Parteiausschluss: Sarrazin ist (nicht die erste) SPD-Geschichte

Bei den guten Menschen der SPD knallen die Sektkorken. Nach jahrelanger Agitation und nicht nur parteiinterner Propaganda ist es gelungen, den Weg für einen Parteiausschluss von Tilo Sarrazin freizumachen. Es ist sicher kein Zufall, dass der Versuch, den das Schiedsgericht der Partei bereits zweimal abgelehnt hat, zu einem Zeitpunkt erfolgreich ist, zu dem nur noch ein harter Kern von Identitätspolitikern, die von der Geschichte der SPD nur mehr eine vage Vorstellung haben, eine ungefähr so vage Vorstellung wie davon, was eigentlich sozialdemokratische Politik sein soll, vorhanden ist.

Bei der SPD weiß man derzeit, wie in allen Organisationen, die ausschließlich mit dem Gutsein beschäftigt sind, nur noch, dass Kritik am Status Quo, Kritik an den Themen, die die gesamte Linke im Bann halten, böse ist. Konsequenterweise muss Sarrazin gehen. Die SPD, deren Mitgliederentwicklung auf den Punkt zustrebt, an dem sich Wähler und Mitglieder schneiden, wird ihm wohl über kurz oder lang auf dem Weg aus der linken Politik nachfolgen.

Indes, der Ausschluss aus einer Partei ist etwas, das zu den Rechten von Parteien gehört, immerhin sind Parteien „Parteien“, also Organisationen, die eine bestimmte Perspektive, Sichtweise, Ideologie anbieten und zu deren Recht es gehört, niemanden in ihren Reihen zu dulden, der die Parteiziele nicht teil. Das Problem eines Parteiausschlusses beginnt da, wo sich die Frage stellt, ob ein bestimmtes Mitglied die entsprechenden Ziele teilt oder nicht.

Die SPD hat dieses Problem in ihrem Organisationsstatut in Paragraph 35 Absatz 3 geregelt. Demnach gilt für einen Parteiausschluss Folgendes:

„Auf Ausschluss kann nur erkannt werden, wenn das Mitglied vorsätzlich gegen die Statuten oder erheblich gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Partei verstoßen hat und dadurch schwerer Schaden für die Partei entstanden ist. Wer aus der Partei ausgeschlossen wurde, darf nicht länger in Gliederungen und Arbeitsgemeinschaften mitarbeiten.“

Die vagen Formulierungen machen deutlich, dass hier in erster Linie eine Entscheidung aus politischem Opportunismus gefällt wird. Ein Vorsatz ist kaum nachweisbar, auch ein SPD-Schiedsgericht wird sich hier schwertun und ein „erheblicher“ Verstoß gegen die „Grundsätze oder die Ordnung der Partei“ ist eine Ermessensfrage, abermals also eine Entscheidung, die an der politischen Opportunitätsstruktur ausgerichtet wird. Und im Fall Sarrazin scheint den Genossen die Zeit wohl für einen Parteiausschluss günstig zu sein.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es nach wie vor einen Unvereinbarkeitsbeschluss im Organisationsstatut der SPD gibt:

„Unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der SPD ist die gleichzeitige Mitgliedschaft in einer anderen konkurrierenden politischen Partei oder Wählervereinigung, Tätigkeit, Kandidatur oder Unterschriftsleistung für eine andere konkurrierende politische Partei oder Wählervereinigung, Kandidatur gegen die von der zuständigen Parteigliederung bereits beschlossene Nominierung für ein öffentliches Amt oder Mandat. Entsprechendes gilt für Vereinigungen, die gegen die SPD wirken. Die Feststellung der Unvereinbarkeit trifft der Parteivorstand. Er kann die Feststellung wieder aufheben. Diese Feststellung bindet auch die Schiedskommissionen.“

Abermals steht die Entscheidung über einen Parteiausschluss unter dem Regnum des politischen Opportunismus, den dieses Mal der Parteivorstand feststellen kann.

Was die wenigsten wissen, die SPD hat eine lange Tradition von Parteiausschlüssen. Keine andere Partei hat so viele Mitglieder ausgeschlossen, wie die SPD. Wir haben eine kleine Aufstellung vorbereitet, um diese Aussage zu stützen.
Einer der ersten, die aus der SPD ausgeschlossen wurden, ist Heinrich Brandner. Er war ein Gegner der Kriegskredite und wurde 1915 ausgeschlossen, weil er sich dem Spartakusbund von Karl Liebknecht angeschlossen hatte. 1919 gehörte er dann zu den Gründungsmitgliedern der KPD.

Die gesamte Weimarer Republik hindurch hatte die SPD Probleme mit ihren linken Rand. Als Beispiel sei die Welle der Parteiausschlüsse von 1931 genannt. Unter denen, die aus der SPD ausgeschlossen wurden, waren Reichstagsabgeordnete, wie der spätere SED-Ministerpräsident von Sachsen, Max Seydewitz, oder der Herausgeber der Sozialistischen Information Walter Max Fabian. Sie wurden gemeinsam mit z.B. Helmut Wagner oder Ernst Eckstein 1931 wegen Bruchs der Fraktionsdisziplin (Sie waren gegen die SPD-Tolerierung der Präsidialkabinette Brünings) oder wegen ihrer Verquickung mit der Sozialistischen Arbeiterjugend (es galt eine Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft) aus der SPD ausgeschlossen.

Nehmen wir die Reihe der Parteiausschlüsse nach 1945 wieder auf, dann ist Ernst Tillich der erste, der auffällt. Er wurde 1952 wegen Verletzung seiner „statuarischen Pflichten“ aus der SPD ausgeschlossen. Dahinter stand, dass Tillich Vorsitzender der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit war (KgU). Die KgU versuchte, Westdeutsche, die in die Sowjetisch besetzte Zone verschleppt wurden, zu befreien.





Albert Berg wurde 1959 ausgeschlossen, weil er als Ehrengast an der Feier zum zehnjährigen Bestehen der DDR teilgenommen hatte.

Horst Mahler und Jürgen Seifert wurden 1961 wegen ihrer Mitgliedschaft im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) aus der SPD ausgeschlossen. Abermals gilt Unvereinbarkeit als Grund. Mahler hat anschließend seinen Weg zur Rote Armee Fraktion gemacht, deren Gründungsmitglied er ist.

1962 hat es Eberhard Dähne erwischt. Wieder war eine Unvereinbarkeit mit seiner Mitgliedschaft im SDS der Grund für den Ausschluss aus der SPD.

Gustav Stapp ist insofern ein interessanter Ausgeschlossener, als er in einen Strudel geraten ist, den man heute als politische Korruption bezeichnen würde. Tatort ist Dinslaken, nicht näher spezifizierte Ostkontakte waren Stapps Fahrkarte aus der SPD.
Die Probleme am linken Rand ziehen sich wie ein rotes Tuch durch die Geschichte der SPD:

Ilse Schwipper (1969), Franz-Josef Degenhardt (1971) und Richard Bünemann (1975) waren sich unklar darüber, ob sie SPD oder DKP Mitglied sein wollen. Ihre Werbung für die DKP hat man in der SPD zum Anlass genommen, die drei aus der Partei auszuschließen und somit Klarheit zu schaffen. Franz-Josef Degenhardt hat diese Erfahrung dann musikalisch verarbeitet.

Zwischenzeitlich war die SPD Regierungspartei geworden und damit kamen ganz neue Kriterien für einen Parteiausschluss, das parteischädigende Verhalten zum Beispiel. 1972 traf es Günter Müller, einen Gegner der Ostpolitik von Willy Brandt, der am Misstrauensvotum der Unionsparteien teilgenommen hat.

1975 wurde Christoph Butterwegge, der bis heute seine linke Ausrichtung, die schon 1975 für die SPD zu weit links gewesen zu sein scheint, obwohl die Umstände des Parteiausschlusses von Butterwegge, wenn man seine eigene Erzählung davon einmal außen vor lässt, eher nebelig sind, zum Hindernis seiner SPD-Parteimitgliedschaft.

1978 sind wir zurück beim normalen Ausschlussgrund: Gerhard Kade wird wegen seiner Mitarbeit in einem kommunistischen Komitee ausgeschlossen.

1980 gibt es dann eine neue Form des parteischädigenden Verhaltens, das öffentlich bekannt wird: Rudolf Kaffka wird ausgeschlossen, weil er Steuermittel für „politische Bildungsarbeit“ erschwindelt hat. Eine Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Betrugs zeugt davon.

Der NATO-Doppelbeschluss unter Helmut Schmidt bringt die Probleme, die die SPD schon immer mit ihrem linken Rand hatte und den Aufstand gegen die Fraktionsdisziplin zusammen: Karl-Heinz Hansen wird wegen seiner Ablehnung des NATO-Doppelbeschlusses und seines Abstimmungsverhaltens im Bundestag aus der SPD ausgeschlossen. Manfred Coppik tritt aus Solidarität mit Hansen aus der SPD aus. Berühmt wurde Hansen damals mit seiner Aussage, dass die Verteidigungspolitik der SPD-geführten Regierung „eine Art Geheimdiplomatie gegen das eigene Volk“ darstelle.

1983 wird mit Arnulf Baring ein High-Profile Mitglied aus der SPD ausgeschlossen. Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Baring, der sich vor allem mit der Untersuchung der Außenpolitik unter Konrad Adenauer einen Namen gemacht hat, kann es verschmerzen. Offizieller Grund für den Ausschluss von Baring: Dessen Unterstützung für Hans-Dietrich Genscher im Wahlkampf.

1985 trifft der Ausschluss den ehemaligen Juso-Vorsitzenden Edgar Förster, 1990 wird Jakob Moneta zum Ex-Mitglied, beide sind der SPD zu weit links und zu intim mit denen, die links der SPD zu finden sind. Moneta bestätigt diese Sichtweise durch seinen Eintritt in die PDS.

Ibrahim Böhme. Wer erinnert sich noch an Ibrahim Böhme, den Mann, der die Volkskammerwahl, die alle Demoskopen als ausgemachte Sache für die SPD angesehen haben, dennoch verloren hat? Nun, Böhme musste 1992 gehen. Er war ein Stasi-Mitarbeiter, wie sich herausgestellt hat. Damals war eine Tätigkeit für die Stasi und eine hervorgehobene öffentliche Position noch ein Grund für Parteiausschluss, heute ist es nicht einmal mehr ein Grund dafür, üppige staatliche Finanzierung zu verweigern.

Wir springen über die Jahre bis 2004 und vernachlässigen u.a. das lokale Ausfleddern der SPD, wie es sich am Ausschluss von Wolfgang Werner zeigt. Klaus Ernst, Thomas Händel, Anny Heike, Gerd Lobbodda, Peter Vetter und einige mehr werden 2004 ausgeschlossen. Sie sind der LINKE zu nahe gekommen.

2007 gibt es dann ein Novum. Cornelia Gödecke wird aus der SPD ausgeschlossen. Grund: Als Geschäftsführer von Radio Königs-Wusterhausen hat sie Werbung für Thor Steinar zugelassen. Die SPD beginnt sich ideologisch in Lächerlichkeit zu schließen.

Detlev von Larcher wirbt für die LINKE und wird 2008 ausgeschlossen. Bülent Ciftlik, der Obama von Hamburg, wird 2010 ausgeschlossen, weil ihm mehrfach der Prozess gemacht wurde, von der Staatsanwaltschaft, und unter anderem wegen der Vermittlung von Scheinehen und Manipulation von Briefwahlunterlagen.

Karl Heinz Funke tritt 2011 als Spitzenkandidat der Wählergruppe „Zukunft Varel“ an. Der Ausschluss aus der SPD folgt prompt. Dass Funke Bundesernährungsminister unter Gerhard Schröder war, hat seinen Ausschluss vermutlich beschleunigt.
Und nun wird es Thilo Sarrazin treffen.

Neu am Fall von Sarrazin ist, dass sich die SPD plötzlich mit Mitgliedern konfrontiert sieht, die für die neue MehrheitsSPD zu weit rechts sind. Das ist neu und ein Beleg dafür, dass die SPD nach links gerückt ist, denn, man kann sicher sein, unter Willy Brandt, Helmut Schmidt, unter Hans-Jochen Vogel oder selbst Gerhard Schröder hätte kein Sozialdemokrat an dem, was Sarrazin geschrieben und gesagt hat, Anstoß genommen. Dass dies heute anders ist, zeigt, wie sehr, die SPD an den linken Rand gewandert ist. Dort, indes, gibt es schon eine gewisse Klumpung von Parteien, weshalb man wirklich kein Hellseher sein muss, um festzustellen, dass die SPD ein Auslaufmodell ist, ein Präteritum von morgen.


 

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