Von einem, der gehört hat, dass es Hetzjagden gegeben haben soll: Journalismus des Hörensagens

Was wir wissen: In der Nacht vom 25. zum 26. August 2018 wurde Daniel Hillig in Chemnitz ermordet. Den Ermittlungen zufolge hat ihn ein Asylbewerber aus dem Irak (der auf der Flucht ist) erstochen. Im Anschluss an diesen Mord gab es eine Reihe von mehr oder weniger spontanen Protest-Demonstrationen, für die eine kurze Videosequenz definierend geworden ist: Das Video, das von Antifa „Zeckenbiss“ verbreitet wurde, soll angeblich zeigen, wie zwei Asylbewerber von einem Mob gehetzt werden (siehe unten).

Es hat gewirkt, wie ein einsames Licht in lauer Sommernacht auf Stechfliegen wirkt.

Medien, Politiker, Regierungssprecher, Bundeskanzler, sie alle haben sich die Sequenz zueigen gemacht. Plötzlich stand nicht mehr der Mord an Daniel H., wie er nun genannt wurde, im Mittelpunkt, sondern die vermeintlich ausländerfeindlichen Vorfälle in Chemnitz. Wir haben die Inszenierung, die in der Folge aus Etwas etwas ganz anderes gemacht hat, in unserem Modell der Lügenspirale beschrieben und gemeinsam mit Werner J. Patzelt, der heute die Sachsen-CDU berät, zum Anlass genommen, um eine Petition zu starten, mit dem Ziel, von der CDU-Bundeskanzlerin eine Auskunft darüber zu erhalten, auf welcher empirischen Grundlage ihre Behauptung, in Chemnitz habe es gleich (mehrere) Hetzjagden gegeben, steht. Zudem wollten wir wissen, wie es zu erklären ist, dass die Bundeskanzlerin im Zusammenhang mit Chemnitz von „Zusammenrottung“ spricht, während ihr der DDR-Begriff im Zusammenhang mit tatsächlichen, aber linken Ausschreitungen z.B. in Hamburg anlässlich des G20 nicht eingefallen ist.

Mehr als 40.000 Unterzeichner unterstützen die Petition. Einer Antwort waren die 40.000 der Bundeskanzlerin nicht wert, was daran liegen mag, dass der Regierungssprecher, Steffen Seibert, in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion kleinlaut eingestehen musste, dass die Quelle der eigenen Erregung das oben genannte kurze Video war, das „Antifa Zeckenbiss“ auf Twitter verbreitet hat. Wieso eine dubiose Zelle der Antifa einen direkten Draht zum Bundeskanzleramt hat, ist übrigens eine Frage, die bislang niemand gestellt hat. Ob das Bemühen, vom Mord an Daniel Hillig abzulenken, zu fieberhafter Suche und hoffnungsfrohem Finden des Videos geführt hat, oder direkte Verbindungen zwischen Antifa und Regierungssprecher bestehen, ist eine weitere der ungeklärten Fragen.

Wie dem auch sei, das Video, das Antifa Zeckenbiss ins Bundeskanzleramt durchgereicht hat, es zeigt nicht, was alle Linken sehen wollten. Es zeigt mit Sicherheit keine Hetzjagd, und es zeigt schon gar keine Aggression, die von den Teilnehmern der Demonstration ausgegangen ist. Roland Tichy hat schon vor einiger Zeit die Autoren des Videos ausfindig gemacht und die genauen Hintergründe seiner Entstehung recherchiert,

Alexander Wendt, der Betreiber von Publico, hat dies einmal mehr zum Anlass genommen, um festzustellen, was mittlerweile unstreitig ist: In Chemnitz hat es keine Hetzjagden auf Ausländer gegeben. Was es in der Nachfolge des Mordes an Daniel Hillig gegeben hat, ist eine Kampagne, deren Ziel wohl darin bestand, die Realität auf den Kopf zu stellen und Chemnitz zum Wallfahrtsort für diejenigen zu machen, die ihren Lebenssinn aus dem Kampf gegen rechts gewinnen und dabei nie über die Konstruktion einer sozialen Identität hinausgekommen sind.

Bei Wendt kann man seine Anstrengungen, Licht in die Hetzjagd-Saga zu bringen, nachlesen und vor allem kann man nachlesen, was der Deutsche Presserat zur Hetzjagden-Berichterstattung zu sagen hat, also jenes Organ, dessen Aufgabe nach eigener Bekundung darin besteht, die Einhaltung des Pressekodex zu überwachen, jenes Pressekodex, dessen Ziffer 2 mit „Sorgfalt“ überschrieben ist:

„Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.“

Offenkundig hat man im Presserat Böcke zur Gärtnern gemacht, denn wie Alexander Wendt berichtet, schreibt der Presserat in seinem Jahresbericht stolz, dass „zahlreiche Beschwerden zu den Themen Migration und Rechtsradikalismus – beispielsweise zur Berichterstattung über die rechtsgerichteten Ausschreitungen im August 2018 in Chemnitz“ eingegangen seien: “Einige … Leser bezweifelten, dass es dort tatsächlich zu Hetzjagden gekommen sei, über die viele Medien berichtet hatten“. Und natürlich hat der Presserat diese unbegründeten Beschwerden zurückgewiesen.

Wir haben in der Datenbank des Presserates nach der Beschwerde und der Begründung für ihre Zurückweisung gesucht.

Hier ist beides:

“Hetzjagden auf Menschen in Chemnitz?

Chefredakteur einer örtlichen Zeitung spricht von zynischer Debatte

Entscheidung: unbegründet

Ziffer: 2

Eine Regionalzeitung überschreibt ihre Online-Berichterstattung in mehreren Fällen mit dem Titel „Menschenjagd in Chemnitz“. Ein Leser der Zeitung kritisiert, dass in den entsprechenden Artikeln behauptet werde, es habe in Chemnitz „Hetzjagden auf Ausländer“ gegeben. Dies stelle einen Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex dar. Der Chefredakteur einer Chemnitzer Zeitung habe im Deutschlandradio erklärt, „Hetzjagden“ hätten seine Reporter nicht beobachtet. Er könne nur mit Abstrichen bejahen, dass überregionale Medien das Geschehen in der Stadt so abgebildet hätten. Es habe nur vereinzelte Angriffe auf Migranten, Polizisten und Linke gegeben. Das habe mit Hetzjagden nichts zu tun gehabt. Den gleichen Standpunkt habe die sächsische Generalstaatsanwaltschaft vertreten. Auch in den Berichten der Chemnitzer Polizei gebe es keine Hinweise auf Hetzjagden. Der Chefredakteur der Zeitung teilt mit, die beanstandeten Überschriften und Texte würden den aktuellen Stand der Erkenntnisse korrekt und angemessen wiedergeben. Ein Kodex-Verstoß liege deshalb nicht vor. Das Thema habe zu einer breiten Diskussion geführt. Sie habe sich in der zynischen Debatte erschöpft, wie viele Menschen wie lange und wie weit von wieviel anderen Menschen gejagt oder nur verfolgt werden müssen, um von Hetzjagd oder Menschenjagd zu sprechen. Selbstverständlich – so der Chefredakteur – verbiete es sich, bei den Vorgängen in Chemnitz von einem „Pogrom“ zu sprechen. Das habe die Redaktion an keiner Stelle getan. Das Sachsens Ministerpräsident dieses Wort benutze, könne seiner Redaktion nicht angelastet werden. Nicht zuletzt gebiete es ihre journalistische Pflicht, den Berliner Regierungssprecher Seibert korrekt wiederzugeben, wenn er von „Hetzjagd“ spreche. Der Beschwerdeausschuss erkennt keinen Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex. Die Beschwerde ist unbegründet. Wie auch immer man die Vorfälle in Chemnitz bezeichnet, ob als “Jagdszenen“ oder „Hetzjagden“ – dass Menschen von anderen Menschen durch Chemnitz gejagt wurden, ist von Beobachtern mehrfach bestätigt worden. Darunter war auch die Chemnitzer Oberbürgermeisterin, die wörtlich zum MDR gesagt hat: „Dass es möglich ist, dass sich Leute verabreden, ansammeln und damit ein Stadtfest zum Abbruch bringen, durch die Stadt rennen und Menschen bedrohen – das ist schlimm.“ Der Begriff „Hetzjagd“ ist aus Sicht des Beschwerdeausschusses also weder falsch noch missverständlich, sondern eine zulässige Beschreibung der Vorgänge.”

Soll man sich nun vor Lachen biegen oder vor Weinen die Haare raufen? Das Gremium dessen Aufgabe darin besteht, unter anderem auf die Einhaltung von Ziffer 2 „Sorgfalt“ des Pressekodexes zu bestehen, jene Ziffer, die Recherche zum unverzichtbaren Instrument journalistischer Sorgfalt macht, wendet eben diese Sorgfalt in seinen eigenen Entscheidungen nicht an. Sich ausgerechnet auf eine Oberbürgermeisterin zu berufen, die in Fußgängerzonen Rollstuhlfahrer übersieht, und die ihrerseits – wie das Zitat deutlich macht – keinerlei Information aus erster Hand hat, ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten. Die Idee, dass es journalistische Arbeit sein könnte, wie Tichy das getan hat, vor Ort, Achtung: AUGENZEUGEN und nicht politische Interessenvertreter zu befragen, kommt den Presserats-Grufties, die lauteren Journalismus wohl zugunsten von Haltungsjournalismus beerdigen wollen, gar nicht. Stattdessen versuchen sie die Frage, ob Hetzjagden stattgefunden haben, zu einer Frage des sprachlichen Stils zu verzerren und neben der Recherche ein weiteres ihrer Handwerkszeuge, die klare und exakte Verwendung der Sprache zu entwerten.

Wenn man bis heute dachte, der Deutsche Presserat sei ein Papiertiger, dann muss man sich korrigieren, der Deutsche Presserat ist ein marionettierter Witz, ein schlechter obendrein. Die Chemnitz-Inszenierung, die aus einem Mord ausländerfeindliche Ausschreitungen gemacht hat, kann somit wie folgt abgeschlossen werden:

Hetzjagden haben nie stattgefunden. Presseberichte, die dennoch von Hetzjagden sprechen, sind nach Ansicht des Presserates nicht zu beanstanden, denn irgendwie ist doch jede Form von Rennen eine Hetzjagd, oder?

Das Video, das durch alle Medien gegangen ist, zeigt keine Hetzjagd und keine von Demonstranten ausgehende Aggression. Es zeigt vielmehr Asylbewerber, die Demonstranten provozieren.

Berufs-Aktivisten, Antifanten, Journalisten, Pressesprecher, Politiker, die Bundeskanzlerin haben Informationen, die sie vom Hörensagen kannten, ungeprüft übernommen, um eine Erzählung zu inszenieren, von der man annehmen muss, dass sie in voller Absicht und in dem Bemühen, vom Mord an Daniel Hillig abzulenken, inszeniert wurde.

Die meisten Medienvertreter haben nicht recherchiert, sondern das geschrieben, was ihnen ideologisch in den Kram gepasst hat. Die Chemnitzer Freie Presse, deren Chefredakteur, Thorsten Kleditzsch, als einer der wenigen der Erzählung von den angeblichen Hetzjagden entgegen getreten ist, mit der oben zitierten Bemerkung, dass seine Journalisten, die vor Ort waren, keine entsprechende Beobachtung gemacht hat, ist hier eine Ausnahme.

Der Presserat deckt das Verhalten der meisten Medienvertreter, das eindeutig gegen Ziffer 2 des Pressekodex verstößt und ist offenkundig der Ansicht, dass unbekannte Beobachter, die eine Hetzjagd gesehen haben wollen oder die Chemnitzer Oberbürgermeisterin, der etwas erzählt wurde, geeignetere Zeugen, wenn auch nicht Augenzeugen sind, als die Augenzeugen aus der Redaktion der Freien Presse in Chemnitz, auf die sich deren Chefredakteur bezogen hat.

Wenn so viel Aufwand betrieben wird, um eine Lüge am Leben zu erhalten, dann muss man sich nicht mehr fragen, ob korrekte und zutreffende Berichterstattung das Ziel der meisten deutschen Medien und des Presserats ist.

Man weiß nun, dass es das nicht ist.


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