Die ARD hat einfach keine Ahnung von britischer Politik [Brexit Update]

Nigel Farage hat heute den Wahlkampf für die Brexit Party eröffnet. Er hat das so getan, wie es Nigel Farage eben tut, auf eine Weise, die für die ARD und in Teilen für den Guardian, bei dem die ARD abzuschreiben scheint, nicht nachvollziehbar ist. Fast, dass man zu dem Schluss kommen muss, die Naivität unter Linken und deutschen Linken ist so groß, dass sie das Haka vor dem Spiel nicht vom Tackle im Spiel unterscheiden können.

Die ARD schreibt:

„Knapp sechs Wochen vor der Neuwahl in Großbritannien hat der Chef der Brexit-Partei, Nigel Farage, den Druck auf Premierminister Boris Johnson deutlich erhöht. Das zwischen Johnson und der Europäischen Union vereinbarte Abkommen habe nichts mehr mit dem Brexit zu tun, sagte Farage zum Auftakt seiner Wahlkampagne in London. “Ich sage Boris Johnson, gib den Deal auf!”

Falls Johnson den Vertrag über Bord werfe, biete ihm die Brexit-Partei einen “Nichtangriffspakt” an. Sie werde dann in vielen Wahlkreisen nicht antreten, in denen sie mit den Konservativen um die Stimmen von Brexit-Befürwortern konkurriert. Andernfalls werde die Brexit-Partei um jeden Sitz bei der Neuwahl am 12. Dezember kämpfen.“

Die Meldung, die die ARD verbreiten will, lautet also:

[1] Das Leave-Lager ist zerstritten.

[2] Nigel Farage fordert Johnson auf, das Withdrawal Agreement (WA) aufzugeben

[3] Wenn Johnson das WA nicht aufgibt, dann kandidiert die Brexit Party in allen Wahlkreisen.





[1] Hier geht es um das Trara, die Inszenierung auf der Bühne (immerhin ist die Brexit-Party nicht die Conservative Party, so dass man eine Alternative geben muss), die dazu dient, sich ein eigenes Profil zu geben, sich als distinkt darzustellen, das zu sagen, was andere (noch) nicht offen aussprechen (wollen oder) können. Einwurf von Gegenüber: KURZ – Strategie.

[2 und 3] Die Erpressung, die die ARD hier suggerieren will, ist insofern keine, als es dem ein oder anderen vielleicht aufgefallen ist, dass Johnson sein Withdrawal Agreement (WA) nicht mehr vor das House of Commons gebracht hat, um es noch vor der Auflösung des HoC am 6. November über die erste Lesung im Unterhaus zu bringen. Mit der Wahl ist das WA wieder zur Disposition gestellt. Wenn Johnson im neuen Unterhaus eine Mehrheit hat, dann ist der Hard Brexit, der schon jetzt mit der Wahl wieder zur Option geworden ist, gerade wieder sehr wahrscheinlich geworden. Die ersten Gesetze, die im neuen Unterhaus behandelt werden, kann man leicht vorhersehen: [1] Beseitigung des Fixed Parliament Act, [2] Auflösung des Supreme Court und [3] Streichung des Benn-Acts und aller Hindernisse, die die Remainer in den letzten Wochen aufgehäuft haben. Was das für das Withdrawal Agreement bedeutet, kann jeder selbst überlegen.

Kurz: Hier hat Farage kein „Leverage“. Was er hat, ist eine Bühne, auf der er sich als Hard Brexiteer inszenieren kann und somit als klare Alternative zum Hard bis Soft Brexiteer Johnson. Und diese Bühne nutzt Farage:

“So I’m going to say this to Boris Johnson, drop the deal. Drop the deal, because it’s not Brexit, drop the deal, because as these weeks go by, and people discover what it is that you’ve signed up to, they will not like it.”

Etwas fallen zu lassen, das seit Wochen in der Versenkung verschwunden ist, sollte nicht wirklich schwierig sein – man kann fast sagen, die Bedingung ist längst erfüllt.

Für den Fall, dass der Deal nicht fallengelassen werde, was auch immer Farage unter „drop the deal“ versteht, gibt es zwei Konsequenzen:

“The first is to make sure that every house in this land is informed as to what is in the treaty, and what is in the political declaration, what the costs of this are, what the time implications are, to make people truly understand the extent to which this is a sellout.

And the second thing in those circumstances that we will do is we will contest every single seat in England, Scotland and Wales.

Please don’t doubt that we are ready. Don’t underestimate our determination, or our organisation. Indeed next Monday we have 500 candidates coming to London, and they will all be signing their candidate forms on that day.”

Die erste Konsequenz ist: Farage droht mit Wahlkampf. Die zweite: Er droht damit, um jeden Sitz zu streiten, wenngleich die 500 Kandidaten, die nach London kommen, zu wenige sind, um die 650 Wahlkreise wirklich alle abzudecken, schon in England sind mit 533 mehr Wahlkreise als die Brexit-Party Kandidaten hat, 59 kommen in Schottland, 40 in Wales hinzu (und 18 in Nordirland). Kurz: Die Drohung, jeden Wahlkreis zum umkämpften Wahlkreis mit den Tories zu machen, ist eine Drohung, die man „with a grain of salt“ nehmen muss. Es ist indes keine Drohung, die ohne Substanz wäre, wie die Brecon and Radnorshire By-Election vom 1. August 2019 zeigt. In Brecon and Radnorshire wurde ein Kandidat der LibDims gewählt, mit 13.826 Stimmen. Der Kandidat der Tories erhielt 12.401 Stimmen. Die 3.331 Stimmen, die für einen aussichtslosen Kandidaten der Brexit Party verschwendet wurden, haben ihn den Sieg gekostet.

Das Dicke-Arme-Machen der Brexit Party in Brecon and Radnorshire hat natürlich den Zweck, den Tories zu zeigen, wie gefährlich die Brexit Party für sie werden kann. Mehr nicht, denn zum einen hat die Brexit Party nicht genug Kandidaten, um alle Wahlkreise zu bestücken, zum anderen hat die Brexit Party, was wichtiger ist, nicht die materiellen Ressourcen, um in jedem Wahlkreis anzutreten und den Tories einen Bruderkampf zu liefern.

Das ist auch nicht, was Nigel Farage beabsichtigt.



Hinter den Kulissen, in den Kreisen, die in deutschen Zeitungen entweder als „gut informiert“ oder als „Regierungsquellen“ oder was auch immer umschrieben werden, ist klar, dass es einen informellen Pakt zwischen den Tories und der Brexit Party geben wird, der es der Brexit Party ermöglicht, sich auf Wahlkreise im Labour Heartland zu konzentrieren, während die Sitze im Tory Heartland durch die Brexit Party unangefochten bleiben.

Das ist übrigens kein Geheimnis, dass es diese informellen Gespräche zwischen Tories und Brexit Party längst gibt. Man kann es wissen, auch dann, wenn man ein zu hoch bezahlter Korrespondent der ARD ist, der sich in London den lieben langen Tag den Hintern plattdrückt. Man muss nicht einmal recherchieren, nicht einmal Zugänge haben, wie sie ScienceFiles hat. Es genügt, Nigel Farage zuzuhören:

“Now of course I’m open and flexible to local exceptions, and already we are in communication with a number of MPs who are prepared to renounce the withdrawal agreement, to renounce the deal, and they themselves to stand on a ticket of a genuine free trade agreement or leave on WTO terms.

In those cases, where MPs say this, we will view them as our friends and not our enemies.”

Erste Ausnahme, in Wahlkreisen, in denen ein Tory-MP aufgestellt ist, der einen WTO-Brexit befürwortet, Steve Baker, der Chairman der European Research Group, der MP für Wycombe ist, wäre ein solcher Tory MP, gibt es keinen Gegenkandidaten der Brexit Party.

Weiter mit Nigel:

“More interestingly, already we’re being approached to put together informal arrangements on the ground, constituencies in which they may have a better chance of winning and we won’t bother to campaign, but equally constituencies in which we have got a better chance of winning and we won’t campaign. And that is already beginning to come together.“

Das ist genau, was wir oben geschrieben haben. Wo die Tories einen weitgehend sicheren Wahlkreis haben, gibt es keinen Kandidaten der Brexit-Party, wo die Tories traditionell keinen Fuß auf die Erde bringen, wird die Brexit-Party kandidieren, z.B. in Llanelli, um den dortigen Kandidaten von Labour aus dem nächsten House of Commons fernzuhalten.

Wir und unsere informierten Kreise rechnen damit, dass die Brexit-Party in rund 100 bis 150 Wahlkreisen Kandidaten aufstellen wird.

Wie gewöhnlich ist man bei der ARD dem Bühnenlärm und den eigenen Vorurteilen auf den Leim gegangen.

Bleibt noch eine kleine Richtigstellung:

„US-Präsident Donald Trump hatte am Donnerstag Farage in einem Interview empfohlen, sich mit Johnson für die Neuwahl zusammenzutun. Gemeinsam seien sie eine “unaufhaltbare Kraft”. Ein Wahlsieg von Corbyn wäre “sehr schlecht” für Großbritannien. Corbyn warf Trump sofort Einmischung in den Wahlkampf vor.“

Das hat Donald Trump tatsächlich so ähnlich gesagt. Das Interview hat Nigel Farage mit Donald Trump geführt. Kleine Auslassung der ARD… irgendwie typisch.

Wer das Interview von Nigel Farage mit Donald Trump hören will, hier ist es:



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