Das Petitionsrecht zurückholen! Außerparlamentarische Opposition kann nicht auf den Seiten des Bundestages erfolgen

Artikel 17 des Grundgesetzes sagt schlicht und einfach:

Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. 

Es ist eine der Sonderlichkeiten moderner Verfassungen, dass dem Souverän das Recht eingeräumt wird, sich an „die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden“, ganz so, als wären die „zuständigen Stellen“ und die „Volksvertretung“ nicht ohnehin in seinem Namen tätig.

Ursprünglich wurde mit einem Petitionsrecht das Ziel verfolgt, Bürgern unabhängig vom Wahlrecht eine Einflussmöglichkeit auf politische Ziele oder auf Verwaltungshandeln zu geben. Das Petitionsrecht ist ein basisdemokratisches Recht, weitgehend das einzige, das die deutsche Verfassung kennt.

Aus Sicht derer, die sich Volksvertreter nennen oder aus Sicht von Verwaltungen, deren Handeln auch zum Gegenstand einer Petition werden kann, sind Petitionen Gradmesser der Stimmung im Volk. Die Anzahl derjenigen, die eine Petition unterstützen, ist ein gutes Maß dafür, welchen Unmut man sich durch Untätigkeit zuzieht. Ganz optimistische Vertreter dessen, was man Demokratietheorie nennt, sind gar der Ansicht, ein Petitionsrecht sei eine Art „Informationsfunktion“ für Volksvertreter, denn über Petitionen erfahren sie, besser: können sie erfahren, wenn sie sich denn dafür interessieren, welche Probleme mit und Kritikpunkte am Regierungs- oder Verwaltungshandeln es in der Bevölkerung gibt.

Nun ist in Deutschland das Petitionsrecht in der Weise ausgehöhlt, in der alle demokratischen Mitwirkungsrechte von Bürgern ausgehöhlt sind. Deutlich wird dies z.B. an der „Bürgerbeteiligung“, bei der es nicht darum geht, Bürger an Entscheidungen zu beteiligen, sondern in entsprechenden Versammlungen, Bürgern das Gefühl zu vermitteln, sie wären beteiligt gewesen, wenngleich sie keinerlei Einfluss und keinerlei verändernde Wirkung auf eine Entscheidung haben.

Wir haben es hier mit „pseudo-demokratischer Symbolik“, man könnte es auch „demokratische Schimäre“ nennen, zu tun. Bürgern wird vorgegaukelt, sie hätten einen Einfluss.

Auch Petitionen wurden in einer Weise instrumentalisiert, die sicherstellt, dass sie minimale Wirkung entfalten, selbst dann, wenn sie mehrere 10.000 Unterstützer erreichen. Der offizielle Weg der Petitionen, die über die Petitionsseite des Bundestags eingereicht werden, sieht zunächst einmal die Notwendigkeit der Genehmigung durch einen Petitionsausschuss vor. Das ist die erste Möglichkeit, unerwünschte Petitionen auszusondern. Wird eine Petition veröffentlicht, muss der Petitionsausschuss nach Abschluss der Zeichnungsfrist darüber entscheiden, was mit der Petition geschehen soll. Wir haben die vielfältigen Wege, auf denen es möglich ist, eine Petition versanden zu lassen, vor einiger Zeit bereits dargestellt:

Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass ePetitionen im Bundestag benutzt werden, um gesellschaftlichen Druck zu kanalisieren, um Bürgern eine Gelegenheit zu geben, zu denken, sie könnten mitreden. Betrachtet man die Wege, die Petitionen nach den vier Wochen, in denen sie unterzeichnet werden können, gehen, dann zeigt sich ganz deutlich, dass ePetitionen als Versandungsstrategie benutzt werden, dazu, um vom Petitionsausschuss kurz und bündig beerdigt zu werden „Das Verfahren abzuschließen“ heißt es dazu in der Beschlussvorlage an den Bundestag, die dort durchgewunken wird; dazu, um vom Petitionsausschuss als „Material“ an Ministerien überwiesen zu werden; dazu, den Fraktionen zur Kenntnis gegeben zu werden oder auf diversen anderen Wegen zu versanden.

Source

Wie so viele Mittel der unkonventionellen politischen Partizipation, so ist auch das Petitionsrecht ad absurdum geführt worden. Nachdem das Demonstrationsrecht vom Instrument außerparlamentarischer Opposition zum DDR-reminiszenten Massenauflauf zur Feier der Regierung und ihrer Politik umfunktioniert wurde, ein Prozess, den wir vor einiger Zeit beschrieben haben, wurden auch Petitionen als Mittel der unkonventionellen politischen Beteiligung mit der oben beschriebenen Versandungsstratgie weitgehend beseitigt.

Aber nur weitgehend, denn die ganze Strategie, mit der Kritik und Opposition gegen die Front des Einheitsdenkens, erstickt werden soll, sie funktioniert nur, wenn man die Spielregeln akzeptiert und sich in die vorgegebenen Bahnen fügt.

Das ist ein Grund dafür, warum wir Change.org und nicht die Petitionsseite des Bundestages als Ort gewählt haben, an dem ein Ende der Finanzierung der Amadeu-Antonio-Stiftung aus Steuermitteln gefordert werden kann. Ein weiterer Grund hat zum Ziel, einmal mehr den Grundstein zu legen, um demokratische Rechte von Kritik und Opposition aus den Klauen derer, die sie zerstören wollen, zu reißen:

Petitionen sind Mobilisierungsmittel. Sie zeigen, wie groß die Unterstützung für z.B. alternative Sichtweisen zur Politik der Bundesregierung sind. Sie zeigen somit, wie groß der Widerstand in der Gesellschaft bereits geworden ist. Petitionen zeigen denen, die sie unterzeichnen, dass sie mit ihrer Meinung nicht alleine stehen. Je mehr unterzeichnen, um so mulmiger wird das Gefühl in den Reihen derer, die sich in Parlamenten vor ihrer Bevölkerung verschanzt haben. Petitionen sind so etwas wie ein Gradmesser für den außerparlamentarischen Widerstand.

Damit sie das sein können, ist es notwendig, sie dem Versandungsprozess zu entziehen, sie im öffentlichen Raum zu belassen, so lange als unverarbeitete und unbearbeitete Petition und Mahnmal der Ignoranz der Politiker zu belassen, bis der stete Tropfen den Stein gehöhlt hat. Petitionen, die auf den Seiten des Bundestages ins Leben gerufen und vom nachfolgenden Verwaltungsprozess beerdigt werden, werden quasi beseitigt. Sie erhalten eine Nummer. Mit ihnen wird im Rahmen eines festen Verwaltungsprozesses verfahren. Am Ende werden sie archiviert und sind weg.

Vera Lengsfeld und Henryk Broder sind mit ihrer Petition zum Asylrecht den offiziellen Weg gegangen. Sie haben nach den vorgegebenen Spielregeln gespielt, eine öffentliche Anhörung im Petitionsausschuss durch-, die Ignoranz der Abgeordneten erlebt und den Abgeordneten die Möglichkeit gegeben, der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass sie massenhaft geäußerten Widerspruch zumindest kurz in Rechnung stellen, wenngleich sie ihn ansonsten und weiterhin ignorieren.

Wir wollen unsere Petition nicht dem offiziellen Prozess anheimstellen und Politikern die Möglichkeit geben, sich hinter Verfahrensregeln zu verstecken, Interesse zu heucheln, der Öffentlichkeit vorzugaukeln, sie würden ihre abweichenden Interessen auch nur einen Moment lang ernst nehmen, damit sie in zufrieden-satter Genugtuung anschließend den Vorgang „Petition XY“ abschließen und vergessen können.

Wir wollen mit unserer Petition zunächst mobilisieren und hoffen, dass viele sich uns anschließen, um ein Zeichen dahingehend zu setzen, dass Steuergelder nicht nach Lust und Laune und vielleicht auch nach politischer Vorliebe verschleudert werden können. Sodann wollen wir einmal mehr eine Petition in den öffentlichen Raum stellen und Politiker darüber sinnieren lassen, was sie damit tun.

Die Petition, mit der wir Bundeskanzlerin Merkel aufgefordert haben, die Belege für ihre Behauptung zu bringen, dass in Chemnitz Hetzjagden stattgefunden haben sollen und ihre Verwendung der DDR-Terminologie der Zusammenrottung zu erklären, haben mehr als 40.000 Bürger unterzeichnet. 40.000 Bürger, die Angela Merkel als Bundeskanzler angeblich vertritt, tatsächlich aber ignoriert, denn eine Antwort auf die Petition gibt es bis heute nicht. Dies kann man entweder als Anomie gegenüber unkonventionellen Mitteln des politischen Protestes ansehen oder als Du-kannst-mich-mal-Haltung einer Bundeskanzlerin, die auf mehr als 40.000 Bürger schei …

Die Petition gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung ist der nächste Schritt auf dem Weg, einen Fundus des außerparlamentarischen Widerstands aufzustellen, der zeigt, dass Politiker entweder nicht wissen, wie sie mit unkonventionellem politischen Protest umgehen sollen oder dass sie sich weigern, den berechtigten Anliegen ihrer Bürger eine entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen bzw. mit ihren Bürgern zu sprechen.

In beiden Fällen zeigen Petitionen die außerhalb der vorgegebenen Kanäle gesammelt und von uns regelmäßig wieder thematisiert werden, wie groß der Widerstand gegen die Front der Einheitsmeiner mittlerweile geworden ist, welche Themen er umfasst und wie groß die Ignoranz, wenn nicht Verachtung, der angeblichen Volksvertreter für die Bürger ist, die anderer Meinung sind.

Zur Erinnerung, abweichende, andere Meinungen sind das Lebenselixier in demokratischen Gesellschaften. Politiker die damit nicht umgehen können, sind faktisch keine demokratischen Politiker.

In diesem Sinne hoffen wir, dass möglichst viele Leser die Petition gegen die öffentliche Finanzierung der Amadeu-Antonio-Stiftung unterstützen.

Hier kann die Petition unterzeichnet werden.

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