines sozialen Ghettos, wie man sie u.a. bei Heberle finden kann. Das soziale Ghetto dieser Wähler der Grünen ist exklusiv, was angesichts der von Grünen ständig betonten Bedeutung der Diversität geradezu Realsatire darstellt. Das soziale Ghetto dieser Wähler der Grünen ist hegemonial. Alternative Lebensentwürfe, die von der Binnen-Norm abweichen, werden nicht geduldet. Das soziale Ghetto dieser Wähler der Grünen ist expansiv-missionarisch, indem versucht wird, die eigenen Wertvorstellungen und Lebensumstände auch für angrenzende Stadtbezirke zur Norm zu erheben und keinerlei Abweichung mehr zuzulassen.

Wer die Studien von Heberle kennt, der kann nicht anders, als beunruhigt zu sein, ob dieser erschreckenden Übereinstimmung zwischen Heberles Beschreibung der Hegemonie und nachfolgenden Expansion der NSDAP in Schleswig-Holstein und den offenkundigen Parallelen zum Totalitarismus, wie sie im sozialen Ghetto der Öko-Grünen zu finden sind und im nachfolgenden Kommentar beschrieben werden.

Es wäre schön, weitere Rückmeldungen von Lesern zu erhalten, weitere Beschreibungen des Grünen-Milieus, um auf dieser Basis entscheiden zu können, wie weit die Ghettoisierung schon fortgeschritten ist und ob die Parallelen zur NSDAP so ausgeprägt vorhanden sind, wie es ein Vergleich mit den oben genannten Arbeiten zur NSDAP nahelegt.

„Also hier in München Mitte lebt mittlerweile vor allem die sogenannte Bionade Bourgeoisie, für Sie gibt es hier Alles: Bioläden, Ökofriseur, Bioweinhandlung, Biogastronomie, Waldorfschule, Ökokindergarten (auch vegan!) usw. Von der teuren Luxus Innenstadt Altbauwohnung alles in wenigen Schritten zu erreichen – ohne Auto, ohne U-Bahn, ohne Bus, nicht mal das Fahrrad ist unbedingt von Nöten. Alle anderen, die auch (noch) hier leben, etwas erledigen müssen oder einfach nur durch müssen stören da nur. Die verpesten Ihre Luft, stören Ihre Ruhe, Parken in Ihren Straßen herum und sollen doch bitteschön woanders fahren oder gleich leben, die passen eh nicht mehr hier her. Bezeichnenderweise gibt es hier kaum noch Münchner schon gar nicht unter 50, nicht mal Bayern, die können sich solche Viertel eben nicht mehr leisten. Pech gehabt.

Mich wundert der Erfolg der Grünen hier kein Bisschen, das passt wie die Faust auf‘s Auge.

Auch wir sind schon auf dem Sprung und ziehen bald weg, unsere Tochter ist sogar schon ausgewandert, da Sie selbst mit einem Master in Informatik (und Frau) anderswo bessere Möglichkeiten geboten bekam, als im ach so hippen und modernen (?) München. Rette sich wer kann, für alle die bleiben müssen (mussten wir auch sehr lange) tut es mir wirklich leid, aber ich fürchte es wird auch längerfristig nur noch teurer und lebensunwerter für nicht so gut Alimentierte.

Zu Londoner Verhältnissen ist es nur noch ein kleiner Schritt, aber selbst unsere Stadtpolitiker interessiert das nicht die Bohne, gehören ja schließlich auch zu dieser Klientel, da ist dann auch das Parteibuch vollkommen egal. Man hilft nur sich selbst und seinesgleichen.“

Literatur

Heberle, Rudolf (1944). The Ecology of Political Parties: A Study of Elections in Rural Communities in Schleswig-Holstein, 1918-1932. American Sociological Review 9(4): 401-414.

Hennig, Eike (Hrsg.)(1984). Hessen unterm Hakenkreuz – Studien zur Durchsetzung der NSDAP in Hessen. Frankfurt a.M.: Insel-Verlag.

Mintzel, Alf (1975). Die CSU. Anatomie einer konservativen Partei 1946 – 1972. Opladen: Westdeutscher Verlag.

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