Dünne Luft: Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein seltenes Gut

Ausgerechnet bei der BILD-Zeitung scheint man die Meinungsfreiheit als wichtiges zu schützendes Gut entdeckt zu haben. Anlass sind je eine Umfrage von Allensbach und Infratest. Befragte von Allensbach geben zu 78% an, dass man zu bestimmten Themen seine Meinung nicht oder nur mit Vorsicht äußern könne. Befragte von Infratest, sächsische Befragte, äußerten sich ähnlich, so die BILD-Zeitung.

In der Karikatur Die gute Presse von 1847 aus unbekannter Feder steht der Krebs für Rückschritt, der Spiegel des Krebses für die Rückwärtsgewandtheit, der Maulwurf für Blindheit, Kerzenlöscher für Dunkelheit, die Schere und Stift für Zensur, die Rute für Drangsal, die Augen für Überwachung, die Kinder für den bevormundeten Bürger, der Schafskopfspolizist für die Dummheit der Staatsmacht und der Spitz für die Spitzelei. Die Karikatur erschien in der Zeitschrift LeuchtturmWie steht es um die Meinungsfreiheit in Deutschland?

Schlecht sagt Werner J. Patzelt, oft für seine Aussagen geprügelt und somit einer, der es wissen muss, nicht zuletzt, weil ihn seine praktizierte Meinungsfreiheit ein Auto gekostet hat:

„Natürlich kann man in Deutschland seine Meinung frei äußern. Man hat aber mit sozialen Folgekosten zu rechnen, die sehr hoch sein können.“ Viele zögen deshalb „das Beschweigen ihrer Meinung dem Reden vor. Das freut zwar jene, die unerwünschte politische Positionen verstummen lassen wollen, (…) am Wahltag rechnen die dann ab, nämlich durch politisch erst recht unwillkommenes Wahlverhalten.“

Werner Patzelt ist offenkundig zum Sarkasmus gewechselt, nun, da er als Politikwissenschaftler emeritiert ist. Die sozialen Kosten, abgefackeltes Auto und die Versuche, Biographien und wirtschaftliche Existenzen zu zerstören, wie sie von den Gesinnungswächtern betrieben werden, als „soziale Folgekosten“ zu bezeichnen, verdient den Preis für die Untertreibung des Jahres.





Dass es um die Meinungsfreiheit in Deutschland schlecht bestellt ist, das haben wir schon im Jahr 2016 beschrieben, und zwar auf der Basis einer eigenen Befragung, die wir im Frühjahr 2016 durchgeführt haben. 2.323 Leser von ScienceFiles haben daran teilgenommen und u.a. die Aussage

„In Deutschland kann jeder ohne Angst öffentlich seine Meinung kundtun“ bewertet.

Das Ergebnis ist in der folgenden Abbildung zu sehen. Wie man sieht, gehören die Leser von ScienceFiles zur gesellschaftlichen Avantgarde, sie haben schon 2016 zu Protokoll gegeben, was Allensbach und Infratest erst 2019 entdeckt haben. Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein seltenes Gut. Die Totengräber der Meinungsfreiheit sitzen in den Blockparteien aus CDU/CSU, SPD und Grünen.

Bestätigt wurde unser Ergebnis in einer weiteren Umfrage, die Dr. habil. Heike Diefenbach im Rahmen der Konstruktion einer Skala zur Messung von Konfliktorientierung durchgeführt hat. In ihrem Ergebnisbericht schreibt sie:

„Diesbezüglich ist besonders auffallend, dass 68,6 Prozent der Befragten angaben, dass die Aussage „Egal, wie stark meine Meinung von der Mehrheitsmeinung abweicht, ich vertrete sie trotzdem ganz offen“ voll und ganz („1“) oder fast voll und ganz („2“) zutreffe, aber gleichzeitig 69,9 Prozent der Aussage „Man muss gut überlegen, wo, wie und zu wem man seine Meinung sagt, um negative Folgen für sich selbst zu vermeiden“ voll und ganz oder fast voll und ganz zustimmten. Wenn man außerdem in Rechnung stellt, dass 58,8 Prozent der Befragten der Aussage „Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz können das Arbeitsklima völlig zerstören“ voll und ganz oder fast voll und ganz zustimmen und 61,8 Prozent der Aussage „Ich setze mich mit einigen Leuten gerne auseinander, mit anderen aber prinzipiell überhaupt nicht“ voll und ganz oder fast voll und ganz zustimmen, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Mehrheit der 1.000 Befragten Auseinandersetzungen als Mittel zum vernünftigen Austausch von Argumenten als ein Ideal ansieht, das sie schätzt und gemäß dem sie sich zu handeln bemüht, dem aber nur unter bestimmten Umständen bzw. im Austausch mit bestimmten Leuten oder in bestimmten Situationen entsprochen werden kann.“

Dass die Meinungsfreiheit in Deutschland nur noch in den Sonntagsreden der Politiker vorkommt, die Mehrheit der Bevölkerung aber wohl der Ansicht ist, dass man besser vorsichtig ist, wem gegenüber man seine Meinung vertritt, sofern man sie in der Öffentlichkeit überhaupt vertritt, ist also kein neues Phänomen, sondern eines, das wir bereits 2016 beschrieben haben. Die Vorsicht, vielleicht auch Angst, wenn es um die eigene Meinung geht, ist sicher angebracht, wie jeder bestätigen wird, der wegen einer Aussage schon einmal zum Opfer des linksidentitären Mobs geworden ist, dessen Mitläufer Selbstwert daraus nehmen, anderen den Mund verbieten zu wollen.

Wie wir schon mehrfach geschrieben haben, wird Meinungsfreiheit dann, wenn man sie einschränkt, ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz und andere Formen der Zensur einführt, effektiv abgeschafft. Der Prozess, in dem dies stattfindet, schlägt sich in den Antworten von Befragten nieder, die wir berichtet haben: Man sagt in der Öffentlichkeit seine Meinung nicht mehr, zieht sich in die Privatheit zurück und überlässt die Öffentlichkeit den Schreihälsen und Krakelern, die versuchen, sich mit ihrer stromlinienförmigen und vor allem politisch-korrekten Meinung zu produzieren. Die Öffentlichkeit wird auf diese Weise immer mehr zur politisch-korrekten Echokammer, um so härter trifft es die Krakeler dann, wenn sie plötzlich mit Wahlergebnissen konfrontiert sind, die sie nie erwartet hätten, mit einem Donald Trump, mit einem Brexit, mit einer großen Anzahl von AfD-Wählern …



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