Deutschlands zerbrochene Gesellschaft

Der Kit, der eine Gesellschaft zusammenhält, ist letztlich das Gefühl, an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten. Dieses Gefühl wiederum baut auf der Erfahrung, seine Ideen, seine Überzeugungen einbringen zu können, mit seinen Überzeugungen Ernst genommen zu werden, mit anderen über die richtigen Problemlösungen diskutieren zu können, sich im Wettstreit der Meinungen bewähren zu können.

Technisch fassen wir das unter den Bezeichnungen: Freier Zugang zum Meinungsmarkt und privilegienfreier Meinungsmarkt zusammen.

Das beschriebene gesellschaftliche Bindemittel ist formaler Natur, nicht inhaltlicher. Jede noch so abstruse Meinung kann, wenn sie begründet daher kommt, in Wettstreit mit anderen Meinungen treten.

Das, was wir als zerbrochene deutsche Gesellschaft bezeichnen, ist das Ergebnis einer inhaltlichen Bestimmung dessen, was der Kit der Gesellschaft sein soll.

Politdarsteller wollen die richtigen Werte, das was sie für demokratische Werte halten (oder ausgeben) anderen aufschwätzen, zuweilen auch aufzwingen.

Von Steuergeldern unterhaltene Organisationen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung wollen die Ideologie, die als richtige Ideologie befunden wurde, durchsetzen und alle anderen Ideologie-Anbieter vom Meinungsmarkt ausschließen.

Kurz: Nur bestimmte Meinungen gelten als legitime Meinungen, über die diskutiert werden kann, nur bestimmte Akteure erhalten Zugang zum Meinungsmarkt. Im Ergebnis werden Menschen mit abweichender Meinung ausgeschlossen, opponieren gegen diejenigen, die eine Einheitsmeinung erzwingen wollen oder ziehen sich in die Privatheit zurück. Das, was als Gesellschaft gedacht war, wird zu einer exklusiven Veranstaltung der Einheitsmeiner, aus der diejenigen, die für eine kritischen und kontroversen Dialog notwendig wären, ausgeschlossen sind.

Die Frontenbildung beginnt und wird affektiv geladen. Jede Seite hält sich für die moralisch überlegene Seite, wobei die Front der Einheitsmeiner insofern moralisch hegemonial auftreten kann, als sie die öffentlich-rechtliche Meinungsindustrie hinter sich weiß und darüber hinaus von Ministerien mit Steuergeldern gepampert wird.

Als Konsequenz werden die Gräben, die in einer normalen Gesellschaft durch Dialog und Streit überwunden werden, tiefer, diejenigen, die nicht die vorgegebene Einheitsmeinung vertreten, werden generell aus der Gesellschaft, aus dem gesellschaftlichen Diskurs ausgeschlossen, zu Unpersonen, unwerten Gesellschaftsmitgliedern erklärt, mit denen kein sinnvoller Dialog geführt werden kann.

Die moralische Überlegenheit, die diejenigen, die sich im Besitz der offiziellen Wahrheit wähnen, für sich reklamieren, nimmt den Charakter einer göttlichen Weihe an, die eigene Überlegenheit über die Untermenschen, die man nunmehr als Feind wähnt, sie führt dazu, dass die eigene Überzeugung zur Wahrheit wird, dass als Folge die geteilte Menschlichkeit aufgekündigt wird.

Kooperationsbereitschaft ist längst nicht mehr vorhanden, Empathie und Goodwill, beide notwendig, um eine soziale Beziehung aufzubauen, folgen ihr in den Abgrund. Zurück bleiben unversöhnliche Gotteskrieger, die keinerlei Zweifel am eigenen Urteil kennen, jede menschliche Regung verlernt haben und nur das Ziel vor Augen haben, dem Feind auf der anderen Straßenseite zu schaden, so gut es nur geht.

Ein Beispiel haben wir im Kommentarbereich der taz gefunden. Selbstjustiz, gebaut auf eingebildetem Wissen, gewürzt mit Rachelust gegenüber einem Dritten, den man persönlich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht kennt und keinerlei Fähigkeit, andere als Menschen zu betrachten, ihnen entsprechende Regungen wie Freude, Angst, Trauer, Leid zuzugestehen, mehr erkennen lässt, zeichnet den Zombie aus, der die zerbrochene Gesellschaft Deutschlands bevölkert.

Dieser Zombie ist ein Ergebnis des Versuches, schon Kindern und Jugendlichen die richtige Weltsicht einzuhämmern und jeden Ansatz, abweichenden Denkens abzutrainieren.

Er ist ein Ergebnis der ständigen ideologischen Zerteilung der Gesellschaft, wie sie von Extremismus-Unternehmern, die angeblich bekämpfen, was sie tatsächlich schaffen, betrieben und von Ministerien, in denen sich sozialwissenschaftlicher Sachverstand auf dem Niveau einer Kindertagesstätte zu finden scheint, finanziert wird.

Er ist dass Ergebnis der Ächtung bestimmter Meinungen und der Privilegierung der gewünschten, weil besonders staatsdienlichen Meinungen.

Die zerbrochene Gesellschaft ist die Folge, die Pseudo-Moralität, die wir vor fast genau fünf Jahren erstmals beschrieben haben, ist eine der (psychologischen) Ursachen dafür, dass die formalen Grundlagen, ohne die demokratische Gesellschaften nicht überleben können,  geopfert werden:

„Unter Rückgriff auf die Kapitalientheorie von Pierre Bourdieu (2009) stellen wir die These auf, dass das, was diese Pseudo-Legitimität ermöglicht, nicht der Austausch herkömmlicher Kapitalien zwischen Akteuren ist, dass soziale Differenzierung in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen entsprechend nicht über kulturelles Kapital (hohe Bildung) oder ökonomisches Kapital (Reichtum) erfolgt, sondern durch die Übernahme einer von uns als Pseudo-Moralität bezeichneten Haltung, die einen Selbstwert verspricht, der nicht auf Leistung oder Kompetenz gegründet ist. Wir entwickeln hier also unsere eigene Gesellschaftstheorie, unsere Beschreibung der Post-Moderne.“

Wenn unsere eigene Gesellschaftstheorie interessiert, der kann sie hier nachlesen.

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