Nationalsozialisten sind eben auch Sozialisten: Enteignung und Eigentum

Von wem, so haben wir am 4. Mai gefragt, stammt das folgende Zitat:

„Wir sind Sozialisten, Feinde, Todfeind des gegenwärtigen kapitalistischen ökonomischen Systems mit seiner Ausbeutung der ökonomisch Schwachen, mit seiner unmoralischen Bewertung von Individuen nach Reichtum und Geld anstelle von Verantwortung und Leistung, und wir sind unter allen Umständen entschlossen, dieses System abzuschaffen!“

612 Leser haben sich an unserem kleinen Rätsel versucht, 215 haben richtig getippt. Das Zitat stammt von Gregor Strasser, seines Zeichens NationalSOZIALIST, den sein „Führer“ in der Nacht der Langen Messer hat ermorden lassen.

Das Zitat macht deutlich, dass der Sozialismus nicht umsonst hinter dem „National“ steht. Nicht nur Strasser, auch Hitler war ein begeisterter Sozialist:

„Wer bereit ist, für sein Volk so vollständig einzutreten, dass er wirklich kein höheres Ideal kennt, als nur das Wohlergehen dieses seines Volkes, wer unser großes Lied, ‚Deutschland, Deutschland über alles‘ so erfasst hat, dass nichts auf der Welt ihm höher steht als dieses Deutschland, Volk und Land, Land und Volk, der ist ein Sozialist“.

Das hat Hitler 1922 anlässlich einer Rede in München verkündet.

Auch das „Parteiprogramm“ der NSDAP, also die 1920 verkündeten 25-Punkte, trägt sehr deutliche sozialistische Züge. So steht in den Punkten 13 und 14:

“13. Wir fordern die Verstaatlichung aller (bisher) bereits vergesellschafteten (Trust) Betriebe.

14. Wir fordern die Gewinnbeteiligung an Großbetrieben.”

Auch über Punkt 17 hätten sich Nationalsozialisten und Kommunisten sicher nicht gestritten:

17. Wir fordern eine unseren nationalen Bedürfnissen angepaßte Bodenreform, Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke. Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeder Bodenspekulation.

Wie so oft scheinen zwischen dem Programm und der Realität, wie sie sich nach der Machtergreifung 1933 eingestellt hat, Welten zu liegen, denn die Nationalsozialisten haben die bürgerliche Eigentumsordnung beibehalten, jedenfalls auf den ersten Blick.

Auf den zweiten Blick gibt es eine Vielzahl von Regelungen und Gesetzen, die dafür sorgen, dass im Dritten Reich, wie in jedem sozialistischen System, Eigentum unter Vorbehalt steht und jederzeit enteignet werden kann, ja, es gibt sogar eine nationalsozialistische Eigentumstheorie, von der man den Eindruck hat, sie ist heute in Teilen der SPD wiederentdeckt worden.

Es beginnt damit, dass im Nationalsozialismus Eigentum unter den Vorbehalt der Gemeinnützigkeit gestellt wurde. Eigentümer hatten in der Nationalsozialistischen Eigentumstheorie und in der Praxis des Dritten Reiches keinen Rechtsanspruch auf ihr Eigentum, sie waren vielmehr Inhaber einer „volksgenössischen Rechtsstellung“, d.h. Eigentum war ihnen nur „zugewiesen“, und zwar zum „eigenverantwortlichen und sachgerechten Verfahren“, wie es Franz Wieacker, der Chefideologe in Sachen Eigentum der Nationalsozialisten formuliert hat. Konsequenz dieser Auffassung von Eigentum war, dass es jederzeit enteignet werden konnte, wenn es nicht mit den Zielen nationalsozialistischer Herrschaft vereinbar war. Eigentum wurde dadurch vom Rechts- zum politischen Gegenstand degradiert, deutlich darin, dass Enteignungen in der Regel ohne richterliche Beteiligung vorgenommen wurden.

Die rechtlichen Voraussetzungen wurden bereits im Februar 1933 mit der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ (Reichstagsbrandverordnung) geschaffen, in der die Garantie des Eigentums durch den Staat zusammen mit etlichen Grundrechten aufgehoben wurde.

Dies alles hatte zur Folge, dass Eigentum enteignet werden konnte, wenn es nicht den Vorstellungen der Nazis von einer „Gemeinschaftsbindung des Eigentums“ entsprach. Mit die ersten, die das zu spüren bekamen, waren die Bauern. Mit der Erbhofgesetzgebung wurde ihre Existenz unter das Damoklesschwert der „ordnungsgemäßen Bewirtschaftung“ gestellt. Bewirtschaftete ein Bauer seinen Hof nicht „ordnungsgemäß“, jedenfalls nach Ansicht der zuständigen NSDAP-Parteileitung, dann konnte er enteignet, die Bewirtschaftung des Hofes seinem Bruder, Enkel, Neffen oder Dritten übergeben werden.

Auch Regimegegner haben schnell bemerkt, dass im Nationalsozialismus Eigentum nicht mehr garantiert wird. Sie wurden rigoros enteignet. Waren sie Unternehmer, wurden ihre Unternehmen vom Staat weitergeführt. In gewisser Weise als Ironie der Geschichte waren Kommunisten die ersten, die von Nationalsozialistischer Enteignung getroffen waren.

Auch die ab 1938 durchgesetzte Arisierung jüdischen Besitzes zeigt, dass die Nationalsozialisten kein privates Eigentum anerkannten, sondern im Eigentum ein vom Staat zugewiesenes und entsprechend vom Staat jederzeit wieder entziehbares Objekt sahen.

Deutlich zu spüren bekamen dies auch Unternehmer, die nicht nur durch die staatliche Festsetzung der Löhne und Arbeitsbedingungen und die Kontrolle der Rohstoffe durch den Staat in Abhängigkeit gebracht wurden. Vor allem mittelständische Unternehmer und Handwerker wurden zum Opfer einer Form betriebswirtschaftlichen Sozialdarwinismus, der vorsah, Unternehmen, die nicht erfolgreich geführt wurden, Handwerksbetriebe, die nicht das vorgegebene Maß an Effizienz erreichten, zu schließen bzw. aus der Handwerksrolle zu streichen. Als Folge sankt die Anzahl z.B. der Handwerksbetriebe von 1,5 Millionen, die es noch 1934 gab auf 870 000 im Jahr 1944. Martin Busse, einer der nationalsozialistischen Wirtschaftsideologen, hat dies wie folgt auf den Punkt gebracht: „Das Unternehmen … ist Leistungsträger in der Volkswirtschaft. Von dieser Seite her ist es Träger öffentlicher Pflichten und hat öffentliche Anforderungen zu erfüllen“ (Busse zitiert nach von Brünneck 1979: 168).

Diese Definition der Aufgaben von Unternehmen hat heute eine Vielzahl von Anhängern, die nicht einmal in ihren schlimmsten Träumen ahnen, wie sehr sie sich auf einer Linie mit der Praxis im Nationalsozialismus befinden.

Auch die Sehnsucht nach Enteignung, die manche heute wieder haben, ist ein nationalsozialistisches Erbe:

„Darüber hinaus erließ die nationalsozialistische Regierung eine große Zahl neuer förmlicher Enteignungsgesetze zur Landbeschaffung für Zwecke der Rüstung, der Wirtschaftsförderung, des Wohnungswesens und Städtebaus, der Landwirtschaft und des Naturschutzes, der Verkehrs und der Energiewirtschaft“ (von Brünneck 1979: 157).

Die Kontinuität des Nationalsozialismus in die Begehrlichkeiten, die linke Parteivertreter heute wieder formulieren, ist offenkundig.

Fassen wir zusammen:

  • Die Nationalsozialisten haben die Garantie des Eigentums, die die Weimarer Verfassung in ihrem Artikel 153 festgeschrieben hatte, aufgehoben.
  • Eigentum wurde unter den Vorbehalt der Gemeinschaftsbindung, heute würde man der Gemeinnützigkeit sagen, gestellt.
  • Politische Gegner (ab 1933) und Juden (ab 1938) wurden rigoros enteignet.
  • Bauern, die ihren Hof nicht ordnungsgemäß bewirtschafteten, wurden enteignet.
  • Unternehmer und Handwerker, die ihr Unternehmen oder Handwerk nicht effizient betrieben haben, wurden enteignet.
  • Was als ordnungsgemäße Bewirtschaftung und effizienter Unternehmensbetrieb galt, war eine politische Frage.
  • Die deutsche Wirtschaft war im Dritten Reich durch eine Konzentration gekennzeichnet. Kleine und mittlere Betriebe wurden aus dem Markt gedrängt, große Unternehmen blieben übrig.
  • „Mit der Gesetzgebung zum Vierjahresplan wurde schließlich 1936 der Versuch zu einer systematischen Steuerung des gesamten Wirtschaftskreislaufs im Sinne der nationalsozialistischen Politik gemacht“ (von Brünneck 1979: 162).

Die Unterschiede zwischen der Wirtschaftsordnung im Nationalsozialismus und der Wirtschaftsordnung, wie man sie in der DDR oder der Sowjetunion findet, sind eher marginal.

  • In allen drei Systemen beherrschen große Unternehmen, die weitgehend bis vollständig der Kontrolle des Staates unterliegen, die Wirtschaft.
  • In allen drei Systemen steht privates Eigentum unter dem Vorbehalt des Staates.
  • In allen drei Systemen ist eine Enteignung keine rechtliche, sondern ein politische Entscheidung.
  • In allen drei Systemen wird der gesamte Wirtschaftskreislauf durch staatliche Wirtschaftspläne gesteuert.
  • In allen drei Systemen üben die Staaten die Kontrolle über Rohstoffe aus, setzen die Höhe der Löhne fest und bestimmen die Arbeitsbedingungen.

Fazit: Entweder Stalin war ein Rechter oder die Nationalsozialisten sind Sozialisten im eigentlichen Sinne des Wortes.


Brünneck, Alexander von (1979). Die Eigentumsordnung im Nationalsozialismus. Kritische Justiz 12(2): 151-172


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