Rezension: “Die Soziologie des frühen Buddhismus” oder: Warum Multikulturalismus scheitern muss

Dr. habil. Heike Diefenbach

Greg Bailey & Ian Mabbett, 2003: The Sociology of Early Buddhism. Cambridge: Cambridge University Press, vii + 284 Seiten,
EURO 29,97 bei Amazon.de (Paperback) – Rezension

Es ist hinreichend bekannt: Ich bin Soziologin und Ethnologin, und es ist zumindest nicht unbedingt ein Geheimnis, dass ich während der letzten Jahre buddhistische Studien, insbesondere solche über den Theravada-Buddhismus, mehr oder weniger als Hobby, aus persönlichem Interesse betrieben habe, was seinen Ursprung in meinem Studium der Ethnologie am Südasien-Institut in Heidelberg vor vielen Jahren hat. Es ist deshalb nicht überraschend, dass mich dieses Buch interessierte und ich es gelesen habe.

Überraschender ist vielleicht, dass ich es für ScienceFiles rezensiere. Ich rezensiere es für ScienceFiles, weil ich meine, dass die Rezension dieses Buches auch für diejenigen Zeitgenossen informativ und interessant sein könnte, die mit Buddhismus nicht viel am Hut haben, wie man so schön sagt, und vielleicht auch nicht mit Soziologie, und zwar deshalb, weil die zentrale These des Buches die Integration von verschiedenen ethnischen Gruppen in ein größeres soziokulturelles und politisches Gefüge betrifft. Und die Frage nach der Möglichkeit einer solchen Integration ist eine Frage, die uns alle aktuell in den Gesellschaften, in denen wir leben, mehr oder weniger stark betrifft und beschäftigt.

Aber der Reihe nach:

Die Autoren des Buches sind beide ausgewiesen im Bereich der Indologie bzw. „Indian Studies“, wobei Greg Bailey einen Schwerpunkt auf indische Religionen und indische Literatur setzt, während Mabbett sich speziell dem Buddhismus widmet und Ländern, deren Bevölkerung mehrheitlich Buddhisten sind. Bailey ist eher Indien-Spezialist, Mabbett eher Südostasien-Spezialist. Keiner von beiden ist Soziologe. Ein Text ist natürlich als solcher zu würdigen, d.h. wie gut ein Text die Aufgabe, die der Autor/die Autoren sich in ihm gestellt haben, erfüllt, ist unabhängig von den Personen oder Spezialgebieten seines Autors/seiner Autoren. Auf die spezifischen Kompetenzen und Interessen der Autoren hinzuweisen, mag im vorliegenden Fall aber insofern wichtig sein als es nachvollziehbar macht, warum das Buch so aufgebaut ist wie es aufgebaut ist und warum die Darstellung das enthält, was sie enthält – und warum was nicht.

Dem eigentlichen Buchtext vorangestellt sind die übliche Danksagung und ein Abkürzungsverzeichnis. Der Text beginnt mit einer Einleitung, die ihrerseits damit beginnt, den Widerspruch zu formulieren, aus dem sich die Fragestellung ergibt, die im Buch behandelt wird. Es handelt sich um den scheinbaren Widerspruch zwischen den zentralen Inhalten des Buddhismus (auch oder gerade des frühen Buddhismus), insbesondere der Forderung nach Loslösung und schließlich Freiheit von Bindungen und eines Lebens als Wandermönch, der der sozialen Welt entsagt hat, einerseits und dem Erfolg des frühen Buddhismus, dem es gelungen ist, sich in der Gesellschaft zu etablieren und viele Laienbrüder und –schwestern in weltlichen Tätigkeitsbereichen zu rekrutieren, statt eine bloße Alternative zu einem Leben in der Gesellschaft zu bleiben, andererseits:

„The problem faced in this book is to explain how, right from the beginning, Buddhism has from a doctrinal viewpoint required of its Order of monks the practical applicaton of an ethic of renunciation and detachment and yet this very same order has remained a vibrant part of society, culture or politics wherever Buddhism has flourished“ (S. 1).

Und direkt anschließend beschreiben die Autoren, wie sie dieses Problem angehen wollen:

„The present study confronts this problem by focusing on the relationship between Buddhism, understood as its teachings and the activities of the buddhist Order, and its social context in northern India in about the fifth to third centuries BCE, assuming that these were the centuries during which the Pali Canon [der diese Lehren enthält,] took shape, though its formation could have continued for another two hundred years” (S. 1).

Die Autoren bauen ihre Betrachtung also zum einen auf das auf, was im Pali-Kanon über die Interaktionen zwischen dem Buddha, seinen Mönchen bzw. den frühen Mönchsgemeinschaften, dem sagha, und Angehörigen der umgebenden Bevölkerung unterschiedlicher sozialer Klassen geschrieben steht. Zum anderen, nämlich um den größeren sozialen Kontext zu rekonstruieren, in dem sich der frühe Buddhismus verbreitet und etabliert hat, stützen sich die Autoren auf archäologische Befunde bzw. die Schriften anderer Autoren, die hierüber berichten, und auf zeitgenössische, nicht-buddhistische Schriften, die in Sanskrit verfasst sind – das zumindest Bailey, der u.a. Sanskrit an der Universität gelehrt hat, lesen und verstehen kann.

Die Autoren argumentieren, dass diese beiden Aspekte, d.h. 1) die Lehren des frühen Buddhismus und die Interaktion des Buddha und der frühen buddhistischen Mönche mit der sie umgebenden nicht-Buddhisten Bevölkerung und 2) der größere soziale, politische und wirtschaftliche Kontext, der die Lebensbedingungen der Menschen damals geprägt hat, zusammen betrachtet werden müssen, um den oben genannten Widerspruch aufzulösen. Und wie für sie die Auflösung dieses Widerspruchs aussieht, berichten die Autoren ebenfalls schon in der Einleitung:

„Our principal contention throughout the book is that Buddhism expanded and flourished, ultimately to a greater extent than its śramaṇic rivals [d.h. andere Gruppen asketischer Wandermönche], because the monk … was able to function as an instrument of mediation between the forces – political and economic – benefiting from the changes that had taken place prior to, and perhaps during, the life of the Buddha, on the one hand, and those other groups for whom such changes were difficult to digest, on the other hand” (S. 5).

Die These der Autoren ist also die, dass die frühen Buddhisten als Vermittler fungierten zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit, zwischen Menschen unterschiedlicher Kastenzugehörigkeit oder unterschiedlichen sozialen Standes, zwischen neu entstandenen Berufsgruppen, insbesondere Händlern und Farmern, sowie ihrer Klientel, zwischen Repräsentanten der Obrigkeit und der ihr unterworfenen Menschen.

Quelle

Und für diese These argumentieren die Autoren im Verlauf des Buches, das in zwei große Teile gegliedert ist. Von diesen beiden Teilen beschreibt der erste, der die Kapitel 2 bis einschließlich 6 umfasst, den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kontext, in dem sich der frühe Buddhismus ausbreiten konnte, insbesondere die Entwicklung einer landwirtschaftlichen Überschussproduktion, die Entstehung größerer Städte und des Handels – und damit neuer Berufe – und die Entstehung von Königtümern, die erstmals in größerem Umfang verschiedene ethnische Gruppen mit unterschiedlichen Kulturen in ein größeres Ganzes integrieren mussten:

„Not only would the extension of political hegemony have to be justified in other terms than a mere show of power, but different cultural positions would also have to be assimilated. Here, a different sort of cultural cement was required, neutral towards dominant culture and subordinated community alike. It is here that the figure of the holy man, a peripatetic symbol of power and wisdom, explicitly rejecting any stake in the institutions of power and authority, at home alike in the courts of kings and in the settlements of herdsmen or upland agriculturalists, had an important part to play” (S. 171; Hervorhebung d.d.A.).

Und dieses Zitat gibt schon einen Eindruck davon, was im zweiten Teil des Buches ausgeführt wird, nämlich die Vermittlungsfunktionen der frühen buddhistischen Mönche im zuvor beschriebenen sozialen Kontext. Dieser zweite Teil des Buches umfasst die Kapitel 7 bis einschließlich 11.

In diesem Teil beschreiben die Autoren u.a., dass das buddhistische Ideal vom asketischen Wandermönch, der seine Verbindungen zur und sein Interesse an der Welt weitgehend aufgegeben hat oder zumindest das Ziel hat, dieselben so weit wie irgend möglich aufzugeben, besonders für die Vermittlerrolle geeignet war, weil von ihm glaubhaft angenommen werden konnte, dass er – eben aufgrund seiner Interesselosigkeit, die ihrerseits durch Nicht-Sesshaftigkeit erleichtert wurde, – nicht parteiisch sein würde, sondern fähig, die Dinge von verschiedenen Seiten zu betrachten:

„The social role of the monk made him familiar with all conditions of men. He was to be found in the streets of a royal city, just as much as in a group of merchants hurrying along a forest track or among goatherds on upland pastures” (S. 168).

Tatsächlich ist nicht nur der Pali-Kanon, sondern sind auch andere buddhistische Schriften (u.a. der Vinaya Piṭaka und eine Reihe von Jataka-Geschichten, die Begebenheiten aus den früheren Leben des Buddha berichten), voll von Beschreibungen von Situationen, in denen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, darunter häufig Könige oder deren lokale Repräsentanten, den Buddha selbst oder seine Mönche um Rat in der ein oder anderen Sache fragen. Die schlichte Tatsache, dass es sich – zumindest in Teilen – bei dem Vinaya Piṭaka, bei dem es sich um eine Sammlung von Regeln und Verfahrensweisen handelt, die Handeln der Mönche in ihrem täglichen Leben, miteinander, aber auch im Umgang mit Nicht-Mönchen und Nicht-Buddhisten, anleiten sollen, um den ältesten Teil der kanonischen Schriften des Buddhismus handelt (Bekke 2002: 5-20) zeigt, dass sehr früh eine Notwendigkeit für solche Regeln bestand. So enthält der Vinaya Piṭaka (genauer: in den Samghadisesa-Regeln im ersten Teil der Vinaya-Texte, die T. W. Rhys Davids vom Pali ins Englische übersetzt hat; Davis 1881: 8) die Regel, nach der ein Mönch, der als „go-between for a woman to a man, or for a man to a woman, or for a wife, or for a paramour, or even for a harlot …“ fungiert, für eine bestimmte Zeit von der Gemeinschaft der Mönche ausgeschlossen werden soll, und diese Regel muss auch im Zusammenhang mit der Vermittlertätigkeit von Mönchen zwischen Verwandtschaftsgruppen anläßlich von Ehestiftungen gesehen werden (S. 220-221).

Der wichtigste Aspekt der Vermittlerrolle von buddhistischen Mönchen im frühen Buddhismus liegt für die Autoren aber im Bereich der Vermittlung zwischen Angehörigen kulturell verschiedener Gruppen und zwischen diversen Bevölkerungsgruppen und der neuen, durch die Königtümer entstandenen, Obrigkeiten:

„An ideology suitable for the expanding state in a culturally diverse environment needs to disperse with particularistic traditions such as sacrifice [die eine spezifisch brahmanische Tradition war]. What had to take their place was a concept of virtue which was neutral towards birth and community. Buddhist teachings were not the only ones to redefine the sacrificial act in moral terms; but they proved particularly appropriate to the changing environment” (S. 202).

Und

“[t]he social ethic appropriate to the management of a large state containing heterogeneous cultures demands values of fairness and respect. It cannot be easily combined with local cults and culture-bound myths, Hence, the appeal of the impersonal rule of moral law, kamma [als einem der buddhistischen Konzepte, die die universelle buddhistische Ethik beinhaltet]” (S. 204; Hervorhebung im Original).

Der Erfolg des frühen Buddhismus wird von den Autoren also dadurch erklärt, dass er (1) universelle Werte vertrat, (2) unparteiisch war (zumindest idealerweise) und seine Vertreter aufgrund eigener Praxis oder aufgrund der Praxis des asketischen Wandermönches als Idealbild des buddhistischen Mönches (3) glaubhaft waren. Dies alles wird von den Autoren insbesondere als Voraussetzung dafür betrachtet, dass eine Integration kulturell verschiedener Gruppen gelingen kann, oder anders ausgedrückt:

Integration kulturell verschiedener Gruppen als “… a process of interpenetration and fusion in which persons and groups acquire the memories, sentiments, and attitudes of other persons and groups and, by sharing their experience and history, are incorporated with them in a common cultural life“ (Park & Burgess 1969[1921]: 735) erfordert die Überwindung partikularistischer Werte und Interessen.

An dieser Stelle muss mit Bedauern festgehalten werden, dass Bailey und Mabbett den Begriff „Integration“ an keiner Stelle definieren – wie das für eine ernstzunehmende soziologische Arbeit, in deren Argumentation „Integration“ eine zentrale Rolle spielt, selbstverständlich sein sollte –, aber im Zusammenhang der Gesamt-Argumentation kann „Integration“ kaum anders als im oben definierten Sinn aufgefasst werden, und tatsächlich wäre es bestenfalls Wortklauberei und schlimmstenfalls Täuschung, wenn man als „Integration“ etwas anderes bzw. Nicht-Integration bezeichnen wollte, z.B. im Sinn von Relativ-Segregiert-und-Zwangsmäßig-Per-Gesetz-Ergebnisgleich-Nebeneinanderher-Leben-Solange-Es-Keine-Nennenswerten-Interessenkonflikte-Gibt, definieren wollte.

Und wenn wir schon bei Kritik am Buch von Bailey und Mabbett sind, muss auch angefügt werden, dass das Buch keine einigermaßen angemessene Auseinandersetzung mit den Chancen und mit den Gefahren der Methode der Literaturexegese enthält, was ebenfalls etwas ist, was eine Arbeit in der Soziologie aus dem Bereich des Ernstzunehmenden ausschließen würde. Dementsprechend hat Alexander Soucy, der das Buch von Bailey und Mabbett schon im Jahr 2004 rezensiert hat, festgehalten:

„Indeed, one could legitimately question whether the project can really be called sociology, given its methodology and the necessary reliance on data which is far from clear or conclusive” (Soucy 2004: 440).

Aber ich stimme Soucy zu, wenn er das “Projekt” wie folgt würdigt:

„They [die Autoren] did a remarkable job of piecing together the available evidence in order to serve up a tantalizing glimpse of the social currents that existed in northern India at the time of the Buddha“ (Soucy 2004: 440).

Darüber hinaus ist das Buch für die soziologische Theorie in mehrfacher Hinsicht relevant:

Erstens kommt den Autoren das Verdienst zu, klargestellt zu haben, dass der Erfolg des frühen Buddhismus keineswegs als Ausdruck eines kollektiven „Protest Against Commercial Values“ (S. 18) oder „Protest Against City Life“ (S. 19) betrachtet werden muss oder als eine Legitimationsveranstaltung für oder gegen „the Centralized State“ (S. 20; 21), wie es Autoren mit entsprechenden ideologischen Neigungen vorgeschlagen haben. Gegenüber solchen stark politisierten und undifferenzierten Erklärungsvorschlägen (man möchte fast sagen: Hauruck-Erklärungen) für den Erfolg des frühen Buddhismus können die Autoren denselben durch die Vermittlungsfunktion der frühen buddhistischen Mönche in vielen verschiedenen Bereichen und auf vielen verschiedenen Ebenen des menschlichen Mit(-oder Gegen-)einanders in der Gesellschaft erklären, die von der Interaktion zwischen Individuen, z.B. Ehepaaren, bis hin zur Interaktion zwischen Repräsentanten neu entstandener Berufe oder Institutionen mit Angehörigen ihrer jeweiligen Klientel reichen. In einer solchen Erklärung ist Raum für viele verschiedene und sehr unterschiedliche Bedürfnisse, Anliegen und Interessen unterschiedlicher Menschen, die durch die Vermittlerfunktion der frühen buddhistischen Mönche sozusagen in dasselbe Phänomen kanalisiert wurden: die fortschreitende Ausbreitung des Buddhismus.

Zweitens machen Bailey und Mabbett deutlich, dass dieser Prozess auf den Buddhismus zurückgewirkt hat:

„The need to accomodate a lay following meant there would always be several Buddhisms” (S. 261),

und zwar deshalb, weil dies zu einer Arbeitsteilung geführt hat zwischen „echten“ asketischen Wandermönchen, die das die Vermittlerrolle legitimierende Ideal des uninteressierten, unparteiischen, urteilsfähigen, weil durch Abstand von den weltlichen Dingen ausgezeichneten „holy man“ (S. 161) am besten ausgedrückt haben, und Mönchen, die mehr oder weniger regelmäßig oder dauerhaft in einem bestimmten Gebiet wanderten oder gar dort angesiedelt waren und gerade deshalb die Vermittlerfunktion überhaupt erst ausüben konnten, denn ohne ein Mindestmaß an „local knowledge“, das bestehende Interessen, Koalitionen, Antipathien und Sympathien bzw. allgemein: die Situation prägende Hintergründe durchschaut, wäre es schwierig gewesen, eine für verschiedene Parteien befriedigende Vermittlung zu erreichen. Die erste Gruppe von Mönchen hat sozusagen die Legitimation für die Vermittlerrolle der zweiten Gruppe geschaffen, die über das relevante situative Wissen verfügte, um überhaupt ein befriedigendes Vermittlungsergebnis herbeiführen zu können.

In der soziologischen Verallgemeinerung bedeutet das, dass eine Bewegung oder neu entstandene Institution sich nicht längerfristig behaupten kann, wenn es ihr nicht gelingt, sich den Bedürfnissen und Interessen auch derer außerhalb der Bewegung oder der Institution Überantwortenden anzupassen. Eine Verkündigung der „reinen Lehre“ samt der Forderung, dass „gute“ oder wohlmeinende Menschen der Lehre folgen, sich ihr gar unterwerfen sollten, genügt nicht, d.h. kann nicht zum Erfolg führen, wobei „Erfolg“ bedeuten soll: Akzeptanz durch die breite Masse der Bevölkerung und Etablierung in der Gesellschaft.

Akzeptiert man die Erklärung der Autoren für den Erfolg des frühen Buddhismus und überträgt man sie auf die Situation in modernen Gesellschaften, die alle mehr oder weniger stark von Migration kulturell Fremder geprägt sind, dann ergibt sich eine weitere allgemein-soziologisch relevante Schlussfolgerung, und zwar die, dass Multikulturalismus und Identitätspolitik von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, denn sie setzen dauerhaft Anreize dazu, eigene Interessen als Gruppeninteressen zu inszenieren oder sich zum „Anwalt“ bestimmter Gruppen zu stilisieren und dadurch die eigenen Interessen gegen Kritik zu immunisieren, sind sie doch angeblich die Interessen Vieler (und häufig als benachteiligt oder diskriminiert Dargestellter), für die der Eigeninteressierte zu sprechen sich anmaßt.

Von dem enormen Potenzial zur mehrdimensionalen Spaltung von Gesellschaften, das dadurch entsteht, sind wir unmittelbar betroffen, oder wir können es unmittelbar beobachten. So können wir beispielsweise den Verlust des Vertrauens der Menschen darein, dass Institutionen die Aufgaben erfüllen, für deren Erfüllung sie geschaffen wurden und verantwortlich sind und für deren Unterhalt die Menschen als Steuerzahler aufkommen, beobachten, einfach, weil die Institutionen tatsächlich nicht mehr vorrangig auf die Erfüllung ihrer Funktionen fokussiert sind, sondern auf die Einhaltung von Vorgaben, die politischer Ideologie geschuldet sind. Das Vertrauen in das Bildungssystem schwindet, je stärker Orte des Lehrens und Lernens in Orte der Verbreitung von Ideologie und der Pflege von Manipulation verwandelt werden, und dem Vertrauen in Gerechtigkeit ist die Erwartung von Ungerechtigkeit um einer Ergebnisgleichheit zwischen einer Reihe von Bevölkerungsgruppen gewichen, etc. Integration verschiedener Menschen und Gruppen von Menschen kann nur auf der Basis universeller Werte und Maßstäbe gelten, die für alle Menschen gleich sind, ungeachtet ihres sozialen Standes, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Geschlechtes etc. Genau solche universellen Werte und Maßstäbe hat der frühe Buddhismus – einigermaßen kompromisslos – bereitgestellt.

Das Buch von Bailey und Mabbett ist deshalb m.E. von einiger Relevanz für Soziologen, obwohl es schwerlich als ein soziologisches Buch bezeichnet werden kann. Und deshalb ist es bedauerlich, dass dem Buch, das mit einem zusammenfassenden Kapitel endet und eine Liste der zitierten Literatur (versteht sich) sowie einen Sach- und Namensindex enthält, kein Glossar beigegeben wurde, in dem Begriffe aus Sanskrit oder Pali, die die Autoren im Text häufig verwenden, erklärt würden, wie schon Soucy (2004: 441-442) bemerkt hat. Anscheinend haben die Autoren des Buches die Kenntnis dieser Begriffe und der damit verbundenen Konzepte beim Leser vorausgesetzt, es also, wenn überhaupt auch für Soziologen, dann bestenfalls für Religionssoziologen geschrieben. Das Verständnis des Buches für den durchschnittlichen Soziologen ist aufgrund des fehlenden Glossars zumindest stellenweise stark erschwert; er bleibt entweder ohne Verständnis der entsprechenden Textstellen, oder er muss die Bedeutung dieser Begriffe selbst recherchieren.

Und so ergibt sich für das Buch von Bailey und Mabbett die seltsame Situation, dass es aus formalen und methodischen Gründen schwerlich als Beitrag zur allgemeinen Soziologie aufgefasst worden kann, inhaltlich für die allgemeine Soziologie aber durchaus relevant ist. In jedem Fall ist das Buch für jemanden, der mein Interessengelage auch nur annähernd teilt, in verschiedenen Hinsichten sehr lesenswert.


Zitierte Literatur (zusätzlich zum rezensierten Buch):

Bekke, Torkel, 2002: Religious Motivation and the Origins of Buddhism: A Social-psychological Exploration of the Origins of a World Religion. London: RoutledgeCurzon.

Park, Robert E. & Burgess, Ernest W. 1969[1921]: Introduction to the Science of Sociology. Chicago: University of Chicago Press.

Rhys Davids, Thomas W., 1881: Vinaya Texts Translated From the Pali, Vol. 1 . Oxford: The Clarendon Press.

Soucy, Alexander, 2004: The Sociology of Early Buddhism (Rezension). Studies in Religion/Sciences Religieuses 33 (3-4): 440-442.



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