Neue Verschwörungstheorie: Verschwörungstheoretiker sind oft kriminell

Im Kampf um die Oberhoheit über die Überzeugungssysteme der Bevölkerung spielen Verschwörungstheorien schon seit längerem eine Rolle. Schon die Bezeichnung von etwas als „Verschwörungstheorie“ soll diskreditieren, das, was so bezeichnet wurde, aus dem öffentlichen Diskurs entfernen.

Wir haben schon vor einiger Zeit argumentiert, dass eine Verschwörungstheorie letzten Endes das ist, was auch anderen Behauptungen über systematische Zusammenhänge sind: eine Theorie. Als solche steht sie der Prüfung offen, und sofern es möglich ist, singuläre Beobachtungen aus einer Theorie, die eine Verschwörung behauptet, abzuleiten, die empirisch prüfbar sind, ist die Verschwörungstheorie, eine prüfbare Theorie über eine Verschwörung, an der nichts auszusetzen ist.

Dies ist jedoch nicht im Sinne derer, die durch die Bezeichnung „Verschwörungstheorie“ diskreditieren und – so muss man zuweilen vermuten – missliebige Theorien aus dem öffentlichen Diskurs entfernen wollen. Dass diejenigen, die Verschwörungstheorie schreien und den Begriff derogativ verwenden, von diesen Motiven geleitet sind, wird schon daran deutlich, dass sie sich nicht argumentativ mit der entsprechenden Verschwörungstheorie auseinandersetzen, deren Falschheit oder Unzulänglichkeit man, wenn es eine so falsche Zusammenhangsbehauptung ist, wie es die derogative Verwendung des Begriffs „Verschwörungstheorie“ nahelegen soll, einfach unter Beweis stellen könnte. An die Stelle der Auseinandersetzung setzen sie den Versuch, die als Verschwörungstheorie bezeichnete Theorie ohne Belege lächerlich zu machen, was alleine schon ausreicht, um niedere Motive mit geringer Irrtums-Wahrscheinlichkeit als treibende Kraft annehmen zu können.

Heute nun hat uns ein Leser einen Hinweis auf einen Beitrag bei Pressetext geschickt, in dem von einer Studie berichtet wird, deren Ergebnis bereits in der Überschrift falsch wiedergegeben wird:

Verschwörungstheoretiker sind oft kriminell“, steht in der Überschrift. Schon das ist falsch, denn in der Studie mit dem Titel „Beliefs in conspiracy theories and intentions to engage in everyday crime“ wird gar nicht nach der Häufigkeit von kriminellem Verhalten gefragt, es wird nicht einmal kriminelles Verhalten gemessen, aber dazu später.

Und weiter geht es:

„Verschwörungstheorien verführen deren Anhänger dazu, in die Kleinkriminalität abzurutschen oder sie zumindest zu akzeptieren.“

Anti-Theft Trolley

Haben Sie bemerkt, dass aus der Kriminalität in der Überschrift, nunmehr Kleinkriminalität geworden ist? Wer an Verschwörungstheorien glaubt, der begeht deshalb Kleinkriminalität, so behauptet wohl Wolfgang Kempens als Autor dieses Textes. Abermals ist die Behauptung falsch. In der Studie, um die es hier geht, wurde weder eine Kausalität gemessen noch kleinkriminelles VERHALTEN.

Die ganze Besprechung auf „Pressetext“ ist ein Beispiel dafür, wie die Phantasie, die angebliche Forscher bereits haben walten lassen, durch die Phantasie, die bei Journalisten einer faktischen Berichterstattung mindestens so sehr im Wege steht, wie die Phantasie der Wissenschaftler dem Erzielen sinnvoller Ergebnisse, ergänzt wird.

Was wurde tatsächlich „studiert“?

Zunächst zur abhängigen Variablen:

Kriminalität oder Kleinkriminalität.

Die Maße dafür sind zwei Fragen, in denen zum einen gefragt wird, ob man erwägen würde, eine der folgenden Handlungen zu begehen, einmal, ob man eine der Handlungen schon einmal ausgeführt hat.

In beiden Fällen werden die Antworten auf einer Skala mit sieben Antwortmöglichkeiten gemessen, von 1 würde ich nie in Erwägung ziehen bis 7 würde ich in Erwägung ziehen, bzw. von 1 „nie“ bis 7 „immer“.

Eine blödsinnigere Operationalisierung ist uns noch nicht begegnet. Wer fragt nach vergangenem Verhalten und gibt die Kategorien 1 „nie“ und 7 „immer“ und die Kategorien dazwischen als Abstufung zwischen nie und immer, vermutlich also manchmal, gelegentlich, oft, sehr oft, an?

Damit nicht genug. Die Kriminalität, die Kleinkriminalität, die gemessen wurde, also die Handlungen, von denen die Forscher wissen wollen, ob man sie erwägen würde oder noch nie oder immer zeigt, sind die folgenden:

  • Beim Verkauf von gebrauchten Gegenständen Fehler verstecken oder verheimlichen.
  • Unberechtigt einen Umtausch, eine Kaufpreisrückerstattung oder eine Kompensation verlangen.
  • Einen Einkaufswagen vom Supermarkt mitnehmen.
Waren Echnaton und Moses ein und dieselbe Person? Für manche ein Sakrileg, andere eine Verschwörungstheorie, wieder andere eine Frage.

Man kann sich darüber streiten, ob damit Kriminalität gemessen wurde. Sicher ist, dass die meisten Leser, die die Überschrift sehen „Verschwörungstheoretiker sind oft kriminell“, mit Sicherheit an etwas anderes, als das Stehlen eines Einkaufswagens im Supermarkt denken. Nicht darüber streiten kann man sich, dass die angeblichen Forscher Daniel Jolley, Karen M. Douglas, Ana C. Leite und Tanya Schrader dadurch, dass sie die Antworten auf die beiden oben genannten Fragen zusammengeworfen haben, jedem zu erkennen geben, dass die Fallzahl so gering sein muss, dass man Fragen kombinieren muss, um überhaupt etwas messen zu können. Dadurch, dass die Autoren eine Frage nach einer Intention mit einer Frage nach einem Verhalten in der Vergangenheit kombinieren, geben sie zudem zu erkennen, dass sie sich über jede Form der Lauterkeit hinwegsetzen, insbesondere da fortan nicht mehr von Intention, sondern nur noch von „everyday crime behaviours“ die Rede ist, worunter dann wohl die Intention fällt, den Diebstahl eines Einkaufswagens eventuell in Erwägung zu ziehen..

Eigentlich ist die „Studie“ bereits hier als Unfug ausgewiesen, Unfug, der mit dem klaren Ziel, etwas für Verschwörungstheoretiker Negatives herauszufinden, zusammengeschrieben wurde. Verschwörungstheoretiker sind für die Autoren übrigens Menschen, die glauben, dass ein kleiner geheimer Zirkel für die meisten der relevanten Entscheidungen verantwortlich ist, die auf der Erde getroffen werden. Ein Wissenschaftler, dem es um die Sache geht, der würde diese Annahme prüfen und dann, wenn er sie nicht bestätigen kann, schreiben, dass sie falsch ist.

Angebliche Wissenschaftler die derartige Überzeugungen zum Anlass nehmen, um die Träger der Überzeugung zu diskreditieren, sind eine Schande für ihre Zunft. Sie sind auch deshalb eine Schande für ihre Zunft, weil sie mit aller Gewalt und in der Regel bescheidenen Kenntnisse der Statistik versuchen, ein Ergebnis in ihrem Sinne zu produzieren. Die vier Autoren von den Universitäten Staffordshire und Kent produzieren z.B. das, was sie als „hierarchische Regressionsanalyse“ bezeichnen. Dahinter versteckt sich die schlichte Stepwise-Regression, die in den meisten Statistikprogrammen Standard ist und recht wenig mit Hierarchie zu tun hat. Ihre Rechenkunst ergibt für den Glauben an Verschwörungstheorien und der kombinierten Intention und vergangener Begehung von bestenfalls Lapidarkriminalität auf einer irrsinnigen Siebenerskala gemessen und metrisch, obwohl ordinal interpretiert, den ärmlichen Zusammenhang von .15. Ob es sich bei diesem Koeffizienten um ein Beta oder ein b handelt, das ist der Arbeit von Jolley et al. nicht zu entnehmen. Ebensowenig finden sich Gütekriterien für die Regressionsanalyse was insbesondere deshalb misslich ist, weil man den Korrelationen zwischen den unabhängigen Variablen bereits entnehmen kann, dass Multikollinearität ein Problem der Analyse darstellt.

Um das Technische nicht zu abstrakt zu gestalten: Eine multiple Regressionsanalyse unterstellt einen linearen Zusammenhang zwischen einer Reihe von unabhängigen Variablen und einer abhängigen Variablen. Dabei wird eine Gerade berechnet, die die Punktewolke, die sich zwischen unabhängigen und der abhängigen Variable aus der Summe der einzelnen Nennungen ergibt, am besten beschreiben soll. Nun lassen sich immer lineare Beschreibungen für Punkte in einem Koordinatennetz berechnen. Die Frage ist deshalb: Wie gut ist die lineare Beschreibung? Die entsprechende Güte, der Test auf Signifikant des Ergebnisses, er fehlt bei Jolley et al. Einzig die erklärte Varianz wird angegeben: 35% sind angesichts von mageren 235 Befragten eher wenig.

Regressionen, die lineare Näherungen beschreiben sollen, basieren zudem auf einer Vielzahl von Annahmen. Die wichtigsten davon sind: Es bestehen keine linearen Zusammenhänge zwischen unabhängigen Variablen (Multikollinearität), und es besteht kein systematischer Zusammenhang zwischen den Residuen, also dem Teil, den 65% der Varianz, der nicht erklärt werden und der abhängigen Variable. Dass zumindest die erste Annahme im Modell von Jolley et al. nicht gegeben ist, zeigen deren eigene Ergebnisse von Korrelationsanalysen, die sie eine Seite vor dem Ergebnis der Regressionsanalyse präsentieren: Zwischen den unabhängigen Variablen des Regressionsmodells finden sich erhebliche Korrelationen, so dass man Multikollinearität annehmen muss. Die Ergebnisse von Jolley et al. sind entsprechend nichtig.

Offenkundig haben Jolley et al. noch nie von den Voraussetzungen gehört, auf denen Regressionsanalysen basieren, oder sie haben die notwendigen Tests absichtlich unterlassen, um ihr Ergebnis ungestört von statistischen Realitäten in die Welt posaunen zu können.

Das alles ist schändlich und hat mit Wissenschaft nichts zu tun, so wenig wie der Versuch, Menschen, die vielleicht Abstruses denken, zu diskreditieren, etwas mit Wissenschaft, aber viel mit Ideologie und Anbiederung zu tun hat. Leider sind die Sozialwissenschaften in weiten Teilen zur Andien-Übung und zum Unterwürfigkeitsritual verkommen, in dessen Verlauf angebliche Wissenschaftler nicht ihren Lesern, sondern ihrer Universitätsleitung signalisieren, dass sie auf der politisch-korrekten Seite stehen und keine Anstalten machen, selbst, unabhängig, am Ende gar innovativ zu denken.

Die Sozialwissenschaften des Vereinigten Königreichs machen hier keine Ausnahme. Sie reihen sich in das triste Bild, das vom Kontinent bekannt ist, ein. Auch eine Harmonisierung, die in Teilen der EU zu verdanken ist.

Jolley, Daniel, Douglas, Karen M., Leite, Ana C. & Schrader, Tanya (2019). Belief in Conspiracy Theories and Intentions to Engage in Everyday Crime. British Journal of Social Psychology; DOI:10.1111/bjso.12311

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