Wir leben doch längst im Totalitarismus oder: Welche Kritik ist nicht rechts?

In der Ökonomie, aber nicht nur da, wird zwischen inkrementellen und radikalen (breakthrough) Innovationen unterschieden. Scherzhaft differenziert, kann man die erste als Veränderung beschreiben, die so gering ausfällt, dass man sie kaum bemerkt, während man Letztere nicht übersehen kann.

In der Praxis ist es schwierig, beim Zählen von Sandkörnern die Grenze zu bemerken, ab der aus den Sandkörnern ein Sandhaufen geworden ist.

Soziale Veränderungen, selbst soziale Revolutionen vollziehen sich nicht plötzlich. Es gibt in der Regel einen langen Vorlauf, eine Kontinuität kleiner Veränderungen, Geschehnisse, Situationen, die sukzessive einen Punkt ermöglichen, der dann – in der Rückschau – als Tipping-Point gesehen werden kann, sofern man ihn sehen will.

Was in Großbritannien derzeit als „Brexit-Betrayal“ die Runde macht, hat alle Insignien eines sozialen Wandels, der geeignet ist, große Teile der politischen Klasse einfach wegzuwischen. Aber derzeit gibt es nur die Anzeichen, die Indikatoren, die kleinen Begebenheiten, die Veränderung anzeigen, solche Veränderung, die nicht revidierbar ist.

William F. Ogburn hat schon 1922 die Idee des „Cultural Lag“ entwickelt. Die immaterielle Entwicklung, so seine These, bleibt hinter der materiellen Entwicklung zurück, neue technologische Möglichkeiten sind längst Realität, längst Bestandteil der materiellen Kultur, ehe sie in die immaterielle Kultur inkorporiert werden, ehe das technologische „Neuland“ zum Teil der immateriellen Kultur wird.

Wir übertragen die Idee Ogburns auf die Politikwissenschaft: die materiellen Bedingungen politischer Systeme verändern sich schneller als die immateriellen, die symbolischen, die Glaubensbestandteile politischer Systeme. Die Ungleichzeitigkeit der alltäglichen Realität und der immateriellen Deutung derselben, schlägt sich z.B. in der Überzeugung nieder, man lebe in einer Demokratie, obwohl die Fakten dagegen sprechen, weil grundlegende materielle Gegebenheiten, die eine Demokratie erst möglich machen, Meinungsfreiheit, Unabhängigkeit des Parlaments von der Regierung, Gewaltenteilung, nicht mehr gegeben sind.

Im Alltag herrscht materiell Totalitarismus und ideell Demokratie.

Der vielleicht wichtigste Indikator, an dem sich der tatsächliche Zustand eines politischen Systems ablesen lässt, ist der Umgang mit Kritik. Kritik, das vorbringen alternativer Erklärungen, konkurrierender Hypothesen, Meinungen und Überzeugungen ist das Lebenselixier von Demokratie. Die Idee der Demokratie basiert auf einem freien Wettbewerb der Ideen, Meinungen, Vorschläge zur Problemlösung auf einem freien Markt, zu dem niemand privilegierten Zugang hat und von dem niemand ausgeschlossen werden kann.

Diese materiellen Voraussetzungen sind in Deutschland nicht mehr gegeben, so unsere These, die man auch in die Frage packen kann: Welche Kritik an Politiken kann man in Deutschland noch äußern, ohne als rechts zu gelten?

Der wohlwollende Umgang mit den Teenagern, die derzeit die Schule schwänzen, weil sich zum Wasserträger derer machen wollen, die ein (finanzielles) Interesse daran haben, den anthropogenen Klimawandel in einer Weise aufzublasen, die man früher als sittenwidrig bezeichnet hätte, bildet den Hintergrund unserer These, denn wenn eine politische Klasse Demonstrationen, also vermeintlich außerparlamentarische Opposition begrüßt, dann kann die außerparlamentarische Opposition keine Opposition sein, dann vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass inszeniert wird, um einen bestimmten Eindruck in der Öffentlichkeit zu erwecken. Wäre die vermeintliche Kritik der Teenager eine relevante, eine konkurrierende Kritik, die politische Klasse würde sie nicht umarmen.

Daher stellt sich die Frage nach dem, was die Kritik, die die politische Klasse nicht umarmt, auszeichnet.

Nehmen wir die Kritik am Uploadfilter. Der CDU/CSU-Kandidat für die nächste Europaparlamentswahl hat sie als von US-amerikanischen Konzernen gekaufte Kritik zu diffamieren versucht. Die Prämisse, dass man Demonstranten kaufen könne, ist interessant, wenngleich ein Beleg dafür, dass tatsächlich Demonstranten gekauft oder finanziert wurden, bislang nur für die damals noch CDU-geführte Landesregierung von Thüringen vorliegt.

Tatsächlich haben wir lange diskutiert und gesammelt, uns will keine Kritik am Status Quo von Politiken einfallen, die nicht diskreditiert, die nicht als „rechts“ diskreditiert wird.

Zweifelt man den anthropogenen Klimawandel an, weil die Modelle, die ihn belegen sollen, auf so vielen (falschen) Annahmen basieren, dass man mit ihnen alles und nichts vorhersagen kann, dann ist man ein Systemfeind. Und Systemfeinde sind: richtig: rechts.

Zweifelt man an der heilsbringenden Wirkung, die von einer Bevorzugung von Frauen ausgeht, daran, dass Steuermittel eingesetzt werden, um auch die letzten Reste von Meritokratie an Hochschulen und im Rahmen des Professorinnenprogramms zu beseitigen, dann ist man Anti-Feminist oder wahlweise Anti-Genderist und in jedem Fall: richtig: rechts.

Hat man etwas dagegen, dass jeder Hans Wurst, nur weil er es auf eine Position geschafft hat, nunmehr glaubt, er könne anderen in deren Lebensführen pfuschen, wehrt sich gegen die Bevormundung freier Bürger im Hinblick auf ihre Trink-, Ess-, Rauch-, Freizeit- und mittlerweile auch Fahrgewohnheiten, dann gilt man als: richtig: rechts.

Kritisiert man die Sexualmanie, die die seltenen Populationen von Homosexuellen, Intersexuellen und Transsexuellen in jeden Winkel des sozialen Lebens pressen will, die – wie Heinz Mahr einst formuliert hat – Menschen von der Wiege bis zur Bahre verfolgen will, dann gilt man als: richtig: rechts.

Kritisieren Sie den Plan, eine CO2-Steuer einzuführen, und sie finden sich mit der Zuschreibung ein Rechter zu sein wieder.

Verteidigen Sie den harmlosen deskriptiven Begriff der Heimat, und Sie gelten als sowas von rechts, dass es rechter kaum geht.

The Lost History of Antifa

Sie sind der Meinung, dass Fragen, wie die einer Zuwanderung von mehreren Millionen Neubürgern nicht einfach im Handstreich und über die normative Kraft des Faktischen beantwortet werden dürfen, dass man in einer Demokratie über die Nachteile, die Masseneinwanderung immer mit sich bringt, über die Kosten, die vorhersehbaren Konflikte und Krisen diskutieren müsse? Man sind Sie rechts.

Stellen Sie fest, dass das Lohnniveau von Berufen dann, wenn Frauen in sie strömen, deshalb sinkt, weil ein Zustrom von Frauen regelmäßig mit einem Absenken von Standards und einem Sinken der Produktivität einhergeht, und Sie sind rechter als Rechts.

Sie kritisieren die Idee, man können Eigentum, gleich wem es gehört, enteignen und schon sind sie rechts.

Es ist uns nicht gelungen, eine Kritik an einer bestehenden Politik zu finden, die nicht durch die politische Klasse und ihre ideologischen Kostgänger diskreditiert wird, für die nicht versucht wird, sie als illegitim zu stigmatisieren und vom Markt der Ideen, Hypothesen, Meinungen fernzuhalten. Tatsächlich finden in Deutschland keine kontroversen Diskussionen zu relevanten Politiken statt.

Damit ist das politische System Deutschlands nach unserem oben eingeführten Kriterium keine Demokratie, sondern ein totalitäres System, und falls Sie sich nun fragen, warum Sie nicht bemerkt haben, wie das Land peu-a-peu in den Totalitarismus abgeglitten ist, dann hoffen wir, Sie haben auch eine Antwort.


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