„Wertegemeinschaft“ EU: Beim Geld hört die Inszenierung auf

Oder: Werte muss man sich leisten können!

Die Gemeinschaft der Menschen, basierend auf geteilten Werten, Friedensstifter und Friedens-Nobelpreisträger, Harmonisierer und Förderer der wirtschaftlichen Entwicklung, Schützer der Menschenrechte, Bekämpfer von Hate Speech, großzügiger Subventionierer der Agrarwirtschaft, Hort der Aufrechten, Freund der Schwachen, Beschützer der Entrechteten und Kämpfer für die Gerechtigkeit, Hort der gerechten Löhne, Hort der fairen Wirtschaft, Hort des nachhaltigen Lebens, sozialer Aufzug der nicht Gleichgestellten …

Hervorragendes Werkzeug, um die EU-PR-Arbeit zu analysieren.

Sollen wir die Superlative noch fortführen?

Ist doch längst klar, dass hier die Europäische Gemeinschaft beschrieben wird. Nicht wie sie ist, mehr wie sie in Sonntagsreden von Politikern erscheint, mehr, wie sie „den Menschen“ vermittelt werden soll.

Worum es bei einer Organisation tatsächlich geht, das bemerkt man oft erst, wenn der gut gehütete Kern, das, was man als die selbstverständliche Prämisse der Existenz bezeichnen könnte, das, worüber Stillschweigen vereinbart ist und komfortable Gewissheit und ein ebensolches Auskommen herrscht, in Frage gestellt wird. Wenn einer nicht mehr nach den Regeln spielt, die vereinbart wurden, um nach außen den Eindruck zu erwecken, der erweckt werden soll, wenn einer aus dem Nähkästchen plaudert oder sich die Tatsache, dass der „gehütete Kern“ vor der Welt verheimlicht werden soll, zunutze macht.

Dann gehen Zeter und Mordio los.

Dann, wenn ein Mitglied der Mafia die Mitglieder des Führungszirkels verrät und dem Chefermittler der italienischen Strafverfolgungsbehörden mit seiner Aussage Material liefert, um Klage zu erheben.

Dann, wenn ein Insider des Vatikans über die Geschäftspraktiken der Vatikanbank Unappetitliches zum Besten gibt und denselben Strafverfolgungsbehörden des selben Landes Material liefert, um Klage zu erheben.

Oder dann, wenn ein Politiker sich das zunutze macht, worüber Stillschweigen vereinbart wurde, was der Öffentlichkeit, der man die schöne heile Welt der Europäischen Eintracht und Wertegemeinschaft, der Friedenssicherung und der fröhlichen Kindergesichter vor-inszeniert, vorenthalten werden soll, wenn einer vor die Fassade der öffentlichen Inszenierung tritt und etwas von Backstage zum Besten gibt.

Dann gehen Zeter und Mordio überraschenderweise auf der Vorderbühne los – um mit Goffmann zu sprechen.

Dann will Boris Johnson die EU erpressen, einmal in der WELT und einmal beim ORF.

Dann droht Boris Johnson Brüssel damit, die britische Rechnung nicht zu bezahlen.

Dann gibt es die „Drohung des Brexit-Hardliners“, der die Zahlungen an Brüssel zurückhalten will.

Die Überschriften sind das, was die jeweiligen Redakteure bei den verschiedensten Medien dem Text angefügt haben, den sie von dpa geliefert bekommen haben. An der Wortwahl kann man erkennen, wie sehr die Ankündigung, richtig verhandeln zu wollen, denn nichts anderes hat Boris Johnson geäußert, die Schweigegemeinschaft derer aufgeschreckt hat, die nach außen erzählen, bei der EU ginge es darum, Menschenrechte und Frieden zu sichern und wissen, dass es nicht um den schönen Schein der wohlklingenden Worte, sondern um GELD geht, um GELD, das man als politischen Gefallen an die Meute der Feministen verteilen kann, damit sie nicht keifend durch Straßen ziehen, GELD, das man für Lieblingsprojekte ausgeben kann, wie den Bau von großartigen Windparks und zukunftsweisenden neuen Straßen, oder, nicht zu vergessen, GELD, mit dem man eine marode Agrarindustrie vom Weltmarkt abschotten und die EU-Bürger gleich doppelt für hohe Preise und Subventionen bezahlen lassen kann. Ja, die EU, sie ist für viele Gruppen zur Quelle geworden, aus der sie ihren Finanzbedarf decken, vor allem für viele der sogenannten NGOs, die sich besser in EUGOs umbenennen würden, ehrlicher wäre es alle Mal.





Während die Überschriften zeigen, wie leicht es ist, mit einer kleinen Bemerkung, den behaglichen Frieden in deutschen Redaktionen zu zerstören, zeigen manche Leserkommentare, wie gut es deutschen Medien gelungen ist, ein Zerrbild der Realität zu zeichnen:

„Ja klar, dieser EU-Hasser, dieser blonde Wischmop Johnson und natürlich dieser mittlerweile desaströse US-Präsident Trump bilden hier eine Allianz, ja man muss es schon so sagen “des Bösen”, die nur noch Unfrieden in der Welt und jetzt natürlich für die EU bedeutet,
Es ist ja schon lange bekannt, daß Trump die EU nicht mag und deren Zerfall, wie eben jetzt mit GB, sogar noch fördert.
Klar ist doch auch, das war doch immer schon so, daß wir alle uns, also die EU nach den Regeln der Briten zu richten haben und jetzt die Regeln für den ungeregelten BREXIT selbst bestimmen wollen.
Die Zeit ist reif und man kann es wirklich kaum noch hören, lesen oder gar ertragen, England raus aus der EU! Auch wenn es wirtschaftliche Nachteile bringen sollte, aber genug ist genug!“

Das schreibt einer, der sich Konstabler 41 nennt, bei der Rheinischen Post. Es ist ein Kommentar, der insofern bezeichnend ist, als er die verbreitete Unfähigkeit, die Position anderer auch nur für legitim zu erachten, gut auf den Punkt bringt. Wo man Argumente erwartet, findet man Feindbilder. Wo man Fakten benötigen würde, um zu argumentieren, finden sich Gefühle und alles ist in die wohltuende Watte der vollkommenen Unkenntnis verpackt. Wie leicht es doch ist, Menschen, deutsche Menschen (oder deutsche Trolle?), die ihre Unkenntnis durch Emotion ersetzen, zu manipulieren.

Wie sehr manche Europäer in einer Blase aus Schein-Welt und Wunschvorstellung zu leben scheinen, in der sie noch nie etwas von China oder Indien gehört zu haben scheinen, geschweige denn davon, dass die USA unter Trump ihre Wirtschaft in allen Bereichen aus dem Obama-Loch herausgeholt haben, zeigt der Kommentar von Lahmarr, der wie ein Beschwörungsritual wirkt:

“@Konstabler 41:

Teile und Herrsche halt.
Die EU ist größer und reicher, weniger verschuldet, moderner und sozialer, und auf der ganzen Welt weit weniger verhaßt als das Imperium USA, daher seine Abneigung (obwohl er die Hälfte davon nicht in seinen narzisstischen Schädel kriegen wird, und die andere Hälfte mit seinem soziopathischen Charakter als Schwäche auslegen wird).”

Nur als kurze Anmerkung: Wenn die EU all das ist, warum haben es dann Bürger der EU, wie Lahmarr notwendig, mit Beleidigungen und Hass auf Menschen zu reagieren, von denen nach ihrer eigenen Ansicht doch gar keine Gefahr drohen kann?

Wir haben schon wiederholt darauf hingewiesen, dass es keine £39 Milliarden Schulden gibt, die das Vereinigte Königreich bei der EU hat. Die Phantasiesumme ist als solche Bestandteil des Withdrawal Agreements, und das Withdrawal Agreement ist, wie mittlerweile auch dem letzten Troll bekannt sein sollte, nicht ratifiziert. Insofern handelt es sich um einen Vorschlag, den Theresa May für die EU dem House of Commons vorgelegt hat und mit dem sie dort baden gegangen ist. In einem rechtlichen Gutachten, das im House of Lords erstellt wurde, wird zudem bestätigt, dass es keinerlei Verpflichtung Britanniens gibt, nach einen Hard Brexit irgendwelche Zahlungen an Brüssel zu leisten. Offensichtlich kann man das nicht oft genug schreiben.

Jenseits davon ist es natürlich in höchstem Maße kindisch aufzuschreien, wenn man plötzlich mit jemandem konfrontiert ist, der tatsächlich zu verhandeln gedenkt. Unter einer Verhandlung versteht man gewöhnlich einen verbalen Austausch, in dem beide Seiten versuchen, ein Verhandlungsergebnis zu erreichen, mit dem sie leben können. Es sollte „in Brüssel“ zwischenzeitlich klar geworden sein, dass das vermeintliche Verhandlungsergebnis, das Withdrawal Agreement genannt wird, im Vereinigten Königreich KEINE Zufriedenheit, sondern im Gegenteil, Ärger, Empörung und letztlich das Ende von Theresa May zur Folge hatte. Ein mit Maturität ausgezeichneter Verhandlungsführer würde in einer solchen Situation schon deshalb damit rechnen, dass die Gegenseite eine neue Verhandlungsrunde einläutet und dabei die eigene Verhandlungsmasse einsetzt, weil das Diktat, das Theresa May devot entgegengenommen und dem House of Commons präsentiert hat, als solches aufgeflogen ist.

Das, was nun folgt, nennt man im Englischen Hard Bargaining. Es ist ein normaler Prozess unter denen, die in der Kunst der Verhandlung bewandert sind. Nur in den Redaktionsräumen Deutschlands und Österreichs scheint man noch nie etwas davon gehört zu haben. Das wäre, träfe es zu, bezeichnend. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die inszenierte Empörung, die man nun genießen kann, einmal mehr dazu dient, dass Bild der guten und gerechten EU zu inszenieren, der EU, die in aller Redlichkeit mit dem Vereinigten Königreich Verträge geschlossen hat, Verträge, die ein Entgegenkommen der EU an das Vereinigte Königreich darstellen und nun von dem bösen Boris ignoriert werden, nicht das Bild der EU, die zwei Jahre versucht hat, das Ergebnis des Referendums zu unterlaufen, den Brexit zu verunmöglichen, am besten auszusitzen und die Kosten für das Vereinigte Königreich so hoch zu setzen, dass der Brexit letztlich verhindert werden kann.

Es gibt also die frei erfundene und faktenfreie Erzählung, die den Bürgern in Europa vermittelt werden soll. Und wie man an dem Kommentar von Konstabler 41 und einige anderen sehen kann, scheint es bei den besonders Naiven (sofern sie keine Trolle sind) auch zu funktionieren, und es gibt die Realität.

Ein Tummelplatz für besonders Naive, die sich für links halten, ist auch Twitter. Wohl deshalb hat Guy Verhofstadt, der Vorsitzende der Fraktion im Europaparlament, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen ein „Liberal“ in der Bezeichnung führt, Twitter gewählt, um den folgenden Tweet abzusetzen:

Es ist kaum zu erwarten, dass Verhofstadt eine Befragung unter allen britischen Anwälten durchgeführt hat. Seine Behauptung, fast alle britischen Anwälte würden dem widersprechen, was Boris Johnson angekündigt hat, ist also schon aus logischer Sicht Quatsch. Sie ist darüber hinaus formaler Quatsch, denn die Frage, ob die Zahlungen an Brüssel auf den Weg gehen oder nicht, ist eine politische Frage. Wie in den meisten Demokratien, so ist auch in Großbritannien das Parlament Legislative und somit der Ort, an dem über diese Frage entschieden wird. Dass er das nicht weiß, kann man Verhofstadt indes nicht vorwerfen. Er ist Abgeordneter im Europäischen Parlament, in einem Schein-Parlament, dessen Mitglieder nicht einmal in die Nähe der Befugnisse kommen, die ihre Kollegen in nationalen Parlamenten haben, trotz der gerade so aufwendig inszenierten Wahl für dieses Schein-Parlament. Woher sollte er also wissen, dass in einer Demokratie Gesetze und das Withdrawal Agreement, dessen Bestandteil die „Divorce Bill“ von 39 Milliarden ist, ist ein Gesetzesvorschlag, im Parlament verabschiedet werden und nicht im Ministerrat und unter Umgehung des Parlaments?

Und letztlich muss man fast Mitleid haben, mit dem Hühnerhaufen, der sich plötzlich überall plustert. 39 Milliarden sind kein Pappenstil, die Verteilungskämpfe zwischen den Generaldirektionen der EU-Kommission und den die EU finanzierenden Mitgliedsstaaten kann man sich lebhaft vorstellen. Es brodelt in der EU, auch wenn die Inszenierung nach außen weiterhin in wohlklingenden Worten erfolgt, in großer Geschlossenheit und nun endlich wieder mit einem gemeinsamen Feind: Boris Johnson.
Offenkundig ist man in der EU dahingehend resigniert, dass es wohl an Johnson keinen Weg vorbei geben wird. Oder haben Sie schon einmal etwas von Dominic Raab, Jeremy Hunt, Sajid Javid, Matt Hancock, Esther McVey oder Rory Stewart gehört. Allesamt Kandidaten für den Posten des neuen Vorsitzenden der Conservative Party und damit Kandidat für das Amt des Prime Minister?


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